Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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sich bald die Lie­be ih­rer Un­ter­ge­be­nen und der Nach­barn er­wor­ben hat­ten.

      Der »Herr« starb zwei Jah­re spä­ter am Ge­hirn­schlag; sein neu­es Ge­schäft hat­te ihn be­hä­big und trä­ge ge­macht, so­dass er schliess­lich im ei­ge­nen Fett so­zu­sa­gen er­stick­te.

      Seit­dem »Ma­da­me« Wit­we ge­wor­den, hat­ten sämt­li­che Stamm­gäs­te des Hau­ses ihr Glück bei ihr ver­sucht; aber all­ge­mein hiess es, dass sie sich völ­lig ehr­bar ver­hiel­te, und so­gar auch ihre Pen­sio­nä­rin­nen hat­ten nichts Ver­däch­ti­ges ent­de­cken kön­nen.

      Sie war groß, wohl­ge­nährt und hübsch. Ihr Teint war in der Dun­kel­heit die­ses stets ver­schlos­se­nen Hau­ses bleich ge­wor­den und mach­te den Ein­druck, als sei er mit ei­ner Art glän­zen­den Lack über­zo­gen. Eine Gar­ni­tur falscher Haa­re in Löck­chen fri­siert um­gab ihre Stirn und ver­lieh ihr ein ju­gend­li­ches Äus­se­re, wel­ches et­was selt­sam von der üp­pi­gen Rei­fe ih­rer For­men ab­stach. Im­mer ver­gnügt und lus­tig, plau­der­te und scherz­te sie gern, wo­bei sie aber stets eine ge­wis­se Zu­rück­hal­tung zur Schau trug, die sie auch in ih­rem neu­en Ge­schäft nicht ab­ge­legt hat­te. Un­pas­sen­de Wor­te är­ger­ten sie sehr; und wenn ein schlecht er­zo­ge­ner Bur­sche ihr Haus ein­mal beim rich­ti­gen Na­men nann­te, so konn­te sie ganz wild wer­den. Da­bei hat­te sie ein zart­füh­len­des Herz und be­han­del­te auch ihre Mäd­chen als Freun­din­nen; in Be­zug auf letz­te­re sag­te sie oft:

      »Es sind mei­ne Küch­lein, aber nicht alle aus ei­nem Kor­be.«

      Zu­wei­len fuhr sie in der Wo­che mit ei­nem Teil ih­rer Trup­pe in ei­nem Miet­wa­gen fort, und man sah sie dann im Ufer­gra­se des klei­nen Flus­ses, der das Tal von Val­mont durch­fliesst, ihre Scher­ze trei­ben. Ihre Aus­flü­ge gli­chen de­nen von Pen­si­ons­mäd­chen, die der Schu­le ent­schlüpft sind; tö­rich­te Strei­che, kind­li­che Spie­le füll­ten die Zeit aus, in de­nen sie sich wie Klos­ter­schwes­tern dünk­ten, die nach lan­ger Zu­rück­ge­zo­gen­heit end­lich wie­der ein­mal an die fri­sche Luft kom­men. Man hol­te das Es­sen aus ei­nem Wurst­la­den und ver­zehr­te es auf dem grü­nen Ra­sen bei ei­nem Gla­se Ci­der, um dann bei sin­ken­der Nacht von an­ge­neh­mer Mü­dig­keit und stil­ler Rüh­rung um­fan­gen, nach Hau­se zu fah­ren; im Wa­gen um­arm­te man Ma­da­me wie eine ge­lieb­te für­sor­gen­de und freu­den­spen­den­de Mut­ter.

      Das Haus hat­te zwei Ein­gän­ge. In der Stras­se­n­e­cke wur­de abends eine Art klei­nes Kaf­fee­haus auf­ge­macht, in wel­chem Leu­te aus dem Vol­ke und Ma­tro­sen ein­kehr­ten. Zwei weib­li­che We­sen hat­ten die­sen Teil des Ge­schäf­tes ganz spe­zi­ell un­ter ih­rer Ob­hut. Sie ser­vier­ten mit Hil­fe Fried­richs, ei­nes bart­lo­sen klei­nen aber baum­star­ken Kell­ners, die Wein­schop­pen und Bier­glä­ser an den wa­cke­li­gen Mar­mor­ti­schen, setz­ten sich auf die Knie der Trin­ker, leg­ten den Arm um ih­ren Hals und er­mun­ter­ten zu fleis­si­gem Ze­chen.

      Die drei an­de­ren »Da­men« (es wa­ren ih­rer nur fünf) bil­de­ten eine Art Ari­sto­kra­tie, und blie­ben für die ers­te Ge­sell­schaft re­ser­viert, we­nigs­tens so lan­ge man ih­rer da un­ten nicht drin­gend be­durf­te und zu­fäl­lig ’mal oben ein stil­ler Abend war.

      Der »Ju­pi­ter-Sa­lon«, in dem sich die Bür­ger des Or­tes ihr Stell­dich­ein ga­ben, war mit blau­er Ta­pe­te aus­ge­schla­gen und aus­ser­dem noch durch ein großes Bild, Leda mit dem Schwan dar­stel­lend, ent­spre­chend ver­ziert. Man ge­lang­te zu dem­sel­ben auf ei­ner schma­len Wen­del­trep­pe, wel­che nach der Stras­se zu durch eine enge un­an­sehn­li­che Tür ver­schlos­sen wur­de; über letz­te­rer brann­te hin­ter ei­nem Git­ter die gan­ze Nacht hin­durch eine klei­ne La­ter­ne nach Art je­ner, die man in ge­wis­sen Städ­ten heu­te noch vor klei­nen Mau­er­bild­chen an­zün­det.

