Der schwarze Mustang. Karl May

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Der schwarze Mustang - Karl May


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in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.

      Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet als alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und von ihrem Wert, horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer und die Chinesen blickten erst mit Neugier und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren der beiden wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen zurückkehrte und die Letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen.

      Endlich konnte sich der eine nicht länger beherrschen; er fragte leise: „Hast du alles gehört?“

      „Ja“, antwortete der andere.

      „Und gesehen?“

      „Und gesehen!“

      „Auch die Gewehre?“

      „Auch!“

      „Wie kostbar sie sind!“

      „Ja.“

      „Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten, wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsere Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!“

      Es trat eine Pause ein, sie überlegten. Nach einer Weile tat der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, während er listig mit den schiefen Augen blinzelte:

      „Ahnst du, wo die Gewehre liegen?“

      „Ich weiß es“, lautete die Antwort.

      „Nun wo?“

      „Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben und niemand wüsste, wer sie geholt hat.“

      „Und später könnten wir sie in Frisco[11] verkaufen. Wir bekämen viel, sehr viel Geld dafür; dann wären wir reiche Herren und könnten nach dem Reich der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.“

      „Ja, das könnten wir wirklich, wenn wir nur wollten!“

      Nach einer abermaligen Pause, während der sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt: „Das Haus des Engineers ist steinern und niemand kann durch die Fenster!“

      „Und die Tür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloss!“

      „Aber das Dach! Weißt du nicht, dass es aus Shingles[12] gemacht ist?“

      „Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Öffnung machen und einsteigen.“

      „Leitern gibt es genug!“

      „Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.“

      „Man müsste sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen mehr als genug Bastmatten umher.“

      Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen und die Art und Weise, wie sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andere.

      Eben als dieser Letztere verschwunden war, trat ein neuer Ankömmling ein. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemd, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, das im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang und voll auf den Rücken hinab und am Hals trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.

      Er blieb im Eingang stehen, um sein Auge an das plötzliche Licht zu gewöhnen, warf einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.

      Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleinen Raum, wo die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andere Wirkung, als dass man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.

      Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, dass es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als seien sie füreinander gar nicht vorhanden; aber hie und da flog doch unter den gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Dann stand der Scout von seinem Tisch auf und schritt dem Ausgang zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er tut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.

      Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffällig vorkam: Winnetou und Old Shatterhand. Sofort richteten sie ihre Augen scheinbar von der Tür weg, aber nur scheinbar, denn wer das wohlgeübte Auge eines Westmanns kennt, der weiß, dass es im Stande ist, auch von der Seite her so viele Strahlen aufzunehmen, um genau zu sehen, was da geschieht, wohin es nicht zu blicken scheint.

      An der Tür angekommen, drehte sich der Scout für einige Sekunden um; er sah kein einziges Auge auf sich gerichtet und gab mit einer schnellen, kurzen Bewegung der Hand dem Roten ein Zeichen, dessen Bedeutung nur dem verständlich sein konnte, mit dem es verabredet worden war. Dann drehte er sich wieder um und trat in die dunkle Nacht hinaus.

      Dieses Zeichen war ebensowohl von Winnetou wie auch von Old Shatterhand bemerkt worden; sie tauschten nur einen Blick miteinander aus und waren dann, ohne ein Wort gesprochen zu haben, darüber einig, was zu geschehen hatte. Was sie vermuteten und was sie wollten, war Folgendes: Der fremde Indianer stand im heimlichen Einvernehmen mit dem Scout, denn er hatte ein Zeichen von ihm bekommen. Heimlich war dieses Einvernehmen, weil sie darauf bedacht gewesen waren, es nicht sehen und wissen zu lassen. Aus dieser Heimlichkeit war auf eine böse Absicht zu schließen, der man unbedingt auf die Spur kommen musste. Es musste nun jemand dem Scout folgen, um sein Tun zu belauschen. Da nun mit Sicherheit anzunehmen war, dass es sich um den Indianer handle, wollte Winnetou dieses Beschleichen übernehmen. Leider durfte er da nicht zur Tür hinaus, denn diese war hell beleuchtet und der Scout stellte sich gewiss so auf, dass er jede Person, die den Schuppen verließ, sehen konnte. Glücklicherweise hatte der Apatsche vorhin bemerkt, dass es hinter den Fässern, Ballen und Kisten eine kleine Tür gab, wohl zu dem Zweck, diese Gegenstände herein- und hinausschaffen zu können, ohne dass man erst nach dem Haupteingang musste. Durch diese Hintertür wollte der Häuptling hinaus. Da dies aber möglichst unbemerkt zu geschehen hatte, so musste er warten, bis die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Old Shatterhand gerichtet worden war, was sicherlich sofort geschah, sobald dieser mit dem Indianer zu sprechen begann.

      Das war das Zweite, was man tun musste, nämlich den Indianer ins Verhör nehmen, um womöglich etwas aus ihm herauszulocken, was auf seine Absichten schließen ließ.

      Old Shatterhand zögerte auch gar nicht, seine Forschung zu beginnen, und als alle auf ihn hörten und ihre Augen auf ihn richteten, glitt Winnetou von dem Tisch fort, um hinter den Fässern zu verschwinden und zu der erwähnten Tür zu gelangen.

      Der Indsman war ein kräftig gebauter, in den mittleren Jahren stehender Mann. Bald zeigte es sich, dass er auch in Beziehung auf seinen Verstand kein Schwächling war. Dies hatte Old Shatterhand freilich vorausgesehen, denn solch heimliche und gefährliche Aufträge pflegt nur ein kluger Krieger zu bekommen.

      „Mein roter Bruder hat sich fern von uns gesetzt. Will er nichts essen oder trinken?“, so lautete die erste Frage Old Shatterhands.

      Der Rote antwortete nur mit einem Kopfschütteln.

      „Warum nicht? Hast du weder Durst noch Hunger?“

      „Juwaruwa hat Hunger und auch Durst, aber er hat kein Geld“, ließ sich jetzt der Rote hören.

      „Juwaruwa,


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