Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.die Tränen Rosas und ihrer Gefährtinnen mit einem Male auf die ganze Menge gewirkt. Männer und Frauen, Greise und Jünglinge, fast alles weinte, und etwas Übermenschliches, der Hauch einer Seele, der wunderbare Odem eines unsichtbaren allmächtigen Wesens schien über ihnen zu schweben.
Jetzt hörte man in der Kirche einen leisen kurzen Schlag widerhallen: Die Schwester gab das Zeichen zum Beginn der Kommunion, indem sie mit dem Rücken des Fingers an ihr Gebetbuch klopfte, und von himmlischen Schauern bewegt näherten sich die Kinder dem Tische des Herrn.
Die erste Reihe kniete nieder. Der alte Pfarrer, das vergoldete silberne Ciborium in der Hand, trat zu jedem einzelnen heran und bot ihm zwischen seinen zwei Fingern die geweihte Hostie, den Leib des Herrn und Erlösers. Sie öffneten krampfhaft den Mund mit einer Art nervösem Zittern, die Augen in Andacht geschlossen, bleich vor Erregung, und das Kommuniontuch unter ihrem Kinn bewegte sich wie wogendes Wasser.
Eine Art von Verzückung brach in der Kirche aus, man hörte das Geräusch der ergriffenen Menge, das wogende Schluchzen wie unterdrücktes Schreien. Es war wie das Säuseln des Windes in den Kronen der Bäume. Unbeweglich, eine Hostie in der Hand, stand der greise Priester, tief ergriffen, einen Augenblick da: »Das ist Gott, Gott, der seine Gegenwart unter uns bekundet, der auf meinen Ruf zu seinem knienden Volke herabsteigt«, so wogte es in seinem Herzen, und halbverzückt murmelte er ein wortloses Gebet, das Gebet einer Seele, die den Himmel offen zu sehen glaubt.
Er vollendete die Spendung der heiligen Hostie mit solcher Glaubens-Inbrunst, dass ihm die Knie zitterten, und nachdem er selbst das Blut des Herrn getrunken, ergoss sich sein Herz in einem stillen heissen Dankgebet.
Die Gemeinde hinter ihm beruhigte sich erst allmählich. Die Sänger in ihren weißen Chorhemden begannen mit unsicherer noch etwas vibrierender Stimme aufs Neue ihren Gesang, und selbst die Orgel klang etwas heiser, als habe auch sie sich der Tränen nicht erwehren können.
Als der Priester die Hände hob, brach sie ihr Spiel ab, und der ehrwürdige Greis schritt nun zwischen den zwei Gruppen glückstrahlender Kinder hindurch bis an die Chorbank vor.
Die Gläubigen hatten sich gesetzt, und durch die ganze Kirche hörte man das Rücken der Bänke und das laute Geräusch nochmals gebrauchter Taschentücher. Dann trat feierliche Stille ein, und mit tiefer verschleierter Stimme, etwas stockend, begann der Priester:
»Meine teuren Brüder! Meine teuren Schwestern! Liebe Kinder! Ich danke Euch aus ganzem Herzen, dass Ihr mir die schönste Freude meines Lebens bereitet habt. Ich habe es empfunden, dass Gott selbst auf mein Flehen zu Euch herabgestiegen ist. Er selbst ist gekommen, um mit seiner Gegenwart unter uns zu weilen, die Seelen zu erfüllen und die Augen überquellen zu machen. Ich bin der älteste Priester der Diöcese, aber ich bin auch heute der glücklichste derselben. Ein Wunder hat sich unter uns ereignet, ein wahrhaftiges großes erhabenes Wunder. Während Jesus Christus zum ersten Male von den Seelen dieser Kleinen Besitz nahm, um darin zu wohnen, hat sich der Heilige Geist, die Himmelstaube, der Odem Gottes auf Euch herabgelassen, hat sich Eurer Herzen bemächtigt, hat sie umfangen und umsäuselt wie der linde Morgenwind den blühenden Rosenstock.« Sich dann mit klarerer Stimme zu den beiden ersten Bänken wendend, in denen die Gäste des Tischlers sassen, fuhr er fort: »Dank vor allem Euch, meine lieben Schwestern, die Ihr so weit hergekommen seid, und deren Anwesenheit unter uns, deren sichtbarer Glaube, deren lebhafte Andacht uns Allen ein so heilsames Beispiel gaben. Ihr waret die Erbauung meiner Gemeinde, Eure Bewegung hat ihre Herzen mit entzündet; ohne Euch hätte dieser große Tag vielleicht niemals diesen wahrhaft erhabenen Verlauf genommen. Genügt doch oft ein einzelnes auserwähltes Lamm, dass der Herr zur ganzen Herde sich herablasse.«
Die Stimme versagte ihm. »Ich wünsche Euch Allen Gottes reichsten Segen. Amen«, fügte er noch hinzu. Und er stieg wieder zum Altar empor, um die heilige Handlung zu vollenden.