      Das Ge­bäu­de, alt und feucht, trug einen leich­ten Ge­ruch von Schim­mel an sich. Zu­wei­len schweb­te ein Duft von Eau de Co­lo­gne in den Gän­gen oder es schall­te auch durch eine zu­fäl­lig ge­öff­ne­te Tür das or­di­näre Ge­schrei der im Erd­ge­schoss be­find­li­chen Ze­cher wie ein Don­ner­schlag durch das gan­ze Haus und brach­te auf dem Ge­sicht der Her­ren im ers­ten Stock eine un­zu­frie­de­ne und ver­ächt­li­che Mie­ne her­vor.

      »Ma­da­me«, die mit der ihr be­freun­de­ten Kund­schaft sehr ver­trau­lich tat, ver­liess den Sa­lon nicht und in­ter­es­sier­te sich sehr für je­den Stadt­klatsch, der ihr zu­ge­tra­gen wur­de. Ihre Un­ter­hal­tung hat­te für ge­wöhn­lich durch­aus kei­nen Be­zug auf ihre drei Da­men; die­sel­be bil­de­te viel­mehr eine Art Ru­he­platz für die seich­ten Scher­ze je­ner wohl­be­leib­ten Her­ren, die sich je­den Abend die klei­ne Aus­schwei­fung ge­stat­te­ten, ihr Glas Li­queur in Ge­sell­schaft die­ser öf­fent­li­chen Mäd­chen zu schlür­fen.

      Die drei »Da­men« aus dem ers­ten Stock hies­sen Fer­n­an­de, Ra­phaële und Rosa la Ros­se.

      Da das Per­so­nal be­schränkt war, so hat­te man Sor­ge ge­tra­gen, dass jede von den Drei­en eine Art Mus­ter, ge­wis­ser­mas­sen die Ver­tre­te­rin ei­nes be­stimm­ten weib­li­chen Ty­pus war, da­mit je­der Kun­de hier, we­nigs­tens in etwa, sein Ide­al fin­de.

      Fer­n­an­de ver­trat die Klas­se der »schö­nen Blon­di­nen«; sie war sehr groß, bei­na­he et­was zu stark, aber mol­lig, ein Kind vom Lan­de, bei der die Som­mer­spros­sen nie ganz ver­schwan­den und de­ren kurz­ge­schnit­te­nes asch­blon­des Haar mit sei­nem spär­li­chen Wuchs wie ge­he­chel­ter Flachs aus­sah.

      Ra­phaële, ein Mar­seil­ler Kind, die sich stets in den See­hä­fen her­um­ge­trie­ben hat­te, spiel­te die un­er­läss­li­che Rol­le der »schö­nen Jü­din« mit her­vor­ste­hen­den mäch­tig rot ge­schmink­ten Wan­gen; ihre schwar­zen Haa­re, die von Rin­der­mark-Po­ma­de glänz­ten, hin­gen in klei­nen Rin­gellöck­chen um ihre Schlä­fen. Ihre Au­gen hät­ten schön ge­nannt wer­den kön­nen, wenn das rech­te nicht einen Fleck ge­habt hät­te. Ihre Nase war kühn ge­bo­gen und aus ih­rer Ober­lip­pe tra­ten zwei neue Zäh­ne et­was her­vor, wäh­rend die üb­ri­gen im Lau­fe der Zeit die Far­be von al­tem Holz an­ge­nom­men hat­ten.

      Rosa la Ros­se, ein klei­ner Fleisch­kloos mit kur­z­en Bein­chen, sang mit et­was hei­se­rer Stim­me vom Mor­gen bis zum Abend, bald hei­te­re, bald erns­te Lie­der, er­zähl­te die un­glaub­lichs­ten und sinn­lo­ses­ten Ge­schich­ten, hör­te nur mit Spre­chen auf, um zu es­sen und um­ge­kehrt, war fort­ge­setzt in Be­we­gung, und be­sass trotz ih­rer Wohl­be­leibt­heit und ih­rer klei­nen Bein­chen die Ge­wandt­heit ei­nes Eich­hörn­chens. Ihr La­chen, ei­nem Sturz­bach gel­len­der Schreie nicht un­ähn­lich, schall­te un­auf­hör­lich über dies und je­nes, bald aus ei­nem Zim­mer, bald vom Bo­den, bald un­ten aus dem Café, kurz aus al­len Ecken und ohne al­len Grund.

      Die bei­den weib­li­chen We­sen im Erd­ge­schoss »Loui­se« mit dem Bein­amen »Co­co­te« und »Flo­ra«, ge­nannt die »Schau­kel«, weil sie et­was hin­k­te, sa­hen wie Kü­chen­mäd­chen aus, die sich zum Mas­ken­ball an­ge­zo­gen ha­ben. Ers­te­re zeig­te sich stets als »Frei­heits­göt­tin« mit ei­ner drei­far­bi­gen Schär­pe um­gür­tet, letz­te­re im spa­ni­schen


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