Elijah & seine Raben. Georg Sporschill

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Elijah & seine Raben - Georg Sporschill


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wir unsere Raben auf ihrem Rückflug aus dem biblischen Israel Richtung Almtal, könnte uns eine Zwischenrast an der Westküste der Türkei willkommen sein, am besten bei Ephesus. Österreichische Archäologen haben die Stadt, eine der prominentesten der römischen Antike, seit mehr als einem Jahrhundert erforscht und restauriert. In der Nähe versammelt Georg Sporschill regelmäßig ehemalige Straßenkinder, Freunde und Sponsoren seiner Projekte, um am Meer Erholung zu finden und in den Ruinen die alte Welt zu berühren. Paulus hatte Mitte des 1. Jahrhunderts die christliche Gemeinde von Ephesus gegründet. Laut der Apostelgeschichte provozierte die neue Bewegung den Zorn der Silberschmiede, die um das Geschäft ihres Devotionalienhandels fürchteten und eine Volksversammlung im Theater organisierten, bei der die Menge zwei Stunden lang schrie: »Groß ist die Artemis von Ephesus!« (Apostelgeschichte 19)

      In Ephesus wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gegen Ende des 1. Jahrhunderts das Johannesevangelium verfasst. Die Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas waren schon bekannt, doch die Gemeinde von Ephesus sah sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Hier hatte die griechische philosophische Tradition großen Einfluss, und der Konflikt mit Juden, die Jesus nicht als Messias anerkannten, spitzte sich zu. Der Autor des Johannesevangeliums baute daher ein Element in seine Jesus-Biografie ein, das in keinem der anderen Evangelien vorkommt und das zum inhaltlichen, theologischen Höhepunkt werden sollte: die Abschiedsreden, die Jesus vor seinem Prozess hält (Johannes 13–17). »Vor dem Paschafest, da Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen – liebend die Seinen, die in der Welt waren, liebte er sie zur Vollendung.« So die berühmte Einleitung zur Fußwaschung, die als symbolisches Programm die Abschiedsreden eröffnet. »Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.«

      Jesus fasst in den folgenden Reden seine wichtigsten Anliegen zusammen: »Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.« Er verwendet starke Bilder. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben … Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.« Jesus verspricht seine Nähe auch in der Zukunft: »Wenn er aber kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in der ganzen Wahrheit leiten.« Zuletzt spricht er ein mystisches Gebet. »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.«

      In Ephesus liest Georg Sporschill besonders gern das Johannesevangelium. Da sitzt man in bunter Runde – Jugendliche aus den osteuropäischen Projekten und österreichische Volontäre, Unternehmer und Freunde – bei Sonnenuntergang auf den Ruinen hellenistischer Stadtmauern, schaut auf das Meer hinaus und liest eine Stelle der Abschiedsreden. Als junger Student war ich erstmals dabei, und der Pater forderte mich heraus: »Erzähl uns eine Geschichte, damit wir die Stelle besser verstehen!« Ich war es gewohnt, die Bibel auf Griechisch und Hebräisch zu lesen, Jahreszahlen und historische Theorien zu studieren, aber ich stotterte nur herum, wenn es darauf ankam, zu erklären, was die Bibel für das Leben zu bedeuten hat. Die Herausforderung hat mir geholfen.

      Wer die folgenden Gedanken liest, sitzt mit uns zusammen in dieser bunten Runde auf der Stadtmauer. Am besten stellt man sich das Meer vor und den Sonnenuntergang und Moise, der zwischendurch trommelt und einen Scherz macht. Abwechselnd erzählen Georg Sporschill, seine langjährige Mitarbeiterin Ruth Zenkert, sein Studienfreund Josef Steiner und ich, sein junger Mitbruder im Jesuitenorden, eine Geschichte zu dem Bibelvers, den wir gerade gelesen haben. Ruth Zenkert hatte die Idee, diese Geschichten aufzuschreiben und als »Bimails« an Freunde zu verschicken; wöchentlich erscheinen sie auch in der Tageszeitung Die Presse. Unter unseren Freunden möchte ich Brigitte Hilzensauer danken; sie hat die Bimails mit großem Einfühlungsvermögen lektoriert.

      Die folgenden hundertundein Bimails beziehen sich jeweils auf eine Stelle der johannäischen Abschiedsreden (außer zwei Weihnachts-Bimails, die aus der Reihe tanzen, vgl. Seite 31 und 194). Die ersten Texte schrieben Georg Sporschill und Ruth Zenkert 2012, als sie gerade nach Siebenbürgen übersiedelt waren, um ihr neues Roma-Projekt Elijah zu beginnen; die letzten entstanden drei Jahre später, als das Projekt schon mehreren Dörfern ein neues Erscheinungsbild und Hoffnung auf eine lebendige Zukunft gegeben hatte.

