Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe. Friedrich Schlegel

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Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe - Friedrich Schlegel


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wen sollte also wohl die Rhetorik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unschuld richten als an alle Frauen, in deren zarten Herzen das heilige Feuer der göttlichen Wollust tief verschlossen ruht, und nie ganz verlö[32]schen kann, wenn es auch noch so sehr verwahrlost und verunreinigt wird? Nächstdem freylich auch an die Jünglinge, und an die Männer die noch Jünglinge geblieben sind. Bey diesen ist aber schon ein großer Unterschied zu machen. Man könnte alle Jünglinge eintheilen in solche, die das haben, was Diderot die Empfindung des Fleisches nennt, und in solche die es nicht haben. Eine seltne Gabe! Viele Maler von Talent und Einsicht streben ihr ganzes Leben umsonst danach, und viele Virtuosen der Männlichkeit vollenden ihre Laufbahn, ohne eine Ahndung davon gehabt zu haben. Auf dem gemeinen Wege kommt man nicht dahin. Ein Libertin mag verstehen mit einer Art von Geschmack den Gürtel zu lösen. Aber jenen höhern Kunstsinn der Wollust, durch den die männliche Kraft erst zur Schönheit gebildet wird, lehrt nur die Liebe allein den Jüngling. Es ist Elektrizität des Gefühls, dabey aber im Innern ein stilles leises Lauschen, im Äußern eine gewisse klare Durchsichtigkeit, wie in den hellen Stellen der Malerey, die ein reizbares Auge so deutlich fühlt. Es ist eine wunderbare Mischung und Harmonie aller Sinne: so giebt es auch in der Musik ganz kunstlose, reine, tiefe Accente, die das Ohr nicht zu hören, sondern wirklich zu trinken scheint, wenn das Gemüth nach Liebe durstet. Übrigens aber möchte sich die Empfindung des Fleisches nicht weiter definiren lassen. Das ist auch unnöthig. Genug sie ist für Jünglinge der erste Grad der Liebeskunst und eine angeborne Gabe der Frauen, durch deren Gunst und Huld allein sie jenen mitgetheilt, und angebildet werden kann. Mit den Unglücklichen, die sie nicht kennen, muß man nicht von Liebe reden: denn von Natur ist in dem Manne zwar ein Bedürfniß aber kein Vorgefühl derselben. Der zweyte Grad [33]hat schon etwas Mystisches, und könnte leicht vernunftwidrig scheinen wie jedes Ideal. Ein Mann der das innere Verlangen seiner Geliebten nicht ganz füllen und befriedigen kann, versteht es gar nicht zu seyn, was er doch ist und seyn soll. Er ist eigentlich unvermögend, und kann keine gültige Ehe schließen. Zwar verschwindet auch die höchste endliche Größe vor dem Unendlichen, und durch bloße Kraft läßt sich also das Problem auch bey dem besten Willen nicht auflösen. Aber wer Fantasie hat, kann auch Fantasie mittheilen, und wo die ist, entbehren die Liebenden gern, um zu verschwenden; ihr Weg geht nach Innen, ihr Ziel ist intensive Unendlichkeit, Unzertrennlichkeit ohne Zahl und Maaß; und eigentlich brauchen sie nie zu entbehren, weil jener Zauber alles zu ersetzen vermag. Aber still von diesen Geheimnissen! Der dritte und höchste Grad ist das bleibende Gefühl von harmonischer Wärme. Welcher Jüngling das hat, der liebt nicht mehr bloß wie ein Mann, sondern zugleich auch wie ein Weib. In ihm ist die Menschheit vollendet, und er hat den Gipfel des Lebens erstiegen. Denn gewiß ist es, daß Männer von Natur bloß heiß oder kalt sind: zur Wärme müssen sie erst gebildet werden. Aber die Frauen sind von Natur sinnlich und geistig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art.

      Wenn dieses tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt, und gar gelesen wird, so muß es auf alle glücklichen Jünglinge ungefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verschieden nach den verschiedenen Stufen ihrer Ausbildung. Denen vom ersten Grad wird es die Empfindung des Fleisches erregen; die vom zweyten kann es ganz befriedigen; und denen vom dritten soll bloß warm dabey werden.

      [34]Ganz anders würde es mit den Frauen seyn. Unter ihnen giebt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe schon ganz in sich, von deren unerschöpflichem Wesen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. Schon entfaltet, oder noch im Keime, das ist gleich viel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwissenheit doch schon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schooß gezündet, und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat. Und wenn eine Knospe Gefühle hätte, würde nicht das Vorgefühl der Blume deutlicher in ihr seyn, als das Bewußtseyn ihrer selbst? –

      Darum giebt es in der weiblichen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts allgemeines; sondern so viel Individuen, so viel eigenthümliche Arten. Kein Linné kann uns alle diese schönen Gewächse und Pflanzen im großen Garten des Lebens klassifiziren und verderben; und nur der eingeweihte Liebling der Götter versteht ihre wunderbare Botanik; die göttliche Kunst, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu errathen und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüthe sey und welches Erdreich sie bedürfen. Da wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menschen ist, da ist auch der eigentliche Mittelpunkt der Originalität, und kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet.

