Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe. Friedrich Schlegel

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Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe - Friedrich Schlegel


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ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der gern mit allem Zarten und Heiligen herausplatzt, nicht selten über seinen eignen treuherzigen Eifer ungeschickterweise hinstürzt und mit einem Worte leicht bis zur Grobheit göttlich ist.

      Durch diese Apologie wäre ich zwar gerettet, aber vielleicht nur auf Unkosten der Männlichkeit selbst: denn so viel ihr auch im einzelnen von dieser haltet, so habt ihr doch immer viel und vieles wider das Ganze der Gattung. Ich will indessen auf keinen Fall gemeine Sache mit einer solchen Race haben und vertheidige oder entschuldige daher meine Freyheit und Frechheit lieber bloß mit dem [21]Beyspiele der unschuldigen kleinen Wilhelmine, da sie doch auch eine Dame ist, die ich überdem auf das zärtlichste liebe. Darum will ich sie auch gleich ein wenig charakterisiren.

      Charakteristik der kleinen Wilhelmine.

      Betrachtet man das sonderbare Kind nicht mit Rücksicht auf eine einseitige Theorie, sondern wie es sich ziemt, im Großen und Ganzen: so darf man kühnlich von ihr sagen, und es ist vielleicht das beste was man überhaupt von ihr sagen kann: Sie ist die geistreichste Person ihrer Zeit oder ihres Alters. Und das ist nicht wenig gesagt: denn wie selten ist harmonische Ausbildung unter zweyjährigen Menschen? Der stärkste unter vielen starken Beweisen für ihre innere Vollendung ist ihre heitere Selbstzufriedenheit. Wenn sie gegessen hat, pflegt sie beide Ärmchen auf den Tisch ausgebreitet ihren kleinen Kopf mit närrischem Ernst darauf zu stützen, macht die Augen groß und wirft schlaue Blicke im Kreise der ganzen Familie umher. Dann richtet sie sich auf mit dem lebhaftesten Ausdrucke von Ironie und lächelt über ihre eigne Schlauheit und unsre Inferiorität. Überhaupt hat sie viel Bouffonerie und viel Sinn für Bouffonerie. Mache ich ihre Gebehrden nach, so macht sie mir gleich wieder mein Nachmachen nach; und so haben wir uns eine mimische Sprache gebildet und verständigen uns in den Hieroglyphen der darstellenden Kunst. Zur Poesie glaube ich hat sie weit mehr Neigung als zur Philosophie; so läßt sie sich auch lieber fahren und reiset nur im Nothfall zu Fuß. Die harten Übelklänge unsrer nordischen Mutter[22]sprache verschmelzen auf ihrer Zunge in den weichen und süßen Wohllaut der Italiänischen und Indischen Mundart. Reime liebt sie besonders, wie alles Schöne; sie kann oft gar nicht müde werden, alle ihre Lieblingsbilder, gleichsam eine klassische Auswahl ihrer kleinen Genüsse, sich selbst unaufhörlich nach einander zu sagen und zu singen. Die Blüthen aller Dinge jeglicher Art flicht Poesie in einen leichten Kranz und so nennt und reimt auch Wilhelmine Gegenden, Zeiten, Begebenheiten, Personen, Spielwerke und Speisen, alles durch einander in romantischer Verwirrung, so viel Worte so viel Bilder; und das ohne alle Nebenbestimmungen und künstlichen Übergänge, die am Ende doch nur dem Verstande frommen und jeden kühneren Schwung der Fantasie hemmen. Für die ihrige ist alles in der Natur belebt und beseelt; und ich erinnere mich noch oft mit Vergnügen daran, wie sie in einem Alter von nicht viel mehr als einem Jahre zum erstenmal eine Puppe sah und fühlte. Ein himmlisches Lächeln blühte auf ihrem kleinen Gesichte und sie drückte gleich einen herzlichen Kuß auf die gefärbten Lippen von Holz. Gewiß! es liegt tief in der Natur des Menschen, daß er alles essen will, was er liebt, und jede neue Erscheinung unmittelbar zum Munde führt, um sie da wo möglich in ihre ersten Bestandtheile zu zergliedern. Die gesunde Wißbegierde wünscht ihren Gegenstand ganz zu fassen, bis in sein Innerstes zu durchdringen und zu zerbeißen. Das Betasten dagegen bleibt bey der äußerlichen Oberfläche allein stehn, und alles Begreifen gewährt eine unvollkommene nur mittelbare Erkenntniß. Indessen ist es doch schon ein interessantes Schauspiel, wenn ein geistreiches Kind ein Ebenbild von sich erblickt, es mit den Händen zu begreifen und sich durch diese ersten [23]und letzten Fühlhörner der Vernunft zu orientiren strebt; schüchtern verkriecht und versteckt sich der Fremdling und ämsig ist die kleine Philosophin hinterdrein, den Gegenstand ihrer angefangenen Untersuchung zu verfolgen. –

