Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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      Da gab es wel­che in blau­er, in rosa, in ro­ter, vio­let­ter, grau­er und ro­sen­ro­ter Sei­de, mit Me­tall­ver­schluss, aus zwei ver­gol­de­ten, sich küs­sen­den Amors her­ge­stellt. Die Mäd­chen jauchz­ten vor Ver­gnü­gen und prüf­ten die Mus­ter, ganz hin­ge­ris­sen von der Neu­gier­de, die jede Frau beim An­blick ei­nes Toi­let­te­ge­gen­stan­des emp­fin­det. Sie wink­ten sich mit den Au­gen, flüs­ter­ten sich ein­zel­ne Wor­te ins Ohr und Ma­da­me be­tas­te­te mit Wohl­ge­fal­len ein paar oran­gen­far­be­ne Strumpf­bän­der, die viel brei­ter und an­sehn­li­cher als die üb­ri­gen wa­ren; rich­ti­ge ech­te Strumpf­bän­der für eine »Ma­da­me.«

      Der Herr sah war­tend zu; eine neue Idee war in ihm auf­ge­taucht. »Vor­wärts, mei­ne Kätz­chen,« sag­te er, »nun pro­biert sie an.« Das gab ein lau­tes Ge­schrei; sie press­ten ihre Rö­cke zwi­schen den Kni­en, als be­fürch­te­ten sie einen Ge­walt­streich. Er war­te­te in­des­sen ru­hig den rich­ti­gen Au­gen­blick ab: »Ihr wollt nicht, gut, dann kann ich wie­der ein­pa­cken,« Sch­liess­lich sag­te er: »Ich bie­te den­je­ni­gen ein Paar zur Aus­wahl an, die sie hier an­pro­bie­ren.« Aber sie gin­gen nicht dar­auf ein, und hiel­ten sich sehr wür­de­voll zu­rück. Die bei­den »Feu­er­sprit­zen« in­dess mach­ten ein so be­trüb­tes Ge­sicht, dass er ih­nen ge­gen­über sei­nen Vor­schlag er­neu­er­te. Schau­kel-Flo­ra vor al­lem schi­en, von leb­haf­ter Be­gier­de ge­sta­chelt, sicht­lich zu schwan­ken. »Geh doch, Mäd­chen!« dräng­te er sie, »hab nur et­was Mut; sieh nur die­ses Lila Paar müss­te herr­lich zu Dei­ner Toi­let­te pas­sen.« Da war es aus, und Flo­ra hob die Klei­der und zeig­te das di­cke, not­dürf­tig in einen gro­ben Strumpf ge­zwäng­te Bein ei­ner Kuh­magd. Der Herr beug­te sich nie­der und ver­schloss das Strumpf­band zu­erst un­ter dem Knie, dann über dem­sel­ben, wo­bei er das Mäd­chen lei­se kit­zel­te, was sie zu klei­nen Schre­ckens­schrei­en und plötz­li­chem Zu­sam­men­zu­cken ver­an­lass­te. Als er fer­tig war, gab er ihr das lila Paar und frag­te:

      »Wer ist jetzt dran?«

      »Ich, ich,« rie­fen alle auf ein­mal.

      Er be­gann mit Rosa, wel­che ein run­des un­förm­li­ches Ding zeig­te, bei dem man nicht ein­mal die Knö­chel mehr sah, eine rich­ti­ge »Wurst von ei­nem Bein« wie Ra­phae­le sag­te. Fer­n­an­de wur­de von dem Kom­mis be­glück­wünscht, der von ih­ren mäch­ti­gen Stem­peln ganz ent­zückt war; die ma­ge­ren Stö­cke der schö­nen Jü­din da­ge­gen fan­den we­ni­ger sei­nen Bei­fall. Loui­se Co­co­te be­deck­te scher­zes­hal­ber den Kopf des Herrn mit ih­rem Rock; Ma­da­me schritt aber so­fort ein, um die­se un­ziem­li­che Spie­le­rei zu be­en­den. Sch­liess­lich bot sie selbst ihm ihr Bein hin, ein schö­nes wohl­pro­por­tio­nier­tes und mus­ku­lö­ses Nor­man­nier-Bein; der Rei­sen­de war so über­rascht und ent­zückt, dass er sei­nen Hut lüf­te­te um mit echt fran­zö­si­scher Galan­te­rie die­se Mus­ter­wa­de zu be­grüs­sen.

      Die bei­den Land­leu­te wag­ten, starr vor Schre­cken, nur mit ei­nem Auge hin zu bli­cken und sie gli­chen so voll­stän­dig Hüh­nern, die auf dem Nes­te hocken, dass der Rei­sen­de, als er wie­der auf­stand, ih­nen ein lau­tes »Ki-ke-ri-ki« ins Ge­sicht kräh­te, was na­tür­lich ein neu­es stür­mi­sches Ge­läch­ter her­vor­rief.

      In Mot­te­ville stie­gen die bei­den Al­ten mit ih­rem Kor­be, ih­ren En­ten und ih­rem mäch­ti­gen Re­gen­schir­me aus und man konn­te noch hö­ren, wie die Frau zu ih­rem Man­ne sag­te; »Das sind al­les die Fol­gen von die­sem Teu­fels-Pa­ris«.