      Eines zwar scheint die Frauen in zwey große Klassen zu theilen. Das nämlich, ob sie die Sinne achten und ehren, die Natur, sich selbst und die Männlichkeit: oder ob sie diese wahre innere Unschuld verloren haben, und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllosigkeit gegen innere Misbilligung. Das ist ja die Geschichte so vieler. Erst scheuen sie die Männer, dann werden sie Unwürdigen hin[35]gegeben, welche sie bald hassen oder betrügen, bis sie sich selbst und die weibliche Bestimmung verachten. Ihre kleine Erfahrung halten sie für allgemein und alles andre für lächerlich; der enge Kreis von Rohheit und Gemeinheit, in dem sie sich beständig drehen, ist für sie die ganze Welt, und es fällt ihnen gar nicht ein, daß es auch noch andre Welten geben könne. Für diese sind die Männer nicht Menschen, sondern bloß Männer, eine eigne Gattung, die fatal aber doch gegen die Langeweile unentbehrlich ist. Sie selbst sind denn auch eine bloße Sorte, eine wie die andre, ohne Originalität und ohne Liebe.

      Aber sind sie unheilbar weil sie ungeheilt sind? Mir ist es so einleuchtend und klar, daß nichts unnatürlicher für eine Frau sey, als Prüderie (ein Laster an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wuth denken kann) und nichts beschwerlicher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Gränze bestimmen, und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube ihre Unnatur kann nie zuverläßig werden, wenn sie auch noch so viel Leichtigkeit und Unbefangenheit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Consequenz und Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe ist durchaus unverlöschlich, und noch unter der tiefsten Asche glühen Funken.

      Diese heilige Funken zu wecken, von der Asche der Vorurtheile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren; das wäre das höchste Ziel meines männlichen Ehrgeizes. Laß mich’s bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bildung ist.

      [36]Es ist die älteste kindlichste einfachste Religion, zu der ich zurückgekehrt bin. Ich verehre als vorzüglichstes Sinnbild der Gottheit das Feuer; und wo giebts ein schöneres, als das was die Natur tief in die weiche Brust der Frauen verschloß? – Weihe du mich zum Priester, nicht um es müßig zu beschauen, sondern um es zu befreyen, zu wecken, und zu reinigen: wo es rein ist, erhält es sich selber, ohne Wache und ohne Vestalinnen.

      Ich schreibe und schwärme, wie du siehst, nicht ohne Salbung; aber es geschieht auch nicht ohne Beruf, und zwar göttlichen Beruf. Was darf sich der nicht zutrauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffneten Himmel herab sprach: »Du bist mein lieber Sohn an dem ich Wohlgefallen habe.« – Und warum soll ich nicht aus eigner Vollmacht und Willkühr von mir sagen: »Ich bin des Witzes lieber Sohn;« wie mancher Edle, der auf Abentheuer durch’s Leben wanderte, von sich sagte: »Ich bin des Glückes lieber Sohn.« –

      Übrigens wollte ich eigentlich davon reden, welchen Eindruck dieser fantastische Roman auf die Frauen machen würde, wenn der Zufall oder die Willkühr ihn fände und öffentlich aufstellte. Es wäre auch in der That unschicklich, wenn ich dir nicht in aller Kürze mit einigen kleinen Beweisen von Weissagung und Divination aufwartete, um mein Recht auf die Priesterwürde darzuthun.

      Verstehen würden mich alle, keine so mißverstehen und so mißbrauchen wie die uneingeweihten Jünglinge. Viele würden mich besser verstehen als ich selbst, aber nur Eine ganz, und die bist du. Alle übrigen hoffe ich wechselsweise anzuziehen und abzustoßen, oft zu verletzen und eben so oft zu versöhnen. Bey jeder gebildeten wird der Eindruck [37]ganz verschieden, und ganz eigen seyn; so eigen und so verschieden wie ihre eigenthümliche Art zu seyn, und zu lieben. Clementinen wird das Ganze bloß interessiren als eine Sonderbarkeit, hinter der aber doch wohl etwas seyn könnte; einiges indessen wird sie richtig finden. Man nennt sie hart und heftig, und doch glaube ich an ihre Liebenswürdigkeit. Ihre Heftigkeit


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