Als der Priester zur Sakristei schritt, beeilte sich alles herauszukommen. Die Kinder sogar waren unruhig, nachdem die Spannung ihres Geistes etwas nachgelassen hatte; und ausserdem begannen sie auch hungrig zu werden. Einzelne Mütter hatten sich schon vor dem letzten Evangelium entfernt, um die Vorbereitungen zum Mittagessen zu treffen.
War das ein Gedränge an der Kirchentür! ein lärmendes Gedränge, ein Stimmengewoge in der singenden normannischen Mundart. Schliesslich bildeten sich zwei Haufen, um die Kinder durchzulassen, und als diese endlich erschienen, wurde ein jedes sofort von seiner Familie mit Beschlag belegt.
Constanze war natürlich gleich herausgeholt, umringt und von der ganzen weiblichen Schar umarmt und geküsst; besonders Rosa hörte nicht auf, sie stets von Neuem an ihre Brust zu drücken. Schliesslich nahm sie das Kind an der einen Hand, Madame Tellier ergriff Constanzens andere, Raphaële und Fernande fassten den Zipfel seiner langen Mousselin-Schleppe, damit sie nicht staubig würde, Louise und Flora folgten mit Madame Rivet; und so ging nun das Kind, noch ganz durchdrungen und ergriffen von dem hohen Geheimnisse, dessen es vor Kurzem gewürdigt war, inmitten dieser Ehrenbegleitung dem elterlichen Hause zu.
Das Festmahl fand in der Werkstatt an langen Brettern statt, die man über zwei Böcke gelegt hatte.
Durch die offene Tür, welche auf die Strasse führte, drang die fröhliche Stimmung des ganzen Dorfes herein. Durch jedes Fenster konnte man festlich gekleidete Menschen bei der Tafel sitzen sehen, und lautes Lachen und Scherzen war überall vernehmlich. Die Bauern in Hemdsärmeln tranken den Cider aus vollen Gläsern, und inmitten einer jeden Gesellschaft bemerkte man zwei Kinder, bald Knaben, bald Mädchen, die mit ihrer Familie als die Gefeierten des Tages das Festmahl einnahmen.
Hin und wieder fuhr ein Bauernwagen, von einer alten Mähre gezogen, in langsamen Trabe durch das Dorf, auf welches die Mittagssonne ihre brennenden Strahlen herabsandte, und der Mann im Kittel, der ihn lenkte, warf einen neidischen Blick auf alle diese Herrlichkeiten.
In der Behausung des Tischlers hielt sich die Festfreude in gemessenen Grenzen; eine Nachwehe der bewegten Stimmung in der Kirche. Nur Rivet war im besten Zuge und trank über Gebühr. Madame Tellier schaute alle Augenblicke auf die Uhr, denn man musste den 4 Uhr-Zug, der sie abends nach Fecamp brachte, erreichen, um das Haus nicht zwei Tage hintereinander leer stehen zu lassen.
Der Tischler gab sich alle Mühe, seinen Besuch umzustimmen