Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann


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Regel, gleichzeitig mit dem Staatsinterventionismus zugenommen. In dem Maße, wie die öffentliche Reglementierung fortschritt, nahmen die privaten Verbände einen bürokratischen Charakter an. Aufgrund der Komplexität staatlichen Handels sind die Individuen gezwungen, Organisationen beizutreten, ohne die sie keine Chance hätten, sich in dem Labyrinth der Reglementierung durchzusetzen. Derselbe Prozeß zwang die Organisationen, Experten zu bestellen, unter ihren Mitgliedern eine Funktionsteilung zu schaffen und feste Regeln ihres Handels aufzustellen. Als Folge davon ist die Partei nicht nur ein Verband gläubiger Gefolgsleute, sondern ebensogut eine Bürokratie. Sie stellt eine Mischung zweier Herrschaftstypen dar: des »charismatischen« und des »bürokratischen«52, und der Umfang ihres Verwaltungsapparates kann sich mit dem des Staates messen. Daher unterscheiden die Parteijuristen streng zwischen Parteiführung und Parteiverwaltung. Einem Juristen im Stabe des Reichsschatzmeisters zufolge ist »äußeres Sinnbild der Unterscheidung von politischer Führung und Verwaltung … die Errichtung eines Führerbaues«, der sich durch »künstlerische Vielgestaltigkeit« auszeichnet, »und eines Verwaltungsbaues«, der von »strenger Sachlichkeit und nüchterner Zweckmäßigkeit« beherrscht ist.53 Wir werden auf diese allegorische Darstellung noch einmal zurückkommen. Für den Moment ist es wichtig festzuhalten, daß die vollkommene Kontrolle der Parteiverwaltung seit dem 16. September 1931 in den Händen des Reichsschatzmeisters liegt. Dies ist in den Verordnungen vom 2. Juni 1933 und 23. März 1934 bekräftigt worden. »Die Verwaltung der NSDAP liegt völlig in meiner Hand«, bemerkt Franz Schwarz, der Reichsschatzmeister, »weil sie einheitlich sein muß.«54 Schwarz kontrolliert die gesamte Partei, ihre Gliederungen, namentlich die SA und die SS, und die ihr angeschlossenen Verbände (die Deutsche Arbeitsfront, die Verbände der Ärzte, Juristen, Techniker, Lehrer, Dozenten, Beamten; das NS-Kraftfahrzeug-Korps, die Hitlerjugend, den NS-Studentenbund). Eine dritte Kategorie, die sogenannten von der NSDAP »betreuten« Organisationen55, unterstehen ähnlich der Parteiaufsicht. Dazu gehören der Deutsche Gemeindetag, das Deutsche Frauenwerk, der Reichsbund der Kinderreichen und der Reichsbund für Leibesübungen.

      Die Führerverordnung vom 29. März 1935 legt den Umfang der Finanzkontrolle des Reichsschatzmeisters fest. Danach bilden die Partei und ihre Gliederungen eine Finanzeinheit unter Aufsicht des Schatzmeisters, der in Erfüllung seiner Aufgaben auch jede beliebige staatliche Behörde um Rechtshilfe anrufen kann. Der Reichsschatzmeister hat den finanziellen Oberbefehl über das Vermögen der Partei sowie ihrer Gliederungen und zugleich die Aufsicht über die Gelder aller der NSDAP angeschlossenen Verbände. Faktisch setzt er die Beträge fest, die jeder einzelne angeschlossene Verband aus den Reihen seiner Mitglieder aufbringen muß. Die Finanzkontrolle der Partei beschränkt sich nicht auf Parteiorganisationen, sondern erstreckt sich auch auf außerparteiliche Aktivitäten wie z. B. die Sammlungen des Winterhilfswerkes (Verordnungen vom 1. Dezember 1936 und 24. März 1937), obwohl die meisten Beiträge von Nicht-Mitgliedern gezahlt werden. Von der Finanzaufsicht des Reichsschatzmeisters ausgenommen dagegen sind der Reichsarbeitsdienst und das NS-Fliegerkorps (Verordnungen vom 17. April 1939). Dieser allgemeine Trend zur Ausnahme ist auch für die SS zu beobachten: diejenigen NS-Formationen, die im wesentlichen als Glieder der staatlichen Zwangsgewalt fungieren, werden schrittweise von der Parteikontrolle befreit.

