Schattengeister. Frances Hardinge

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Schattengeister - Frances  Hardinge


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neben ihr her schlenderte, sah Makepeace, wie seine Augen prüfend von rechts nach links zuckten, ob irgendjemand sie beobachtete.

      Als die Felder in Sumpfland übergingen, verließen sie die Straße und marschierten querfeldein. Makepeace nahm eine kleine Dose mit Pfeffer, die sie aus Mistress Gotelys Schatzkiste mit Gewürzen gestohlen hatte, und streute das Pulver hinter ihnen auf den Weg, um die Hunde von ihrer Spur abzubringen.

      Der unebene Pfad durch das Moor war tückisch. Der glänzend grüne Farn verbarg Senkungen im Boden, Dornen, Wurzeln, in denen sich die Zehen verhakten, und scharfe Steine, an denen man sich die Fußspitzen anstieß. Nachdem sie ein paar Stunden lang durch den Sumpf geschlittert und gestolpert waren, ging die Sonne unter und der Himmel verfärbte sich ockerbraun.

      «Mittlerweile haben sie uns sicher schon vermisst», sagte James, «aber ich bezweifle, dass sie im Dunkeln unserer Spur folgen können.» Makepeace fragte sich allmählich, wie sie selbst den Weg finden sollten, wenn es Nacht geworden war.

      Als das Tageslicht verblasste, spürte Makepeace, wie Bär erwachte. Er war überrascht, nicht mehr von Mauern eingeschlossen zu sein. Wie von selbst erhob sie sich auf die Zehenspitzen und reckte den Hals, Bär wollte besser sehen und wittern können.

      Ihre Augen gewöhnten sich mühelos an das Dämmerlicht. Nicht zum ersten Mal hatte Makepeace den Verdacht, dass Bär im Dunkeln besser sehen konnte als sie. Gleichzeitig nahm sie mit einem Mal Gerüche in der Luft wahr – Stechginsterpollen, faulende Beeren, Schafsdung und in der Ferne den Rauch von Herdfeuern.

      Als sich der Wind drehte und nun von Grizehayes her wehte, fing sie einen anderen Geruch ein. Ein vertrauter tierischer Geruch, scharf vor Eifer und Gier.

      «Hunde!», flüsterte sie, und das Blut in ihren Adern gefror. Einen Moment später nahm sie weit entferntes, wildes Gebell wahr. Und als sie hinter sich blickte, entdeckte sie winzige, stecknadelgroße Lichter von Laternen.

      «James! Sie kommen!»

      Die Geschwister beschleunigten ihre Schritte und kümmerten sich nicht um angeschlagene Fußknöchel und Hautabschürfungen. Sie hielten sich an die tiefer gelegenen Pfade, damit ihre Silhouetten vor dem Abendhimmel nicht zu sehen waren. Sie wateten durch einen kleinen Fluss, um die Hunde zu verwirren. Aber die Lichtpunkte rückten näher und wurden größer und ließen sich offensichtlich nicht beirren.

       Woher wissen sie, dass wir hier sind?

      Jetzt konnte man auch Stimmen hören. Eine, tief und mit Befehlston, war lauter als die anderen.

      «Das ist Sir Marmaduke!» In James’ Augen stand die Angst.

      Sie hasteten weiter, immer wieder zu Fall gebracht von dornigen Ranken und Farnwedeln. Makepeace wusste, dass James ohne sie schneller vorangekommen wäre. Sie wurde allmählich müde und war viel ungeschickter als er. Aber als es immer dunkler wurde, hatte er anscheinend mehr Probleme als sie, die Hindernisse auf dem Weg zu erkennen. Makepeace merkte, dass ihr Bruder nicht mehr so gut sehen konnte wie sie.

      Abrupt hörte das Gebell auf. Einen Augenblick lang begriff Makepeace nicht, was das bedeutete. Dann sah sie vor ihrem inneren Auge, wie die großen Hunde von den Leinen gelassen wurden und jetzt geräuschlos durch den Sumpf galoppierten …

      Sie erstarrte und blickte sich um. Was sie sah, war eine hoffnungslose Öde. Kein Baum, auf den man hätte klettern, kein Gebäude, in dem man Zuflucht hätte suchen können. Nur ein steiler Hang direkt vor ihnen, hinter dem sie sich vielleicht verstecken konnten …

      Aber noch bevor sie James ihre Überlegung mitteilen konnte, schoss ein schlanker, dunkler, vierbeiniger Schatten aus dem Unterholz. Er prallte gegen James und warf ihn rücklings den Hang hinunter.

