Der Sohn des Bärenjägers. Karl May

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Der Sohn des Bärenjägers - Karl May


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kann uns nichts geschehen. Komm!“

      Sie saßen wieder auf und folgten der Fährte, die sie genau im Auge behielten, dabei aber auch scharf nach vorn und den Seiten ausschauend, um ja irgendetwas Feindseliges sofort zu entdecken.

      Es verging wohl eine Stunde und die Sonne sank immer tiefer. Der Wind erhob sich mehr und mehr und die Hitze des Tages ließ schnell nach. Bald bemerkten sie, dass der Indianer nur noch im Schritt geritten war. An einer unebenen Stelle schien sein Pferd vor Übermüdung gestolpert und in die Knie gesunken zu sein. Jemmy stieg sofort ab und untersuchte die Stelle.

      „Ja, es ist ein Indsman“, erklärte er. „Er ist abgesprungen. Seine Mokassins sind mit Stachelschweinborsten verziert. Hier liegt eine abgebrochene Spitze davon. Und hier... ah, der Kerl muss noch sehr jung sein!“

      „Warum?“, fragte der Lange, der auf seinem Tier sitzen geblieben war.

      „Die Stelle ist sandig und sein Fuß hat sich genau abgezeichnet. Wenn ich nicht annehmen soll, dass es eine Squaw war, so...“

      „Unsinn! Eine Frau kommt nicht allein hierher.“

      „...so ist er ein junger Mensch, wahrscheinlich höchstens achtzehn Jahre alt.“

      „So, so! Das klingt gefährlich. Es gibt Stämme, bei denen gerade diese jungen Krieger als Kundschafter benutzt werden. Sehen wir uns also vor!“

      Die beiden ritten wieder weiter. Während sie bisher durch eine Blumenprärie gekommen waren, tauchte jetzt hier und da ein Gebüsch auf, erst vereinzelt, dann in zusammenstehenden Gruppen. In der Ferne schien es Bäume zu geben.

      Endlich kamen sie an eine Stelle, wo der Reiter kurze Zeit abgestiegen war, um seinem Pferd eine freilich nur kurze Ruhe zu gönnen. Dann war er zu Fuß weitergeschritten, das Tier am Zügel führend.

      Die vorliegenden Büsche hemmten jetzt zuweilen die Aussicht so, dass Vorsicht doppelt nötig wurde. Davy ritt voran und Jemmy folgte. Auf einmal sagte der Dicke: „Du Langer, hier am Busch hing ein Schwanzhaar, das dem müden Gaul ausgerissen wurde.“

      „Ay! Aber sprich nicht so laut! Hier können wir jeden Augenblick auf Leute stoßen, die wir erst sehen, wenn sie uns bereits erschossen haben!“

      „Das fürchte ich nicht. Ich kann mich da auf mein Pferd verlassen. Es schnaubt, sobald es einen Feind wittert. Also nur immer getrost weiter!“

      Der Lange Davy folgte wohl dieser Aufforderung, blieb aber im nächsten Augenblick bereits wieder halten. „Alle Teufel!“, sagte er. „Da ist etwas vorgegangen!“

      Der Dicke trieb sein Pferd an und gelangte nach wenigen Schritten durch die Büsche auf einen freien Platz. Vor ihnen erhob sich einer jener kegelförmigen Felsen, deren es in dieser Prärie so viele gibt. Die Fährte führte hart an ihm vorüber und sprang sodann in einem scharfen Winkel nach rechts ab. Das sahen die beiden deutlich, aber sie gewahrten noch etwas. Von der anderen Seite des Felsens her zogen sich nämlich Spuren zu der genannten Fährte hinüber, um sich mit ihr zu vereinigen.

      „Was meinst du dazu?“, fragte der Lange.

      „Dass da hinter diesem Felsen Menschen lagerten, die den Indsman vorüberließen und dann verfolgten.“

      „Vielleicht sind sie bereits wieder fort.“

      „Oder es sind welche zurückgeblieben. Warte hier hinter den Büschen! Ich will einmal meine Nase um die Ecke stecken.“

      „Steck sie nur nicht etwa in einen geladenen Flintenlauf, der im Losgehen ist!“

      „Nein, dazu wäre die deinige besser geeignet.“

      Jemmy stieg ab, überreichte dem Langen die Zügel seines Kleppers und rannte in vollem Lauf auf den Felsen zu.