      Grundlage der Parteifinanzen sind die Beiträge der Parteimitglieder, wobei die alten Parteigenossen (die der NSDAP vor dem 1. April 1933 beitraten) einen Einheitssatz bezahlen, während für die neuen Mitglieder eine Staffelung der Beiträge nach der Höhe des Einkommens vorgenommen wurde. Hinzu kommen Bearbeitungsgebühren (Aufnahmegebühren, Zustellungsgebühren usw.), Lizenzgebühren für die Herstellung von Parteiuniformen, -abzeichen und dergleichen, durch besondere Sammlungen aufgebrachte Gelder (Gesetz vom 5. November 1934), Lotterien (Verordnung vom 6. März 1937) und staatliche Subventionen. Wie aus der Mitgliederzahl geschlossen werden kann, handelt es sich um riesige Beträge (Ende 1934 hatte die NSDAP rund 2 400 000 Mitglieder; diese Zahl blieb bis zum 1. Mai 1937 ungefähr konstant und stieg dann stark an). Seit dem 10. Mai 1939, als die Beitrittsbedingungen entschärft wurden, ist der Mitgliederzuwachs noch größer geworden. Nach Hitlers Vorstellung liegt das ideale Zahlenverhältnis von Parteimitgliedern zur übrigen Bevölkerung bei etwa 10 Prozent. Die Bestimmungen vom 11. August 1937 sehen die Rekrutierung neuer Mitglieder aus der Hitlerjugend vor, sofern sie diesem Verband für vier Jahre ohne Unterbrechung angehört und das 18. Lebensjahr erreicht haben. Ihre Aufnahme findet auf dem alljährlichen Parteitag der NSDAP statt. Die Partei hat nicht nur einen gewaltigen Spitzenapparat, sondern auch 760 Kreisleiter, 21 354 Ortsgruppenleiter, 70 000 Zellenleiter und 400 000 Blockleiter.56 Als Ergebnis stehen Staat und Partei Seite an Seite. Rechtlich kontrolliert keiner von beiden den anderen, jeder ist in seinem eigenen Bereich souverän – eine verfassungsmäßig in sich widersprüchliche Situation.

      III. Der charismatische Führer im Führerstaat

       1. Die verfassungsmäßige Funktion des Führers

      Der gängigen nationalsozialistischen Ideologie zufolge ist der Führer, Adolf Hitler, das verbindende Glied zwischen Staat, Partei und Volk. In der deutschen Etymologie hat der Begriff »Führer«, wie ein nationalsozialistischer Philosoph zugeben mußte, einen recht prosaischen Hintergrund.1 In der Armee, dem hierarchischen Modell, das die nationalsozialistischen Theoretiker so gerne beschwören, gibt es keine »Führer« (außer in den untersten Rängen). Dafür gibt es aber eine ganze Menge von »Führern« in ausgesprochen unheroischen Berufen: der Straßenbahnfahrer, der Lokomotivfahrer und der Schiffslotse hießen gewöhnlich »Führer«, wenngleich sie sich heute nicht mehr so nennen dürfen.

      Das Führerprinzip bezeichnet vor allem anderen eine von oben nach unten und niemals umgekehrt aufgebaute Organisationsform. Es herrscht in allen sozialen und politischen Organisationen außer der Justiz, die, wie nationalsozialistische Juristen gerne sagen, immer noch nach »germanischen« Grundsätzen entscheidet, obwohl schwer einzusehen ist, warum diese angeblich germanische demokratische Praxis beim Richterstuhl beginnen und enden soll. Das Führerprinzip ist auch bei Industrieunternehmen, Konzernen oder Kartellen nicht verwirklicht.2 Um die nationalsozialistische Ideologie zu begreifen, ist das Verständnis der Führerfunktion unerläßlich.

      Führung ist angeblich etwas völlig anderes als Herrschaft: der deutschen Ideologie zufolge macht gerade das Wesen der Führung den Unterschied des Regimes zur absolutistischen Herrschaft aus. Ähnlich wird Deutschlands Regiment in Europa nicht als Herrschaft bezeichnet. Vielmehr bestehe die »Neue Ordnung« in der »Führung« durch Deutschland und Italien. »Der Anspruch Deutschlands und Italiens heißt nicht mehr Herrschaft, sondern Führung«, heißt es in einem Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom 5. Januar 1941.3

      Adolf Hitler ist der oberste Führer. Er vereinigt in sich die Funktionen des obersten Gesetzgebers, des obersten Regierenden und des obersten Richters; er ist der Führer der Partei, der Wehrmacht und des Volkes. In seiner Person ist die Macht des Staates, des Volkes und der Bewegung vereint.4 Ursprünglich war der Führer nur Reichskanzler, rücksichtloser zwar und – kraft des Ermächtigungsgesetzes von 1933 – mächtiger als je einer seiner Vorgänger, aber dennoch nur ein Akteur unter vielen; seine Verordnungen bedurften der Gegenzeichnung durch seine Minister, und häufig konnte er nur über den Reichspräsidenten von Hindenburg tätig werden. Nach Hindenburgs Tod wurde das Amt des Präsidenten mit dem des Kanzlers (damals Führer und Reichskanzler, dann, seit Juli 1939, einfach Führer) vereinigt, und der Staat wurde einer einzigen Person überantwortet. Dieser Mann ist Führer auf Lebenszeit5, wenngleich niemand weiß, wovon sich seine Verfassungsrechte herleiten. Er ist von allen anderen Institutionen unabhängig, so daß er den nach Artikel 42 der Verfassung erforderlichen Verfassungseid nicht zu leisten brauchte (und auch nicht leistete). Er kann nicht durch Volksbegehren abgesetzt werden, wie das der Artikel 43 vorsieht. Er verwaltet die drei Ämter des Präsidenten, Kanzlers und Parteiführers nicht, sondern benutzt sie lediglich dazu, seine Macht zu demonstrieren. Die Reichsregierung ist keine Regierung; die 15 Minister sind nur dem Führer verantwortlich. Sie sind einzig und allein Verwaltungschefs, die von ihm nach Belieben ernannt und entlassen werden können. Kabinettssitzungen brauchen daher nicht einberufen zu werden und finden tatsächlich auch nur sehr selten statt, so daß der Führer als alleiniger Gesetzgeber übrig bleibt. Regierungsgesetze, die auf der


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