      Ein zweiter Hund kam aus dem Ginster gesprungen, und Makepeace sah seine Zähne glitzern, als er nach ihrem Gesicht schnappte. Er war viel zu schnell für sie, aber nicht für Bär. Sie sah, wie ihr Arm ausholte und den Hund mit einer Kraft durch die Luft schleuderte, die sie selbst schockierte. Der Hund prallte einige Meter weit entfernt zu Boden, rollte sich ab und kam dann unsicher wieder auf die Beine.

      Hinter ihm sah Makepeace zwei weitere Hunde kommen. Geschickt sprangen sie im Zickzack um die Bodensenken und Steine herum. Mit dem Übelkeit erregenden Gefühl, einen Albtraum zu erleben, sah Makepeace, dass sie nicht allein waren.

      Neben den Hunden rannte ein Mann, der es wundersamerweise an Schnelligkeit und Geschicklichkeit mit ihnen aufnehmen konnte. In einer Hand baumelte eine Laterne, die seine große und kräftige Gestalt beleuchtete, den Mantel aus pflaumenfarbener Wolle und das merkwürdig ausdruckslose Gesicht.

      Makepeace vergeudete kostbare Sekunden damit, einfach nur hinzustarren. Sir Marmadukes Tempo war unheimlich, unvorstellbar, unmöglich. Es war, als würde man Regen beobachten, der von unten nach oben fällt.

      Sie hörte James schreien, die kehligen Knurrlaute der Hunde, das Reißen von irgendetwas. Sie wusste nicht, ob die Hunde an seinem Kragen zerrten oder an seiner Kehle. Es waren zu viele Gegner für sie, und James … James …

      «Aufhören!», schrie Makepeace. «Bitte! Ruft die Hunde zurück!»

      Sir Marmaduke stieß einen kurzen Pfiff aus, und die Kampfgeräusche verstummten. Makepeace stand keuchend da, umringt von Hunden, und hielt Bär zurück, der um sich schlagen oder weglaufen wollte. Raschelnde Schritte näherten sich, und Laternen schaukelten von allen Seiten auf sie zu. Young Crowe packte James und zog ihn aus der Senke. Sein Kragen war zerfetzt, aber er selbst war unversehrt.

      Makepeace wurde mehr oder weniger im Vorbeigehen eingesammelt. Niemand hatte gesehen, wie sie mit unglaublicher Kraft einen großen Hund von sich geschleudert hatte. Es war glücklicherweise zu dunkel gewesen, und ihr Geheimnis war nicht entdeckt worden. Wenigstens etwas.

      Es war ein langer, kalter Marsch zurück nach Grizehayes. James stolperte mit gesenktem Blick vorwärts, und anfangs dachte Makepeace, er wäre wütend auf sie, weil sie so langsam gewesen war. Aber auf halbem Weg verschränkte er seine Finger mit ihren, und so gingen sie weiter, Hand in Hand.

      Am nächsten Morgen musste Makepeace draußen im Hof mit ansehen, wie James so heftig verprügelt wurde, dass er danach kaum noch stehen konnte. Niemand bezweifelte, dass er die Flucht ausgeheckt und Makepeace dazu angestiftet hatte. Immerhin war er älter als sie und außerdem ein Junge.

      Makepeace bekam auch Schläge, die aber zu ertragen waren und hauptsächlich als Strafe für den Diebstahl des kostbaren Pfeffers gedacht waren. Mistress Gotely war wütend und enttäuscht.

      «Man hat schon Leute für weniger gehängt!», knurrte sie. «Ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, wann das böse Blut in dir zum Vorschein kommen würde. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie man so schön sagt.»

      Makepeace nahm ihre Arbeit in der Küche wieder auf und gab sich den Anschein einer reuigen Sünderin. Ihre Gedanken brannten allerdings von einer neuen Kraft und Einsicht.

      Das nächste Mal müssen wir uns überlegen, was wir wegen der Hunde unternehmen. Ich muss mich mit ihnen anfreunden, mit allen, nicht nur mit den Küchenhunden. Und unser Plan muss wasserdicht sein, denn wenn er schiefgeht, bin nicht ich es, die darunter leidet. James ist tapfer und klug, aber er denkt die Dinge oft nicht bis zum Ende durch.

      Ich habe die Aufmerksamkeit der Elder auf mich gelenkt. Wenn sie mich beobachten, werden sie mich durchschauen. Ich muss mich also bedeckt halten. Ich muss hässlich sein, unauffällig, langweilig. Ich muss wachsam sein. Und geduldig.

      Ich werde eine Möglichkeit zur Flucht finden, auch wenn es Jahre dauert.

      Und genau das war der Fall.

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