Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe. Friedrich Schlegel
Читать онлайн книгу.Feuer da ist, was durchbrechen will. Du kannst leicht denken wie sie einem mitspielen würde, den sie im Ernst liebte. Die weiche und verletzbare Rosamunde wird sich eben so oft anneigen als wegwenden, bis »scheue Zartheit kühner wird und nichts als Unschuld sieht in inn’ger Liebe Thun.« Juliane hat eben so viel Poesie als Liebe, eben so viel Enthusiasmus als Witz: aber beydes ist zu isolirt in ihr, darum wird sie bisweilen über das kühne Chaos weiblich erschrecken, und dem Ganzen etwas mehr Poesie und etwas weniger Liebe wünschen.
Ich könnte so noch lange fortfahren, denn ich strebe aus allen Kräften nach Menschenkenntniß, und ich weiß meine Einsamkeit oft nicht würdiger anzuwenden, als indem ich darüber reflektire, wie diese oder jene interessante Frau in diesem oder jenem interessanten Verhältnisse wohl seyn und sich verhalten dürfte. Doch genug für jetzt, sonst möchte es dir zu viel werden, und die Vielseitigkeit deinem Propheten übel gerathen.
Denke nur nicht so arg von mir und glaube, daß ich nicht allein für dich sondern für die Mitwelt dichte. Glaube mir, es ist mir bloß um die Objektivität meiner Liebe zu thun. [38]Diese Objektivität und jede Anlage zu ihr bestätigt und bildet ja eben die Magie der Schrift, und weil es mir versagt ist, meine Flamme in Gesänge auszuhauchen, muß ich den stillen Zügen das schöne Geheimniß vertrauen. Dabey denke ich aber eben so wenig an die ganze Mitwelt, als an die Nachwelt. Und muß es ja eine Welt seyn, an die ich denken soll: so sey es am liebsten die Vorwelt. Die Liebe selbst sey ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache sey frey und kühn, nach alter klassischer Sitte, nicht züchtiger wie die römische Elegie und die Edelsten der größten Nazion, und nicht vernünftiger wie der große Plato und die heilige Sappho.
Idylle über den Müssiggang.
»Sieh ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherley Weisen mir in die Seele gepflanzt.« So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der Faulheit. Mit wem sollte ich also lieber über den Müssiggang denken und reden als mit mir selbst? Und so sprach ich denn auch in jener unsterblichen Stunde, da mir der Genius eingab, das hohe Evangelium der ächten Lust und Liebe zu verkündigen, zu mir selbst: »O Müssiggang, Müssiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich athmen die Seeligen, und seelig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.« Ich saß, da ich so in mir sprach, wie ein nachdenkliches Mädchen in einer gedankenlosen Romanze am Bach, [39]sah den fliehenden Wellen nach. Aber die Wellen flohen und floßen so gelassen, ruhig und sentimental, als sollte sich ein Narcissus in der klaren Fläche bespiegeln und sich in schönem Egoismus berauschen. Auch mich hätte sie locken können, mich immer tiefer in die innere Perspektive meines Geistes zu verlieren, wenn nicht meine Natur so uneigennützig und so praktisch wäre, daß sogar meine Spekulazion unaufhörlich nur um das allgemeine Gute besorgt ist. Daher dachte ich auch, ungeachtet mein Gemüth in seiner Behaglichkeit so matt war, wie die von der gewaltigen Hitze aufgelösten und hingesunknen Glieder, ernstlich über die Möglichkeit einer dauernden Umarmung nach. Ich sann auf Mittel das Beysammenseyn zu verlängern, und künftig lieber alle kindlich rührenden Elegieen über plötzliche Trennung zu verhüten, als uns wie bisher an dem Komischen einer solchen Fügung des Schicksals zu ergötzen, weil es nun doch einmal geschehen und unabänderlich sey. Erst nachdem die Kraft der angespannten Vernunft an der Unerreichbarkeit des Ideals brach und erschlaffte, überließ ich mich dem Strome der Gedanken, und hörte willig alle die bunten Mährchen an, mit denen Begierde und Einbildung, unwiderstehliche Sirenen in meiner eignen Brust, meine Sinne bezauberten. Es fiel mir nicht ein das verführerische Gaukelspiel unedel zu kritisiren, ungeachtet ich wohl wußte, daß das meiste nur schöne Lüge sey. Die zarte Musik der Fantasie schien die Lücken der Sehnsucht auszufüllen. Dankbar nahm ich das wahr und beschloß, was das hohe Glück mir diesmal gegeben, auch künftig durch eigne Erfindsamkeit für uns beide zu wiederholen, und dir dieses Gedicht der Wahrheit zu beginnen. So erzeugte sich der erste Keim zu dem wundersa[40]men Gewächs von Willkühr und Liebe. Und frey wie es entsprossen ist, dacht’ ich, soll es auch üppig wachsen und verwildern, und nie will ich aus niedriger Ordnungsliebe und Sparsamkeit die lebendige Fülle von überflüssigen Blättern und Ranken beschneiden.
