Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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      Sie hat­te ih­ren Hut ab­ge­nom­men und sah wirk­lich al­ler­liebst aus, als sie jetzt ih­ren Blick auf mich rich­te­te. Die­se Au­gen sa­hen mich so scharf, so durch­drin­gend an, dass ich der Ver­su­chung, die ich plötz­lich emp­fand, nach­gab und sie mit bei­den Ar­men um­fing, wäh­rend ich Kuss um Kuss auf ihre jetzt ge­schlos­se­nen Au­gen­li­der drück­te. Ich konn­te mich gar­nicht satt küs­sen, so hat­te der Blick mich be­zau­bert.

      Sie wehr­te sich nach Kräf­ten und such­te mich zu­rück­zu­stos­sen, in­dem sie fort­wäh­rend rief:

      »Hö­ren Sie auf … ma­chen Sie ein Ende … ma­chen Sie doch ein Ende.«

      Was woll­te sie da­mit sa­gen? In ähn­li­chen Fäl­len we­nigs­tens kann das Wort »ein Ende ma­chen« einen dop­pel­ten Sinn ha­ben. Um sie zum Schwei­gen zu brin­gen, drück­te ich jetzt mei­ne Küs­se auf ih­ren Mund, und gab so ih­rem Rufe die Deu­tung, die mir an­ge­neh­mer war. Sie sträub­te sich nicht gar zu sehr, und als wir uns nach die­ser son­der­ba­ren Art, das An­den­ken des in Ton­kin ge­fal­le­nen Ka­pi­täns zu eh­ren, wie­der an­sa­hen, sprach aus ih­ren Au­gen eine hin­ster­ben­de, wi­der­stands­lo­se Zärt­lich­keit, wel­che mei­ne Be­sorg­nis­se zer­streu­te.

      Dann wur­de ich wie­der ganz Welt­mann, spiel­te den Lie­bens­wür­di­gen und Un­ter­hal­ten­den. Und nach ei­ner wei­te­ren Stun­de der an­ge­nehms­ten Plau­de­rei er­laub­te ich mir zu fra­gen:

      »Wo spei­sen Sie?«

      »Na­he­bei, in ei­nem klei­nen Re­stau­rant.«

      »Ganz al­lei­ne?«

      »Na­tür­lich.«

      »Wol­len Sie nicht mit mir zu­sam­men spei­sen?«

      »Wo denn?«

      »In ei­nem gu­ten Bou­le­vard-Re­stau­rant.«

      Sie zö­ger­te noch et­was, aber ich gab nicht nach. Sch­liess­lich wil­lig­te sie ein, in­dem sie sich gleich­sam vor sich selbst ent­schul­dig­te:

      »Ich lang­wei­le mich sehr … ach so sehr! -- Je­den­falls muss ich aber eine hel­le­re Toi­let­te an­le­gen«, füg­te sie dann hin­zu.

      Und sie ging in ihr Schlaf­zim­mer.

      Als sie wie­der her­austrat, war sie in Halb­trau­er, rei­zend, zart und schlank; sie trug eine graue, sehr ein­fa­che Toi­let­te. Je­den­falls stand ihr die­se Ge­sell­schafts-Toi­let­te min­des­tens so gut, wie vor­her das Trau­er-Ko­stüm.

      Das Di­ner ver­lief sehr lus­tig. Sie trank Cham­pa­gner, wur­de im­mer auf­ge­räum­ter und zu­tun­li­cher, und schliess­lich kehr­te ich mit ihr wie­der in ihre Woh­nung zu­rück.

      Die­ses an den Grab­stät­ten ent­stan­de­ne Ver­hält­nis dau­er­te un­ge­fähr drei Wo­chen. Aber man wird schliess­lich al­les leid, auch die Frau­en. Ich trenn­te mich von ihr un­ter dem Vor­wan­de ei­ner un­auf­schieb­ba­ren Rei­se. Bei mei­nem Ab­schied be­wies ich mich so groß­mü­tig, dass sie des Dan­kes kein Ende fand. Ich muss­te ihr ver­spre­chen, ja schwö­ren, dass ich nach mei­ner Rück­kehr wie­der zu ihr kom­men wür­de; sie schi­en in der Tat et­was in mich ver­liebt zu sein.

      Ich un­ter­hielt mich mit an­de­ren Ver­hält­nis­sen und es ver­ging un­ge­fähr ein Mo­nat, ohne dass ich dar­an dach­te, die­se klei­ne Grä­ber-Lieb­schaft wie­der zu er­neu­ern. Ver­ges­sen hat­te ich sie al­ler­dings noch nich … Die Erin­ne­rung an sie ver­folg­te mich wie ein Ge­heim­nis, wie ein psy­cho­lo­gi­sches Rät­sel, wie eine je­ner un­lös­ba­ren Fra­gen, die wir uns un­aus­ge­setzt zu ent­wir­ren quä­len.

