Der Sohn des Bärenjägers. Karl May

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Der Sohn des Bärenjägers - Karl May


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folgte deiner Spur und habe gesehen, dass du dein Pferd antriebst wie einer, der sich nahe am Ziel befindet.“

      „Du hast richtig gedacht. Wohkadeh wäre jetzt am Ziel, aber diese Bleichgesichter verfolgten ihn. Sein Pferd war zu ermattet und konnte den Sprung über dieses Wasser nicht tun, es stürzte. Wohkadeh kam darunter zu liegen und verlor die Besinnung. Als er erwachte, war er mit Riemen gebunden.“ Und in der Siouxsprache fügte er knirschend hinzu: „Sie sind Feiglinge! Neun Männer fesseln einen Knaben, dessen Seele von ihm gewichen war! Hätte ich mit ihnen kämpfen können, so gehörten jetzt ihre Skalpe mir.“

      „Sie haben dich sogar geschlagen?“

      „Sprich nicht davon, denn dieses Wort riecht nach Blut! Mein weißer Bruder wird mir die Fesseln abnehmen und dann wird Wohkadeh als Mann an ihnen handeln.“

      Er sagte das mit solcher Zuversicht, dass der Dicke Jemmy lächelnd fragte. „Hast du nicht gehört, dass ich ihnen nichts zu befehlen habe?“

      „Oh, mein weißer Bruder fürchtet sich vor hundert solchen Männern nicht. Ein jeder von ihnen ist Wingkan[8].“

      „Meinst du? Woher willst du wissen, dass ich mich vor ihnen nicht fürchte?“

      „Wohkadeh hat offene Augen und Ohren. Er hörte oft von den beiden berühmten weißen Kriegern sprechen, die Davy-honskeh und Jemmy-petahtscheh[9] genannt werden, und hat sie an ihren Gestalten und Worten erkannt.“

      Der kleine Jäger wollte antworten, wurde aber von Brake unterbrochen. „Halt, Mann! So haben wir nicht gewettet! Ich habe Euch zwar erlaubt, mit dem Kerl zu reden; aber das muss in englischer Sprache geschehen. Euer Kauderwelsch kann ich nicht dulden, denn ich muss da gewärtig sein, dass ihr miteinander gegen uns Pläne schmiedet. Übrigens genügt es uns, erfahren zu haben, dass der Indsman des Englischen mächtig ist. Wir brauchen euch nicht mehr und ihr könnt dahin gehen, woher ihr gekommen seid. Und wenn das nicht schnell geschieht, so werde ich euch Beine machen.“

      Jemmys Blick flog zu Davy hinüber und der gab ihm mit einer Wimper einen verstohlenen Wink, den niemand bemerkte. Für den Dicken aber war dieses blitzschnelle Zucken des Augenlides verständlich. Der Lange hatte ihn auf die Büsche aufmerksam gemacht, die seitwärts von ihm standen. Jemmy richtete einen kurzen, aber scharf forschenden Blick hinüber und bemerkte, dass nahe am Boden die Läufe zweier Doppelgewehre ein wenig zwischen den Zweigen hervorragten. Dort lagen also zwei Männer im Anschlag. Wer waren sie? Freunde oder Feinde? Die Sorglosigkeit, die Davy zeigte, beruhigte ihn. Er antwortete Brake:

      „Die Beine, die Ihr mir machen wollt, möchte ich wohl sehen! Ich habe keine solche Veranlassung zum schnellen Davonlaufen wie ihr.“

      „Wie wir? Wem sollten wir davonlaufen?“

      „Demjenigen, dem gestern noch diese beiden Pferde gehört haben. Verstanden?“ Jemmy deutete bei diesen Worten auf zwei braune Wallache, die eng nebeneinander standen, als ob sie wüssten, dass sie zusammengehörten.

      „Was?“, rief Brake. „Wofür haltet Ihr uns? Wir sind ehrliche Prospectors[10], die hinüber nach Idaho wollen, wo jetzt neue Goldlager entdeckt worden sind.“

      „Und weil es euch zu dieser Reise an den nötigen Pferden mangelt, seid ihr nebenbei auch ebenso ehrliche Horse-pilfers[11]. Uns täuscht ihr nicht.“

      „Mann, sag noch ein solches Wort, so schieße ich dich nieder! Wir haben alle diese Pferde gekauft und bezahlt.“

      „Wo denn, mein ehrlicher Mister Brake?“

      „Bereits unten in Omaha.“

      „So! Und da habt ihr euch dort wohl auch einen Vorrat von Hufschwärze mitgenommen? Warum sind denn die beiden Braunen so frisch wie aus der Fenz heraus? Warum haben sie geschwärzte Hufe, während eure anderen Gäule abgetrieben sind und in verwahrlosten Pantoffeln laufen? Ich sage euch, dass die Braunen noch gestern einen anderen Herrn gehabt haben und dass der Diebstahl von Pferden hier im Westen mit dem schönen Tod durch den Strang bestraft wird.“

      „Lügner! Verleumder!“, brüllte Brake, sich nach seinem Gewehr bückend.

