Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.das Vergebliche ihrer Bemühungen einsah, hörte schliesslich auf; Madame Tellier, auf deren Schoss das Kind sass, verpflichtete sich zu nichts und machte nur allerhand leere Versprechungen: Man würde sie nicht vergessen, es habe ja noch Zeit und übrigens werde man sich bald wieder sehen.
Der Wagen fuhr indessen nicht vor und die Mädchen kamen nicht herunter. Man hörte sogar von oben lautes Gelächter, Stampfen, einzelne Schreie und lebhaftes Händeklatschen. Während die Frau des Tischlers zum Stall ging, um nach dem Wagen zu sehen, stieg Madame schleunigst die Treppe wieder herauf.
Rivet, sehr erregt und in sehr mangelhafter Toilette, suchte, wenn auch vergeblich, Rosa, die vor Lachen erstickte, in seine Gewalt zu bekommen. Die beiden Feuerspritzen hielten ihn an den Armen zurück und suchten ihn zu beruhigen, abgestossen von einem solchen Benehmen nach der ernsten Feier des Tages, während Raphaële und Fernande ihn ermunterten und sich vor Lachen die Seiten hielten. Bei jedem seiner nutzlosen Versuche kreischten sie laut auf vor Vergnügen. Der Mann war ganz ausser sich; mit hochrotem Kopf, fast ohne jede Bekleidung suchte er vergeblich unter Aufbietung aller Kräfte die beiden Mädchen, die sich an ihn klammerten, los zu werden und sich Rosas zu bemächtigen, indem er heftig hervorstiess: »Du willst nicht, Du Schlange?« -- Aber schon stürzte Madame voll Entrüstung herbei, fasste ihren Bruder an den Schultern und warf ihn so heftig aus dem Zimmer, dass er an die Wand taumelte.
Einige Minuten später hörte man schon, wie er sich am Brunnen im Hofe den Kopf wusch; und als er bald darauf mit dem Wagen erschien, war er wieder ganz nüchtern.
Man fuhr in derselben Weise fort wie tags zuvor, und der kleine Schimmel bewegte sich in demselben lebhaften und schaukelnden Tempo.
Trotz der warmen Sonne erwachte jetzt die während des Mahles gedämpft gewesene Munterkeit. Den Mädchen machten jetzt die Sprünge des Wagens Freude, sie stiessen selbst an die Stühle ihrer Nachbarinnen, und brachen bei der Erinnerung an Rivet’s vergebliche Anstrengungen jedes Mal wieder in ein lautes Gelächter aus.
Auf den Fluren lag eine Luft, die zur Ausgelassenheit reizte, eine Luft, die einem vor den Augen tanzte; unter den Rädern stiegen zwei mächtige Staubwolken hervor, die lange Zeit hinter dem Wagen herliefen, wie zwei übermütige Clowns.
Fernande, eine große Musikfreundin, bat plötzlich Rosa, etwas zu singen; diese ließ sich das nicht zweimal sagen und wollte eben das Lied: »Der dicke Pfarrer von Meudon« anstimmen, als Madame ihr sofort Schweigen gebot. Sie hielt den Text des Liedes für den heutigen Tag nicht passend und sagte: »Sing uns lieber etwas von Beranger.« -- Rosa sann einen Augenblick nach und hob dann mit ihrer etwas verrosteten Stimme die »Großmutter« an:
Großmütterchen hatte am Namensfest kaum
Zwei Schlückchen vom Wein nur genippt;
Da sprach sie und nickt mit dem Kopf wie im Traum:
»Wie hab’ ich doch einst viel geliebt!
Doch verdorrt ist der Arm,
So rosig und warm:
Und verwelkt ist das Herz,
Nur geblieben der Schmerz.«
Und von Madame selbst geleitet, fiel der Chorus der Mädchen ein:
»Doch verdorrt ist der Arm,
So rosig und warm;
Und verwelkt ist das Herz,
Nur geblieben der Schmerz.«
»Herrlich! prächtig!« rief Rivet, den der Schlussvers hingerissen hatte; Rosa fuhr indessen fort:
Wie? Mütterchen! also auch Du warst nicht brav?
»Nein, Kindchen, nicht einmal im Schlaf.
Wie konnt’ es auch sein, denn mit fünfzehn Jahren,
Da hatt’ ich genug von der Lieb’ schon erfahren.«
Alle zusammen gröhlten den Refrain, und Rivet trat mit dem Fusse auf der Deichsel den Takt und schlug ihn gleichzeitig mit den Zügeln auf dem Rücken des Schimmels. Dieser war selbst gleichsam von der Melodie des Liedes angefeuert und setzte sich in flotten Galopp, in Folge dessen die Damen von ihren Sitzen flogen und sich in einem bunten Haufen auf dem Boden des Wagens wälzten.
Sie erhoben sich unter ausgelassenem Gelächter und brüllten von Neuem aus vollem Halse ihr Lied übers Feld, auf dessen reifende Früchte die Sonne ihre sengenden Strahlen sandte. Der Schimmel nahm bei jeder Wiederholung einen neuen Galopp-Anlauf, was den Insassen des Gefährtes eine unbändige Freude machte.
Hin und wieder wandte sich ein Steinklopfer nach ihnen um und betrachtete durch das Drahtnetz seiner Schutzbrille dieses heulende Fahrzeug, das durch den wirbelnden Staub dahinraste.
Der Tischler war sehr unzufrieden, als man in die Nähe des Bahnhofes kam.
»Schade, dass Ihr fortmüsst« sagte er, »wir hätten uns herrlich amüsiert.«
»Jedes Ding zu seiner Zeit,« antwortete Madame überlegen »man kann sich nicht immer nur amüsieren.«
Da kam Rivet auf eine gute Idee: »Höre, ich werde Euch nächsten Monat in Fecamp besuchen« sagte er, Rosa mit einem verzehrenden Blick und listigem Blinzeln anschauend.
»Gut« sagte Madame, »man muss vernünftig sein. Du kannst kommen, wenn Du willst, aber Du darfst keine Dummheiten machen.«
Er antwortete nicht und begann jede Einzelne aus der Gesellschaft zu umarmen, als man von Weitem den Zug herannahen hörte. Bei Rosa angekommen, suchte er deren Mund zu erwischen, den diese ihm jedes Mal, hinter ihren geschlossenen Zähnen lachend, durch eine schnelle Wendung entzog. Er hielt sie zwar in seinen Armen, aber er kam nicht zum Ziel, weil ihn seine große Peitsche hinderte, die er in der Hand hielt, und mit der er hinter ihrem Rücken bei seinen vergeblichen Versuchen die sonderbarsten Figuren beschrieb.
»Nach Rouen einsteigen!« rief der Portier; so mussten sie sich trennen.
Die kleine Pfeife des Zugführers schrillte vom Perron und gleich darauf ertönte der laute Pfiff der Lokomotive, die dann sofort ihre erste Dampfwolke in die Luft stiess, während die Räder unter kreischendem Geräusch ein wenig anzogen.
Rivet verliess das Innere des Bahnhofes und lief an die Schranke, um Rosa noch einmal zu sehen, und als der Wagen mit seiner menschlichen Last an ihm vorbeifuhr, knallte er mit der Peitsche und hüpfte umher, dabei aus Leibeskräften singend:
»Doch verdorrt ist der Arm