Gleich einem Weisen des Orients war ich ganz versunken in ein heiliges Hinbrüten und ruhiges Anschauen der ewigen Substanzen, vorzüglich der deinigen und der meinigen. Größe in Ruhe, sagen die Meister, sey der höchste Gegenstand der bildenden Kunst; und ohne es deutlich zu wollen, oder mich unwürdig zu bemühen, bildete und dichtete ich auch unsre ewigen Substanzen in diesem würdigen Styl. Ich erinnerte mich, und ich sah uns, wie gelinder Schlaf die Umarmten mitten in der Umarmung umfing. Dann und wann öffnete einer die Augen, lächelte über den süßen Schlaf des andern und wurde wach genug um ein scherzendes Wort, eine Liebkosung zu beginnen: aber noch ehe der angefangene Muthwille geendigt war, sanken wir beide fest verschlungen in den seeligen Schooß einer halbbesonnenen Selbstvergessenheit zurück.
Mit dem äußersten Unwillen dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahiren wollen. Sie haben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtseyn und Absicht nichts thun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und einer liberalen Sorglosigkeit und Unthätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigne [41]Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann dieser Sturm und Drang der unendlichen Pflanze der Menschheit, die im Stillen von selbst wächst und sich bildet, nährenden Saft oder schöne Gestaltung geben? Nichts ist es, dieses leere unruhige Treiben, als eine nordische Unart und wirkt auch nichts als Langeweile, fremde und eigne. Und womit beginnt und endigt es als mit der Antipathie gegen die Welt, die jetzt so gemein ist? Der unerfahrne Eigendünkel ahndet gar nicht daß dies nur Mangel an Sinn und Verstand sey und hält es für hohen Unmuth über die allgemeine Häßlichkeit der Welt und des Lebens, von denen er doch noch nicht einmal das leiseste Vorgefühl hat. Er kann es nicht haben, denn der Fleiß und der Nutzen sind die Todesengel mit dem feurigen Schwerdt, welche dem Menschen die Rückkehr ins Paradies verwehren. Nur mit Gelassenheit und Sanftmuth, in der heiligen Stille der ächten Passivität kann man sich an sein ganzes Ich erinnern, und die Welt und das Leben anschauen. Wie geschieht alles Denken und Dichten als daß man sich der Einwirkung irgend eines Genius ganz überläßt und hingiebt? Und doch ist das Sprechen und Bilden nur Nebensache in allen Künsten und Wissenschaften, das Wesentliche ist das Denken und Dichten, und das ist nur durch Passivität möglich. Freylich ist es eine absichtliche, willkührliche, einseitige, aber doch Passivität. Je schöner das Klima ist, je passiver ist man. Nur Italiäner wissen zu gehen, und nur die im Orient verstehen zu liegen; wo hat sich aber der Geist zarter und süßer gebildet als in Indien? Und unter allen Himmelsstrichen ist es das Recht des Müssiggangs was Vornehme und Gemeine unterscheidet, und das eigentliche Prinzip des Adels.
[42]Endlich wo ist mehr Genuß, und mehr Dauer, Kraft und Geist des Genusses; bey den Frauen, deren Verhältniß wir Passivität nennen, oder etwa bey den Männern, bey denen der Übergang von übereilender Wuth zur Langenweile schneller ist, als der Übergang vom Guten zum Bösen?
In der That man sollte das Studium des Müssiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Natur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als ein reines Vegetiren.
Ich nahm mir vor, mich zufrieden im Genuß meines Daseyns über alle doch endliche, und also verächtliche Zwecke und Vorsätze zu erheben. Die Natur selbst schien mich in diesem Unternehmen zu bestärken, und mich gleichsam in vielstimmigen Chorälen zum fernern Müssiggang zu ermahnen, als sich plötzlich eine neue Erscheinung offenbarte. Ich glaubte unsichtbarerweise in einem Theater zu seyn: auf der einen Seite zeigten sich die bekannten Bretter, Lampen, und bemalten Pappen; auf der andern ein unermeßliches Gedränge von Zuschauern, ein wahres Meer von wißbegierigen Köpfen und theilnehmenden Augen. An der rechten Seite des Vorgrundes