      „Nein, er hat Recht!“, ertönte da eine Stimme zwischen den Büschen hervor. „Ihr seid elende Pferdediebe und sollt euren Lohn haben. Schießen wir sie nieder, Martin!“

      „Nicht schießen!“, rief der Lange Davy. „Nehmt die Kolben! Eine Kugel sind sie nicht wert.“

      Er holte mit dem umgekehrten Gewehr aus und versetzte Brake einen Hieb, dass er besinnungslos zu Boden stürzte. Aus den Büschen sprangen zwei Gestalten hervor, ein kräftiger Knabe und ein Mann. Mit hoch erhobenen Büchsen warfen sie sich auf die angeblichen Prospektoren.

      Jemmy hatte sich gebückt und mit zwei schnellen Schnitten die Fesseln Wohkadehs gelöst. Der Indianer schnellte empor, sprang auf einen der Feinde zu, ergriff ihn beim Genick, riss ihn nieder und schleuderte ihn über das Wasser hinüber, wo sein Jagdmesser lag. Kein Mensch hätte ihm eine solche Körperstärke zugetraut. Dem Weißen nachspringen, mit der Rechten das Messer ergreifen, auf den Feind knien und dessen Haarschopf mit der Linken erfassen, das war das Werk eines Augenblicks. „Help – help – for God’s sake – help!“, kreischte der Mann in höchster Todesangst auf.

      Wohkadeh hatte das Messer zum tödlichen Stoß erhoben. Sein blitzendes Auge fiel auf das vor Entsetzen verzerrte Gesicht des Feindes – und die Hand mit dem Messer sank nieder. „Hast du Angst?“, fragte er.

      „Ja! Gnade, Gnade!“

      „Sag, dass du ein Hund bist!“

      „Gern, sehr gern! Ich bin ein Hund!“

      „So bleib zu deiner Schande leben. Ein Indianer stirbt mutig und ohne Klage, du aber wimmerst um Barmherzigkeit. Wohkadeh kann den Skalp eines Hundes nicht tragen. Du hast mich geschlagen, dafür gehörte deine Kopfhaut mir. Aber ein räudiger Hund kann keinen roten Mann beleidigen. Lauf fort; es ekelt Wohkadeh vor dir!“

      Er gab ihm einen Tritt mit dem Fuß. Im nächsten Augenblick war der Mann verschwunden.

      Das war alles viel schneller geschehen, als man es zu erzählen vermag. Brake lag am Boden, drei andere neben ihm. Die Übrigen hatten sich schleunigst ohne ihre Waffen aus dem Staub gemacht. Ihre Pferde waren ihnen nachgelaufen. Nur die beiden Braunen standen noch da und rieben ihre Köpfe an den Schultern der beiden Helfer, die sich so unerwartet eingestellt hatten.

      Der Knabe mochte ungefähr das sechzehnte Jahr vollendet haben, doch war sein Körper über dieses Alter hinaus entwickelt. Helle Gesichtsfarbe, blondes Haar und blaugraue Augen wiesen auf germanische Abstammung hin. In seinem Gürtel steckte ein Messer, dessen Griff von seltener indianischer Arbeit war, und das Doppelgewehr, das er in der Hand hielt, schien für ihn fast zu schwer zu sein. Seine Wangen hatten sich im Kampf gerötet, aber er stand doch so ruhig da, als hätte es etwas für ihn ganz Alltägliches gegeben. Wer ihn jetzt betrachtete, war jedenfalls geneigt anzunehmen, dass solche Auftritte für ihn nichts Seltenes seien.

      Einen eigentümlichen Anblick bot sein Begleiter, ein kleiner, schmächtiger Mann mit bartlosem Gesicht. Er trug indianische Schuhe und Lederhosen und dazu einen dunkelblauen Frack, der mit hohen Achselpuffen, Patten und blank geputzten Messingknöpfen versehen war. Dieses Kleidungsstück stammte wohl aus Urgroßvaters Zeiten. Damals wurde ja ein Tuch gefertigt, das für eine Ewigkeit gemacht zu sein schien. Freilich war der Frack verschossen und an den Nähten fleißig mit Tinte aufgefärbt, aber es war noch kein einziges Löchlein darin zu bemerken. Solch alten Kleidungsstücken begegnet man im ‚Far West‘ sehr oft.

      Auf dem Kopf trug der kleine Mann einen riesigen schwarzen Amazonenhut, den eine große, gelb gefärbte, unechte Straußenfeder schmückte. Dieses Prachtstück hatte jedenfalls vor Jahren irgendeiner Lady des Ostens gehört und war dann durch ein launenhaftes Schicksal nach dem fernen Westen verschlagen worden. Da die breite Krempe gut gegen Sonne und Regen schützte, hatte der jetzige Besitzer wohl keine Bedenken gehabt, ihm die gegenwärtige Bestimmung zu geben. Bewaffnet war das Männchen nur mit Büchse und Messer. Selbst der Gürtel


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