      Bevor Elijah mit dem Feuerwagen zum Himmel fuhr, bat ihn sein engster Freund Elischa um etwas von seinem »Geist« oder »Atem« (hebräisch rūach). Bevor Jesus in den Tod ging, versprach er seinen Freunden den »Geist« (oder »Atem«, griechisch pneuma) seines Vaters. Als Sporschills ehemalige Straßenkinder in der Kapelle sangen und für ihre Freunde beteten, die noch auf der Straße oder in den Kanälen lebten, sind mir oft die Tränen gekommen; so stark wie selten sonst spürte ich da einen solchen »Atem«. Dieser himmlische »Geist« ist eine Kraft, die unsere soziale Intelligenz über ihre üblichen Grenzen hinaus beflügelt und tiefe soziale Gräben überwinden kann. Man spürt sie auch, wenn unser muslimischer Freund Ogi Violine spielt (vgl. Seite 220). »Is’ des nit schön?«, raunt mir Pater Sporschill in solchen Momenten zu. »Du musst doch zugeben, dass wir Jesuiten ein schönes Leben haben.«

      Für Elijah waren die Raben Lebensretter. Georg Sporschill hat oft Menschen, die am Rande der Gesellschaft und in bitterster Armut lebten, mit denen er seine Lebensaufgabe gefunden hat, als seine Lebensretter empfunden. Meinem Herzensfreund Georg wünsche ich starke kommende Jahre, um weiterzugeben, was uns wirklich wichtig ist.

      In unserer Krippe liegt ein Rabenkind

      Menschwerdung in Europa. Wer fordert von uns

      und gibt uns, was nicht zu kaufen ist?

      Georg Sporschill

      Die Raben brachten ihm Brot und Fleisch am Morgen

      und ebenso Brot und Fleisch am Abend.

      1 KÖNIGE 17,6

      Das ärgste Schimpfwort für die Roma-Bevölkerung in Rumänien ist cioara, es bedeutet so viel wie Krähen oder Raben. Kinder ärgern sich gegenseitig, wenn sie mit den Armen wippen und den Flügelschlag des Raben nachahmen. So zeigen sie dem anderen: Du bist ein Kind von Rabeneltern, du bist ein Zigeuner.

      Den Raben wird oft Unrecht getan, vor allem ihren Eltern. »Wer bereitet dem Raben seine Nahrung, wenn seine Jungen zu Gott schreien und umherirren ohne Futter?« (Ijob 38,41).

      Seit Luther diesen Text aus dem Alten Testament interpretierte, spricht man abwertend von Rabeneltern und Rabenmüttern. Biologen beobachten allerdings das Gegenteil, wenn junge Raben das Nest verlassen und unbeholfen erste Schritte versuchen. Ihre Eltern füttern die hungrigen Jungen wochenlang und schützen sie, bis sie fliegen können.

      Die Bibel adelt die Raben geradezu, weil sie einem Flüchtling zu überleben helfen. Als sich der Prophet Elijah vor dem ungerechten König in der Wüste verstecken musste, »brachten Raben ihm Brot und Fleisch am Morgen und ebenso Brot und Fleisch am Abend«. Auf rumänischen Ikonen wird der Prophet Elijah deshalb oft mit dem lebensrettenden Raben dargestellt. Und wir haben ihn als Symbol für unseren neuen Verein Elijah gewählt, weil wir das Zusammenleben mit der Roma-Bevölkerung suchen.

      In Ziegental/Tichindeal, das meine Gemeinde geworden ist, gibt es in der vierklassigen Volksschule nur noch Roma-Kinder. Die anderen Rumänen sind alt oder weggezogen. Die Roma-Familien mit ihren vielen Kindern leben in bitterer Armut und Verwahrlosung. Die vierzehnjährige Victoria schaut mich mit ihren funkelnden schwarzen Augen an und fragt, ob sie in der Bäckerei mithelfen dürfe, um für zu Hause Brot zu bekommen. Wenn sie Arbeit bekäme, könnte sie dem üblichen Schicksal entkommen: dass sie an einen älteren Mann vergeben werden muss. Eltern und Kinder kämpfen Seite an Seite ums Überleben. Wenn sie helfen dürfen, sind sie froh. Tagsüber kommen viele Kinder in unser Haus mit dem großen hellen Raum, wo es warm ist. Ein Brot mit Käse macht sie glücklich. Und dann ist Musikstunde, es wird getrommelt, getanzt und im Chor gesungen.

      Unter den fröhlichen Kindern denke ich oft an die


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