      Der lie­bens­wür­di­ge Ge­schäfts­rei­sen­de stieg erst in Rou­en aus, nach­dem er in­zwi­schen noch so zu­dring­lich ge­wor­den war, dass Ma­da­me sich ge­zwun­gen sah, ihn ener­gisch auf sei­nen Sitz zu­rück­zu­drücken.

      »Das soll uns leh­ren, uns noch­mals mit dem ers­ten bes­ten in ein Ge­spräch ein­zu­las­sen«, füg­te sie mit mo­ra­li­scher Ent­rüs­tung hin­zu.

      In Ois­sel muss­te man um­stei­gen und ei­ni­ge Sta­tio­nen wei­ter stand Herr Jo­seph Ri­vet auf dem Per­ron, um sie zu er­war­ten. Er hat­te eine große mit Stüh­len be­setz­te Kar­re mit­ge­bracht, vor der ein Schim­mel ge­spannt war.

      Der Tisch­ler küss­te höf­lich sämt­li­che Da­men und führ­te sie zu sei­nem Ge­spann, wo er ih­nen beim Auf­stei­gen be­hilf­lich war. Drei setz­ten sich auf die hin­te­ren Stüh­le, Ra­phae­le, Ma­da­me und ihr Bru­der nah­men auf den drei vor­de­ren Plät­zen und Rosa, für die sich kein Sitz mehr vor­fand, muss­te sich wohl oder übel auf den Kni­en der großen Fer­n­an­de nie­der­las­sen; so ging nun die Fahrt los. Aber bald wur­de der Wa­gen durch den kur­z­en Trab des Klep­pers der­ar­tig zu­sam­men­ge­rüt­telt, dass die Stüh­le zu tan­zen an­fin­gen und die Rei­sen­den nach al­len Sei­ten her­um­flo­gen; sie be­weg­ten sich wie Ham­pel­män­ner, schnit­ten jäm­mer­li­che Ge­sich­ter und lies­sen bei je­dem neu­en Sto­ss einen Schrei des Schre­ckens hö­ren. Trotz­dem sie sich krampf­haft an den Sei­ten des Wa­gens fest­hiel­ten rutsch­ten ih­nen die Hüte bald ins Ge­sicht, bald in den Na­cken. Da­bei trab­te der Schim­mel mit vor­ge­streck­tem Kop­fe lus­tig wei­ter, den Schwanz, einen klei­nen dün­nen Rat­ten­schwanz, mit dem er sich von Zeit zu Zeit die Flan­ken schlug, nach rechts ge­dreht. Jo­seph Ri­vet stemm­te das eine Bein auf die Deich­sel, das an­de­re hat­te er un­ter ge­schla­gen und hielt die Zü­gel mit hoch­ge­zo­ge­nen El­len­bo­gen. Von Zeit zu Zeit ließ er einen schnal­zen­den Ton hö­ren, wor­auf das Pferd die Ohren spitz­te und sei­ne Gan­gart be­schleu­nig­te.

      Zu bei­den Sei­ten der Stras­se zeig­ten die Fel­der sich im saf­ti­gen Grün. Der blü­hen­de Raps bil­de­te hin und wie­der große gel­be wo­gen­de Strei­fen, von de­nen ein star­ker ge­sun­der Duft auf­stieg, der mild und zu­gleich durch­drin­gend, vom Win­de weit­hin ge­tra­gen wur­de. In dem schon ziem­lich hoch­ste­hen­den Kor­ne zeig­ten sich die azur­blau­en Köp­fe der Korn­blu­men, wel­che die Mäd­chen gar zu gern ge­pflückt hät­ten; aber Ri­vet woll­te nicht hal­ten. Dann sah man plötz­lich ein Feld, wel­ches mit Blut be­sä­et schi­en, so sehr hat­ten die Klat­schro­sen es über­wu­chert. Und wei­ter durch die­se bun­ten blu­mi­gen Fel­der trab­te der Schim­mel mit dem Wa­gen, der selbst ein Blu­men­bou­quet mit noch grel­le­ren Far­ben zu tra­gen schi­en, ver­schwand un­ter den großen Bäu­men ei­nes Ge­höf­tes um jen­seits des Ge­bü­sches wie­der auf­zut­au­chen, und die­se bun­te Frau­en­last aufs neue bei gel­ben Raps­fel­dern und grü­nen blau­rot ge­blüm­ten Saa­ten vor­bei­zu­füh­ren.

      Die Son­ne brann­te heiss vom Him­mel und al­les at­me­te er­leich­tert auf, als man um ein Uhr die Be­hau­sung des Tisch­lers er­reicht hat­te.

      Die Rei­sen­den wa­ren wie ge­rä­dert und blass von Hun­ger, denn seit der Ab­fahrt von Fe­camp hat­ten sie noch Nichts wie­der zu sich ge­nom­men.

      Frau Ri­vet stürz­te ei­lig her­bei, half beim Aus­s­tei­gen und küss­te eine nach der an­de­ren, so­bald sie auf der Erde stan­den; sie hör­te nicht auf, die Schwä­ge­rin ab­zu­schmat­zen die sie sich mit Ge­walt zur Freun­din ma­chen woll­te. Man ass in der Werk­statt, die man für das Fest­mahl des fol­gen­den Ta­ges be­reits aus­ge­räumt hat­te.

      Eine schmack­haf­te Ome­let­te, wel­che auf eine Brat­wurst folg­te und mit gu­tem pri­ckeln­den Ci­der ge­würzt wur­de, gab al­len die fro­he Stim­mung wie­der.


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