Der Sohn des Bärenjägers. Karl May

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Der Sohn des Bärenjägers - Karl May


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das genügt. Die acht anderen Namen könntet Ihr Euch doch nicht merken.“

      „Merken gar wohl. Aber wenn Ihr meint, dass ich sie nicht zu wissen brauche, so habt Ihr Recht. Der Eurige genügt vollauf, denn wer Euch ansieht, der weiß auch schon, wes Geistes Kind die anderen sind.“

      „Mann! Ist das eine Beleidigung?“, fuhr Brake auf. „Wollt Ihr, dass wir zu den Waffen greifen?“

      „Das rate ich euch nicht. Wir haben vierundzwanzig Revolverschüsse und wenigstens die Hälfte würdet ihr bekommen, ehe es euch gelänge, eure Schießhölzer auf uns zu richten. Ihr haltet uns für Neulinge, aber die sind wir nicht. Wollt ihr es auf eine Probe ankommen lassen, so haben wir nichts dagegen.“

      Jemmy hatte blitzschnell seine beiden Revolver gezogen. Auch der Lange Davy hielt die seinigen bereits in den Händen, und als Brake sein Gewehr vom Boden aufheben wollte, warnte Jemmy: „Lasst das Gewehr liegen! Sobald Ihr es berührt, habt Ihr meine Kugel. Das ist das Gesetz der Prärie. Wer zuerst losdrückt, hat das Recht und ist der Sieger!“

      Die Leute waren beim Erscheinen der beiden so unvorsichtig gewesen, ihre Gewehre im Gras liegen zu lassen. Jetzt durften sie es nicht wagen, danach zu greifen.

      „’s death!“, fluchte Brake. „Ihr tut ja ganz so, als wolltet ihr uns alle verschlingen!“

      „Das fällt uns nicht ein, dazu seid ihr uns nicht appetitlich genug. Wir wollen von euch weiter nichts wissen, als was euch dieser Indianer getan hat.“

      „Geht das euch etwas an?“

      „Ja. Wenn ihr euch ohne Grund an ihm vergreift, so befindet sich dann jeder andere Weiße ohne Schuld in der Gefahr, von der Rache der Seinigen getroffen zu werden. Also, warum habt ihr ihn gefangen genommen?“

      „Weil es uns so gefiel. Er ist ein roter Schurke, das ist Grund genug.“

      „Diese Antwort genügt. Wir wissen nun, dass euch der Mann keinen Anlass zu Feindseligkeit gegeben hat. Aber ich werde ihn auch selbst noch fragen.“

      „Den fragen?“, lachte Brake höhnisch und seine Gefährten stimmten in das Gelächter ein. „Der versteht kein Wort Englisch. Er hat uns trotz aller Prügel mit keiner Silbe geantwortet.“

      „Geprügelt habt ihr ihn?“, rief Jemmy. „Seid ihr von Sinnen? Einen Indianer prügeln! Wisst ihr nicht, dass dies eine Beleidigung ist, die nur mit Blut gesühnt werden kann?“

      „Er mag sich unser Blut holen. Bin nur neugierig, wie er das anfangen wird.“

      „Sobald er frei ist, wird er es euch zeigen.“

      „Frei wird er niemals wieder sein.“

      „Wollt ihr ihn töten?“

      „Was wir mit ihm tun werden, das geht euch nichts an, verstanden? Die Rothäute muss man zertreten, wo man sie nur immer findet. Jetzt habt ihr unseren Bescheid. Wollt ihr, bevor ihr euch von dannen macht, mit dem Kerl einmal sprechen, so habe ich nichts dagegen. Er versteht euch nicht und ihr seht beide nicht so aus, als ob man euch für Professoren der Indianersprache halten müsse. Ich bin neugierig, der Unterhaltung beizuwohnen.“

      Jemmy zuckte verächtlich die Schultern und wendete sich an den Indianer.

      Der Rote hatte mit halb geschlossenen Augen dagelegen und mit keinem Blick, keiner Miene verraten, ob er dem Gespräch zu folgen vermochte. Er war noch jung, ganz so, wie der Dicke gesagt hatte, vielleicht achtzehn Jahre alt.

      Sein dunkles, schlichtes Haar war lang. Nichts zeigte an, zu welchem Stamm er gehörte. Das Gesicht war unbemalt und sogar die Scheitellinie seines Kopfes war nicht mit Ocker oder Zinnober gefärbt. Er trug ein weichledernes Jagdhemd und hirschlederne Leggins, beide an den Nähten ausgefranst. Zwischen diesen Fransen war kein einziges Menschenhaar zu sehen, ein Zeichen, dass der junge Mann noch keinen Feind getötet hatte. Die zierlichen Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten geschmückt, wie es Jemmy vorher vermutet hatte. Drüben am jenseitigen Ufer, wo sich das Pferd jetzt wieder aufgerichtet hatte und mit Wohlbehagen das Wasser des Baches zu schlürfen begann, lag ein langes Jagdmesser. Am Sattel des Tieres hing ein aus den Hörnern des Bergschafes verfertigter Bogen, der vielleicht den Wert von zwei oder drei Mustangs besaß. Diese einfache Bewaffnung war ein sicherer Beweis, dass der Indianer nicht in feindlicher Absicht in diese Gegend gekommen war.