      „Schlauer Fuchs!“, brummte Davy befriedigt vor sich hin. „Hier würde das Anschleichen zu viel Zeit erfordern. Man sollte gar nicht glauben, dass der Dicke so springen kann!“

      An der Rückseite des Felsens angekommen, schlich sich der Kleine langsam und vorsichtig nach vorn und verschwand hinter einer vorspringenden Kante. Bald jedoch erschien er wieder und gab dem Langen einen Wink, indem er mit dem Arm einen Bogen beschrieb. Davy verstand richtig, dass er nicht geradewegs nach dem Felsen reiten solle, und schlug zwischen den Büschen hindurch einen Bogen, bis er auf die neue Fährte traf und auf ihr zu Jemmy an den Felsen gelangte.

      „Was sagst du dazu?“, fragte der Dicke, indem er auf den Platz zeigte, der vor ihnen lag.

      Hier hatte sich ein Lager befunden. Einige eiserne Kessel lagen noch am Boden, mehrere Hacken und Schaufeln, eine Kaffeemühle, ein Mörser, verschiedene kleine und größere Pakete – die Spur eines Lagerfeuers aber war nicht zu sehen.

      „Na“, entgegnete der Gefragte kopfschüttelnd. „Diejenigen, die sich hier so häuslich niedergelassen hatten, mögen sehr unvorsichtige Leute oder noch ganz grün im Westen sein. Man sieht die Spuren von wenigsten fünfzehn Pferden, aber kein einziges war angepflockt oder auch nur angehobbelt. Wie es scheint, waren mehrere Packtiere darunter. Auch die sind fort. Wohin? Das ist eine ganz heillose Wirtschaft! Man sollte diesen Leuten einen tüchtigen Stock auf den Rücken geben!“

      „Ja, das haben sie verdient. So wenig Erfahrung, und machen sich nach dem fernen Westen herbei! Es kann freilich nicht ein jeder auf dem Gymnasium gewesen sein...“

      „Wie du“, fiel der Lange schnell ein.

      „Ja, wie ich! Aber ein wenig Mutterwitz und Überlegung sollte doch ein jeder besitzen. Der Indianer ist ganz ahnungslos hier um die Ecke gekommen und hat, sobald er sie erblickte es vorgezogen, schnell davon zu reiten anstatt umzukehren. Da ist ihm die ganze Rotte spornstreichs nach.“

      „Ob sie ihm feindlich gesinnt waren?“

      „Natürlich, sonst hätten sie ihn doch nicht verfolgt. Und für uns kann das verhängnisvoll werden. Den Roten ist es ganz gleich, ob hinterher ihre Rache den wirklich Schuldigen oder einen anderen trifft.“

      „So müssen wir schleunigst nach, um Unheil zu verhüten.“

      „Ja, lange werden wir nicht zu reiten habe, denn weit ist der Indsman mit seinem abgematteten Pferd doch nicht gekommen.“

      Sie stiegen wieder auf und folgten im Galopp der Fährte, von der nach rechts und links einige Hufspuren abzweigten, jedenfalls von den durchgegangenen Packpferden herrührend. Nach einer Weile hielt Jemmy plötzlich sein Tier an. Er hatte laute Stimmen vernommen und lenkte rasch zur Seite in ein Gesträuch hinein, wohin Davy ihm folgte. Beide horchten. Sie hörten mehrere Menschen durcheinander sprechen.

      „Das sind sie jedenfalls“, meinte der Dicke. „Die Stimmen kommen nicht näher, sie scheinen sich also noch nicht auf dem Rückweg zu befinden. Wollen wir sie belauschen, Davy?“

      „Gewiss. Die Pferde hobbeln wir einstweilen an.“

      „Nein, das könnte uns verraten. Wir müssen sie festbinden, damit sie nicht weiter fort können, als wir erlauben.“

      ‚Anhobbeln‘ ist ein Trapperausdruck und heißt, den Pferden die Vorderbeine so zusammenfesseln, dass sie nur kleine Schritte machen können. Das tut man, wenn man sich in Sicherheit weiß, sonst aber werden die Tiere an Bäumen festgebunden oder an kurzen Pfählen, die man in die Erde schlägt. Gewöhnlich führen die Jäger in der holzarmen Prärie zu diesem Zweck spitze Pflöcke mit sich.

      Die beiden Unzertrennlichen banden also ihre Tiere an den Sträuchern fest und schlichen sich dann nach der Richtung hin, woher die Stimmen zu hören waren. Sie kamen bald an ein kleines Flüsschen oder vielmehr an einen Bach, der jetzt nicht viel Wasser hatte, dessen hohe Ufer aber zeigten, dass er im Frühjahr eine ganz ansehnliche Wassermenge mit sich führe. Er machte hier eine Krümmung, in der neun wild aussehende Männer teils standen, teils im Gras hockten. In ihrer Mitte lag ein junger Indianer, der an Händen und Füßen so gefesselt war, dass er kein Glied rühren konnte. Jenseits des Wasser aber, unterhalb des hohen Ufers, das es nicht mehr zu erklimmen vermocht hatte,


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