      Aber freylich ist Geist, Witz und Originalität bey Kindern gerade so selten wie bey Erwachsenen. Doch alles dies und so vieles andre gehört nicht hieher und würde mich über die Gränzen meines Zweckes führen! Denn diese Charakteristik soll ja nichts darstellen als ein Ideal, welches ich mir stets vor Augen halten will, um in diesem kleinen Kunstwerke schöner und zierlicher Lebensweisheit nie von der zarten Linie des Schicklichen zu verirren, und dir, damit du alle die Freyheiten und Frechheiten, die ich mir noch zu nehmen denke, im voraus verzeihst, oder doch von einem höhern Standpunkte beurtheilen und würdigen kannst.

      Habe ich etwa Unrecht, wenn ich die Sittlichkeit bey Kindern, Zartheit und Zierlichkeit in Gedanken und Worten vornehmlich beym weiblichen Geschlecht suche? –

      Und nun sieh! diese liebenswürdige Wilhelmine findet nicht selten ein unaussprechliches Vergnügen darin, auf dem Rücken liegend mit den Beinchen in die Höhe zu gesticuliren, unbekümmert um ihren Rock und um das Urtheil der Welt. Wenn das Wilhelmine thut, was darf ich nicht thun, da ich doch bey Gott! ein Mann bin, und nicht zarter zu seyn brauche wie das zarteste weibliche Wesen?

      O beneidenswürdige Freyheit von Vorurtheilen! Wirf auch du sie von dir, liebe Freundin, alle die Reste von falscher Schaam, wie ich oft die fatalen Kleider von dir riß und in schöner Anarchie umherstreute. Und sollte dir ja dieser kleine Roman meines Lebens zu wild scheinen: so denke [24]dir, daß er ein Kind sey und ertrage seinen unschuldigen Muthwillen mit mütterlicher Langmuth und laß dich von ihm liebkosen.

      Wenn du es mit der Wahrscheinlichkeit und durchgängigen Bedeutsamkeit einer Allegorie nicht so gar strenge nehmen und dabey so viel Ungeschicklichkeit im Erzählen erwarten wolltest, als man von den Bekenntnissen eines Ungeschickten fodern muß, wenn das Costum nicht verletzt werden soll: so möchte ich dir hier einen der letzten meiner wachenden Träume erzählen, da er ein ähnliches Resultat giebt wie die Charakteristik der kleinen Wilhelmine.

      Allegorie von der Frechheit.

      Sorglos stand ich in einem kunstreichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herrlichsten Blumen, ausländischen und einländischen, prangte. Ich sog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben: aber plötzlich sprang ein häßliches Unthier mitten aus den Blumen hervor. Es schien geschwollen von Gift, die durchsichtige Haut spielte in alle Farben und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabey öffnete es Krebsscheeren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Muth, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und sogleich schien es mir nichts [25]als ein gemeiner Frosch. Ich erstaunte nicht wenig, und noch mehr, da plötzlich Jemand ganz dicht hinter mir sagte: »Das ist die öffentliche Meinung, und ich bin der Witz; deine falschen Freunde, jene Blumen sind schon alle welk.« – Ich sah mich um und erblickte eine männliche Gestalt mittlerer Größe; die großen Formen des edlen Gesichts waren so ausgearbeitet und übertrieben, wie wir sie oft an römischen Brustbildern sehn. Ein freundliches Feuer strahlte aus den offnen lichten Augen, und zwey große Locken warfen und drängten sich sonderbar auf der kühnen Stirn. »Ich werde ein altes Schauspiel vor dir erneuern, sprach er: einige Jünglinge am Scheidewege. Ich selbst habe es der Mühe werth gehalten, sie in müssigen Stunden mit der göttlichen Fantasie zu erzeugen. Es sind die ächten Romane, vier an der Zahl und unsterblich wie wir.« – Ich schaute wohin er winkte, und ein schöner Jüngling flog kaum bekleidet über die grüne Ebne. Schon war er fern und ich sah nur noch eben, daß er sich auf ein Roß schwang und davon eilte als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beynah ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung nebst der treuherzigen Freundlichkeit in seinen bedeutenden Blicken und umständlichen Gebehrden gab ihm dennoch eine gewisse altväterische Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Abhange und sonnte sich in den letzten Strahlen; dann sprang er auf, entkleidete [26]sich, stürzte in den Strom und spielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf sich von neuem in die Fluth. Fernab im Dunkel des Hains schwebte etwas in Griechischem Gewande wie eine Gestalt: aber wenn es eine ist, dachte ich, so kann sie kaum der Erde angehören; so matt waren die Farben, so eingehüllt das


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