Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.die in einem weiten Raume verhallt.
Die Kommunionkinder eilten aus den Türen der Häuser auf das Gemeindehaus zu, welches die beiden Schulen und die Mairie enthielt und an einem Ende des Dorfes lag, während man das »Gotteshaus« am anderen Ende errichtet hatte.
Die Eltern folgten ihren Kleinen in festlicher Kleidung und mit jener linkischen und ungeschickten Haltung, wie sie sich ein an harte Arbeit gewöhnter Körper aneignet. Die kleinen Mädchen verschwanden in Wolken von weißem Tüll, der sie wie geschlagener Schaum umgab, während die kleinen Burschen, die mit ihrem frisierten wohlpommadisierten Haupte wie Piccolos aussahen, beim Gehen die Beine möglichst weit voneinander spreizten, um nur ja die neue schwarze Hose nicht zu beschmutzen.
Es war für jede Familie ein besondrer Stolz, wenn möglichst viele Angehörige auch von weiter her das Kind begleiteten: der Triumph des Tischlers war in dieser Frage also unbestritten. Das ganze Regiment Tellier, die Patronin an der Spitze, begleiteten Konstanze; der Vater führte seine Schwester, die Mutter folgte mit Raphaële, Fernande mit Rosa, und schliesslich kamen die beiden »Feuerspritzen.« So stolzierte man majestätisch dahin wie ein Regiments-Stab in großer Uniform.
Der Eindruck auf die Dorfbewohner war geradezu verblüffend.
Bei der Schule stellten sich die Mädchen unter Leitung einer Schwester auf; die Knaben wurden von dem Schulmeister geordnet, einem ansehnlichen hübschen Menschen. So setzte sich der Zug unter Anstimmung eines Liedes in Bewegung.
Die Knaben an der Spitze ging es durch die doppelte Reihe der ausgespannten Wagen hindurch; den Knaben folgten die Mädchen, und da man den Damen aus der Stadt respektvollst den Vortritt gelassen hatte, so kamen diese, ebenfalls paarweise gehend, dreie rechts und dreie links, unmittelbar hinter den Kleinen in die Kirche.
Ihre Toiletten erweckten den Eindruck eines Brillant-Feuerwerks und ihr Eintritt in die Kirche rief eine große Sensation hervor. Man schob und drängte sich, wandte die Köpfe und stiess sich, um sie nur sehen zu können. Die Andächtigen sprachen beinahe laut, hingerissen von der Pracht dieser Damen, welche die der Kirchengewänder fast übertraf. Der Maire bot ihnen sofort seine Bank, die erste rechts hinterm Chore, an, und Madame Tellier nahm mit ihrer Schwägerin Fernande und Raphaële darin Platz; Rosa und die beiden Feuerspritzen besetzten in Gemeinschaft mit dem Tischler die nächste.
Der Chor der Kirche war mit knienden Kindern, die Knaben rechts, die Mädchen links, angefüllt; und die langen Kerzen, welche sie in Händen hielten, sahen wie emporgestreckte Lanzen aus.
Vor dem Chorpult standen drei Männer und sangen mit voller Stimme, wobei sie die Silben des lateinischen Textes endlos verlängerten und das »A« im »Amen« furchtbar hinauszogen, von der Orgel hierin aufs Beste unterstützt. Eine helle Kinderstimme gab die Antwort, und von Zeit zu Zeit erhob sich ein Geistlicher, der mit dem viereckigen Barrett bedeckt im Chorstuhle sass, betete eine Recitation, worauf dann die drei Männer, nachdem er sich gesetzt hatte, wieder anhoben, den Blick starr auf das vor ihnen aufgeschlagene Chorbuch heftend, das von den ausgebreiteten Flügeln eines auf einem Gestell befestigten hölzernen Adlers gehalten wurde.
