Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.zu geben …«
Du Roy hörte diesen Worten zu und war von Stolz berauscht. Ein Prälat der römischen Kirche, der so zu ihm sprach. Und er fühlte hinter seinem Rücken die Menge, eine vornehme, erlauchte Menge, die seinetwegen gekommen war. Und es war ihm, als trüge und erhöbe ihn eine geheimnisvolle Kraft.
Er wurde nun einer der Herren dieser Erde. Er, der Sohn zweier armer Bauern aus Canteleu. Und er sah sie plötzlich in ihrer niedrigen Wirtsstube, hoch oben auf dem Bergkamm über dem Tal von Rouen; er sah seinen Vater und seine Mutter, wie sie den Bauern der Umgegend zu trinken gaben.
Er hatte ihnen 5000 Francs geschickt, als er den Grafen de Vaudrec beerbte. Nun würde er ihnen 50000 Francs schicken, sie würden sich ein kleines Landgut kaufen. Sie würden zufrieden und glücklich sein.
Der Bischof hatte seine Ansprache beendet. Ein Priester in goldbestickter Stola stieg die Stufen zum Altar hinauf. Und die Orgel verkündete wieder die Herrlichkeit der Neuvermählten.
Es waren langgezogene, gewaltige, schwellende Klänge wie Meereswogen; sie schallten so mächtig, als müssten sie das Gewölbe hochheben und sprengen, um gegen den blauen Himmel emporzusteigen. Ihre bebenden Klänge erfüllten die ganze Kirche und ließen die Herzen erzittern. Auf einmal wurden sie stiller, und leichte, flüchtige Klänge schwebten in der Luft und berührten das Ohr wie ein leiser Hauch. Es waren graziöse, leichte, sprudelnde Gesänge, die wie Vogelgezwitscher klangen; und wieder schwoll diese anmutige Musik, breitete sich aus, gewaltig, voll und mächtig, wie wenn ein Sandkorn sich in ein ungeheueres Weltall verwandelte.
Dann erhoben sich menschliche Stimmen und glitten über die gebeugten Köpfe der Versammelten dahin. Vauri und Landeck von der Oper sangen. Der Weihrauch verbreitete einen zarten Harzduft und auf dem Altar wurde das Messopfer vollzogen. Der Gottesmensch stieg auf den Ruf des Priesters auf die Erde hinab, um den Triumph des Barons Georges Du Roy zu segnen.
Bel-Ami kniete mit gesenktem Kopf neben Suzanne. In diesem Augenblick fühlte er sich beinahe gläubig, beinahe fromm, voll Dankbarkeit für die Gottheit, die ihn so begünstigt und so rücksichtsvoll behandelt hatte. Und ohne recht zu wissen, an wen er sein Gebet richtete, dankte er für seinen Erfolg.
Als der Gottesdienst zu Ende war, richtete er sich auf, reichte seiner Gemahlin den Arm und ging mit ihr in die Sakristei. Und nun begannen die endlosen Gratulationen. Georges war wahnsinnig vor Freude und hielt sich für einen König, dem das Volk zujauchzte. Er drückte die Hände, stammelte nichtssagende Worte, grüßte und antwortete auf die Glückwünsche: »Ich danke herzlichst.«
Plötzlich erblickte er Madame de Marelle, und die Erinnerung an all die Küsse, die er ihr gegeben und die sie ihm erwidert hatte, die Erinnerungen an alle die Zärtlichkeiten und Liebkosungen, an den Klang ihrer Stimme und an den Reiz ihrer Lippen, — alles das ließ sein Blut heiß durch die Adern rinnen und wieder überfiel ihn ein jähes Verlangen, sie zu besitzen.
Sie war hübsch, elegant, mit ihrer kecken Art und ihren lebhaften Augen. Georges dachte: »Aber sie ist doch eine reizende Geliebte.«
Sie näherte sich ihm etwas schüchtern, etwas verlegen und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie und behielt sie in der seinen. Da fühlte er den leisen Lockruf der Frauenfinger, den sanften Druck, der verzeiht, und alles wieder gutmacht. Er drückte diese kleine Hand, als wollte er sagen: »Ich liebe dich noch immer, ich bin dein!«
Ihre Augen trafen sich lächelnd, strahlend und voller Liebe. Und sie sagte, leise und graziös:
»Auf Wiedersehen, mein Herr!«
Er antwortete heiter:
»Auf Wiedersehen, gnädige Frau!«
Dann ging sie.
Die anderen drängten heran. Die Menge rollte an ihm vorüber wie ein Strom. Endlich lichtete sie sich und die letzten Gratulanten gingen vorbei.
Georges bot Suzanne wieder den Arm, um durch die Kirche hinauszugehen.
Sie war voll von Menschen, denn jeder ging wieder auf seinen Platz zurück, um sie beide vorbeischreiten zu sehen. Er ging langsam, mit ruhigen Schritten und mit erhobenem Haupt, die Augen fest auf die sonnenbeleuchtete Öffnung des Portals gerichtet. Er fühlte, wie immer wieder ein Schauer über seine Haut lief, der kalte Schauer des unendlichen großen Glücks. Er sah niemanden, er dachte nur an sich.
Als er auf die Schwelle trat, blickte er auf die dicht gedrängte, schwarze, lärmende Menge, die seinetwegen gekommen war. Ihn, Georges Du Roy, betrachtete das Volk von Paris, ihn beneidete es auch.
Dann hob er die Augen und sah dort jenseits der Place de la Concorde die Abgeordnetenkammer. Und es war ihm, als brauchte er nur noch einen Sprung, um vom Tor der Madeleinekirche zum Tor des Palais Bourbon zu gelangen. Er ging langsam zwischen zwei lebendigen Mauern von Zuschauern die Stufen des hohen Kirchenaufganges hinab. Doch er sah nichts, seine Gedanken flogen jetzt zurück und vor seinen Augen, die von der strahlenden Sonne geblendet waren, flatterte das Bild von Madame de Marelle, wie sie vor dem Spiegel ihre frisierten Löckchen an den Schläfen zurecht ordnete, die jedes Mal zerzaust waren, wenn sie aus dem Bett sprang.
I.
Man ging jeden Abend gegen 11 Uhr dorthin, ganz einfach wie in ein Kaffeehaus. Es fanden sich ihrer dort gegen sechs oder acht zusammen, immer dieselben, keine Lebemänner, sondern ehrbare Herren, junge Geschäftsleute aus der Stadt, die ihre Chartreuse tranken, ein wenig die jungen Mädchen neckten, oder noch lieber ein vernünftiges Gespräch mit »Madame« führten, vor der sie alle großen Respekt hatten.
Dann ging man noch vor Mitternacht nach Hause, um sein Bett aufzusuchen; und nur hin und wieder blieben einige junge Leute zurück.
Es war ein trauliches Haus, ziemlich klein, gelb angestrichen und lag im Winkel einer Strasse hinter der Kirche Saint-Etienne; von seinen Fenstern aus sah man den Hafen mit seinen Schiffen, die der Löschung harrten, den großen schmutzigen Sumpf, »la Retenue« genannt, und dahinter den Gipfel der Jungfrau mit seiner alten grauen Kapelle.
»Madame«, die aus guter Familie, von Landleuten im Departement de l’Eure stammte, hatte dieses Metier ebenso übernommen, als wenn sie Modistin oder Konfektioneuse geworden wäre. Das Brandmal der Schande, welches in den Städten der Prostitution so scharf und deutlich aufgeprägt ist, haftet in der Normandie derselben auf dem