      Sein Gesicht war in diesem Augenblick gänzlich regungslos. Der Indsman ist zu stolz, vor Fremden oder gar Feinden seine Gefühle merken zu lassen. Seine Züge waren noch jugendlich weich. Die Backenknochen traten zwar ein klein wenig hervor, doch tat dies der Ebenmäßigkeit nicht den mindesten Eintrag. Als Jemmy jetzt zu ihm trat, öffnete er zum ersten Mal die Augen ganz. Sie waren schwarz wie glänzende Kohle und ein freundlicher Blick traf den Jäger.

      „Mein junger, roter Bruder versteht die Sprache der Bleichgesichter?“, fragte Jemmy in englischer Sprache.

      „Ja“, erwiderte der Gefragte. „Woher weiß dies mein älterer weißer Bruder?“

      „Ich sehe an dem Blick deines Auges, dass du uns verstanden hast.“

      „Ich habe gehört, dass du ein Freund der roten Männer bist. Ich bin dein Bruder.“

      „Will mir mein Bruder sagen, ob er einen Namen hat?“

      Eine solche Frage ist für einen älteren Indianer eine schwere Beleidigung, denn wer noch keinen Namen hat, der hat noch nicht durch irgendeine Tat seinen Mut bewiesen und wird nicht zu den Kriegern gerechnet. Bei der Jugend dieses Gefangenen aber konnte sich Jemmy die Frage erlauben. Dennoch entgegnete der Jüngling: „Meint mein guter Bruder, dass ich feige bin?“

      „Nein, aber noch sehr jung.“

      „Die Bleichgesichter haben die roten Männer gelehrt, bereits jung zu sterben. Mein Bruder mag mir das Jagdhemd auf der Brust öffnen, um zu erfahren, dass ich einen Namen besitze.“

      Jemmy bückte sich und nestelte das Jagdhemd auf. Er zog drei rot gefärbte Federn des Kriegsadlers hervor. „Ist’s möglich?“, rief er aus. „Ein Häuptling kannst du doch noch nicht sein!“

      „Nein“, lächelte der Jüngling. „Ich darf die Federn des Mah-sisch tragen, weil ich Wohkadeh heiße.“

      Diese beiden Worte gehören der Mandan-Sprache an. Das erste heißt Kriegsadler und das zweite ist der Name für die Haut eines weißen Büffels. Da die weißen Büffel höchst selten sind, so gilt das Erlegen eines solchen Tieres bei manchen Stämmen mehr als der Sieg über mehrere Feinde und berechtigt sogar zum Tragen der Federn des Kriegsadlers. Der junge Indianer hatte einen solchen Büffel erlegt und infolgedessen den Namen Wohkadeh erhalten.

      Das war an und für sich nichts Seltsames, nur staunten Davy und Jemmy darüber, dass der Name der Mandan-Sprache entnommen war. Die Mandans gelten für ausgestorben. Darum fragte der Kleine: „Welchem Stamm gehört mein roter Bruder an?“

      „Ich bin ein Numangkake und zugleich ein Dakota.“

      Numangkake nannten sich die Mandans selbst und Dakota ist der Sammelname aller Siouxstämme.

      „So bist du von den Dakota angenommen worden?“

      „Wie mein weißer Bruder sagt, so ist es. Der Bruder meiner Mutter war der große Häuptling Mah-to-toh-pah[6]. Er trug diesen Namen, weil er vier Bären auf einmal getötet hatte. Die weißen Männer kamen und brachten uns die Blattern. Mein ganzer Stamm siechte dahin, bis auf wenige, die den Vorangegangenen nach den ewigen Jagdgründen folgten, als sie die Sioux reizten und von ihnen erschlagen wurden. Mein Vater, der tapfere Wah-kih[7], wurde nur verwundet und später gezwungen, ein Sohn der Sioux zu werden. So bin ich ein Dakota, doch mein Herz gedenkt der Ahnen, die der Große Geist zu sich gerufen hat.“

      „Die Sioux befinden sich jetzt jenseits der Berge. Weshalb kommst du herüber?“

      „Wohkadeh kommt nicht von den Bergen, die mein Bruder meint, sondern vom hohen Gebirge im Westen herab und hat einem kleinen weißen Bruder eine wichtige Botschaft


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