Hierauf trat eine feierliche Stille ein. Alle Anwesenden sanken auf die Knie und es erschien der Pfarrer, ein ehrwürdiger Greis mit weißen Haaren, das Antlitz auf den Kelch gebeugt, den er in der linken Hand trug. Vor ihm gingen die beiden Messdiener in roten Chorröcken und hinter ihm folgte eine Anzahl Sänger in weißen Röcheln, die sich zu beiden Seiten des Chors verteilten.
Der Ton eines kleinen Glöckleins unterbrach jetzt die lautlose Stille; der Gottesdienst begann. Nachdem der Priester langsam vor den vergoldeten Tabernakel hingetreten war und dort eine Kniebeugung gemacht hatte, trat er an die Altarstufen zurück und betete mit seiner heiseren altersschwachen Stimme den Introitus. Sobald er denselben beendet und wieder zum Altar heraufgestiegen war, fielen Chorsänger und Orgel gleichzeitig ein, und auch die Leute in der Kirche sangen mit; ihre Stimmen waren etwas gedämpfter, weniger laut als die der Ersteren.
Dann hörte man wieder das »Kyrie eleison« des Priesters, dem alle Andächtigen mit Mund und Herzen folgten. Die ganze Gemeinde sang so laut und inbrünstig mit, dass eine Wolke von Staub und Mörtelstückchen sich in Folge der mächtigen Schallwellen an dem alten morschen Gewölbe erhob. Die Sonne brannte heiss auf die kleine Kirche, in der allmählich eine dumpfe Stickluft zu herrschen begann. Eine tiefe Bewegung, eine ängstliche Spannung auf das nahende heilige Geheimnis bemächtigte sich der Kinderherzen und schnürte die Kehlen der Mütter zusammen.
Der Priester schritt nun mit entblösstem, im Glanze der Silberhaare schimmernden Haupte an die rechte Seite des Altars und schickte sich mit zitternden Händen an, die heilige Opferung zu begehen.
Dann wandte er sich zu den Gläubigen und sprach, die Hände zu ihnen ausstreckend: »Orate fratres« -- »betet, meine Brüder«, worauf die Stille eines lautlosen Gebetes der ganzen Gemeinde folgte. Nach dem Sanktus begann dann wieder das Stillgebet in jenem feierlichen andachtsvollen Schweigen, welches die Herzen auf die eigentliche geheimnisvolle Feier vorbereitet. Ein Glöckchenzeichen des Messdieners rief eine allgemeine Bewegung hervor; jeder suchte seinem Körper auch äusserlich die innere demutsvolle Erwartung aufzudrücken. Jetzt sprach der Priester mit halblauter Stimme in kleinen Absätzen die Verwandlungsworte, dreimal schlug das Glöckchen an und ein jeder klopfte andächtig an seine Brust, Gott voll Inbrunst anbetend. Über den Kindern lag es wie eine Wolke schauervoller Weihe.
In diesem feierlichen Augenblicke erinnerte sich Rosa plötzlich ihrer Mutter, der Kirche ihres Dorfes und ihrer eigenen ersten Kommunion. Sie versetzte sich im Geiste an jenen Tag zurück, wo sie, noch ebenso klein und unschuldig, ganz in ihrem weißen Kleide verhüllt war, und fing an zu weinen. Erst weinte sie leise; langsam drangen die Tränen aus ihren Wimpern. Dann aber wuchs ihre Bewegung mit ihren Erinnerungen, und schliesslich schluchzte sie laut, den Kopf tief gebeugt mit heftig wogender Brust. Sie hatte ihr Taschentuch hervorgezogen, sie wischte sich die Augen, schnupfte sich und presste den Mund auf das Tuch, um nicht aufzuschreien, allein es half alles nichts. Eine Art Röcheln drang aus ihrer Kehle und wurde von zwei herzzerreissenden Seufzern rechts und links beantwortet; denn Louise und Flora, von denselben Erinnerungen an die ferne Jugendzeit ergriffen, seufzten ebenfalls unter strömenden Tränen.
Das wirkte ansteckend,