      Ei­nes Ta­ges hat­te ich das leb­haf­te Ge­fühl, ich weiß selbst nicht warum, dass ich sie auf dem Fried­hof Mont­mar­tre wie­der­fin­den wür­de, und ich be­gab mich kurz ent­schlos­sen dort­hin.

      Lang­sam spa­zier­te ich dort her­um, ohne je­mand an­de­res an­zu­tref­fen, als die ge­wöhn­li­chen Be­su­cher die­ser Stät­te, Leu­te, die noch nicht alle Be­zie­hun­gen zu ih­ren To­ten ab­ge­bro­chen ha­ben. Auf dem Gra­be des in Ton­kin ge­fal­le­nen Ka­pi­täns war we­der eine trau­ern­de Dame zu ent­de­cken, noch auch Blu­men oder ein Kranz.

      Aber als ich mich ge­ra­de in ein an­de­res Vier­tel die­ser großen To­ten­stadt be­ge­ben woll­te, be­merk­te ich plötz­lich am Ende ei­ner schma­len von Kreu­zen ein­ge­fass­ten Gas­se ein Paar, Herr und Dame, in tiefer Trau­er auf mich zu­kom­men. Wer be­schreibt mein Er­stau­nen, als ich die sich Nä­hern­den er­kann­te? Sie war es!

      Als sie mich be­merk­te, wur­de sie feu­er­rot, und als ich sie im Vor­bei­ge­hen streif­te, mach­te sie mir ein klei­nes Zei­chen, ein Zwin­kern mit dem Auge, als ob sie sa­gen woll­te: »Tue nicht, als ob Du mich kenn­test!« aber auch zu­gleich: »Komm bald wie­der mal zu mir, mein Schatz!«

      Der Herr sah an­stän­dig vor­nehm und ele­gant aus; er trug das Band der Ehren­le­gi­on im Knopf­loch und moch­te un­ge­fähr fünf­zig Jah­re alt sein.

      Er stütz­te sie im Ge­hen, wie ich selbst sie ge­stützt hat­te, als wir zu­sam­men den Kirch­hof ver­lies­sen.

      Ganz ver­blüfft ging ich von dan­nen und frag­te mich nach al­lem dem ver­geb­lich, zu wel­cher Sor­te von Men­schen wohl die­se Kirch­hof-Pflan­ze ge­hö­ren möch­te. War es ein­fach eine Dir­ne, eine fin­di­ge Don­na, die ihre Kun­den an den Grä­bern un­ter Män­nern such­te, die noch um eine Frau, eine Braut oder eine Freun­din trau­ern und die ver­schwun­de­nen Lie­bes­freu­den noch nicht ver­ges­sen kön­nen? War sie die ein­zi­ge? Gibt es de­ren meh­re­re? Etwa eine gan­ze Zunft? Treibt man es jetzt auf den Kirch­hö­fen wie auf der Gas­se? Ach! so­gar die Grä­ber! Oder war sie viel­mehr doch die Ein­zi­ge ge­we­sen, die die­se wun­der­ba­re Idee aus­ge­heckt hat­te und mit schlau­em Ver­ständ­nis den Schmerz über ver­lo­re­nes Lie­bes­glück aus­beu­te­te, der hier an die­ser Stät­te un­will­kür­lich neu er­wacht?

      Ei­nes hät­te ich al­ler­dings noch gern er­fah­ren mö­gen, näm­lich: »Wes­sen Wit­we sie wohl an je­nem Abend ge­spielt hat.«

      *

      Im letz­ten Som­mer hat­te ich ein klei­nes Land­haus am Ufer der Sei­ne, ei­ni­ge Mei­len von Pa­ris, ge­mie­tet und fuhr je­den Abend hin­aus, um die Nacht dort zu ver­brin­gen. Nach ei­ni­gen Ta­gen lern­te ich mei­nen Nach­bar, einen Mann von dreis­sig bis vier­zig Jah­ren ken­nen, den ko­mischs­ten Kauz, den ich je ge­se­hen habe. Es war ein al­ter Schiffs­mann, aber ein lei­den­schaft­li­cher, wie man nur einen fin­den kann, stets beim Was­ser, auf dem Was­ser und im Was­ser. Er hät­te ei­gent­lich in ei­nem Boot zur Welt kom­men sol­len; und dass er noch ein­mal in ei­nem Boo­te sein Le­ben be­schlies­sen wür­de, stand bei mir fest.

      Ei­nes Abends, als wir am Sei­ne-Ufer spa­zie­ren gin­gen, bat ich ihn, mir ei­ni­ge Ge­schich­ten aus sei­nem Schif­fer­le­ben zu er­zäh­len. Da war der gute Mann mit ei­nem Male le­ben­dig und wie um­ge­wan­delt; er wur­de red­se­lig und bei­na­he poe­tisch an­ge­haucht. Für ihn gab es eben nur eine große, bren­nen­de un­wi­der­steh­li­che Lei­den­schaft: den Fluss.

      »Ach« sag­te er, »wie vie­le Erin­ne­run­gen knüp­fen sich für mich an die­sen Fluss, den Sie da zu un­sern


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