Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.hätte den Strom heraufschwimmen und an irgend einer Stelle die nächsten fünfhundert Meter einen von Gestrüpp und Schlamm freien Punkt suchen sollen, an dem ich festen Fuss fassen konnte, so wette ich hundert gegen eins, dass ich mich in dem dichten Nebel nicht zurechtgefunden hätte und elend ertrunken wäre, so gut ich auch schwimmen mochte.
Ich versuchte meine Gedanken wieder zu sammeln. Ich fühlte den festen Willen in mir, keine Furcht mehr zu haben; aber ich empfand noch etwas anderes in mir, und dieses andere fürchtete sich. Ich fragte mich, was ich zu fürchten hätte, mein tapferes Ich kämpfte mit dem feigen Ich; und niemals habe ich wieder so deutlich als in jener Nacht begriffen, dass zwei entgegengesetzte Wesen in uns wohnen, von denen das eine will, während das andere widerstrebt, und von denen bald dieses, bald jenes den Sieg davonträgt.
Diese törichte und unerklärliche Furcht wuchs von Minute zu Minute und artete in völliges Entsetzen aus. Ich blieb unbeweglich, die Augen weit geöffnet, während ich mit den Ohren erwartungsvoll lauschte. Nach was? Ich wusste es nicht, aber es konnte nur etwas Schreckliches sein. Wenn jetzt ein Fisch sich aus dem Wasser geschlagen hätte, wie sie das ja öfters tuen, so wäre ich sicher bewusstlos zusammengesunken.
Mit einer gewaltsamen Anstrengung gelang es mir endlich, wieder Vernunft zu fassen. Ich griff nochmals zu meiner Rumflasche und trank mit vollen Zügen. Dann kam mir der Gedanke, aus allen Kräften nach den vier Himmelsrichtungen hinaus zu rufen. Als meine Stimme schliesslich versagte, horchte ich. -- Nur ein Hund heulte in weiter Ferne.
Ich trank nochmals und streckte mich der Fänge nach auf dem Boden des Kahnes aus. So blieb ich eine, vielleicht auch zwei Stunden, schlaflos, mit offenen Augen liegen, während es wie ein Alp auf meiner Brust lag. Ich wagte nicht aufzustehen, so sehr ich auch danach verlangte; ich verschob es von Minute zu Minute. ›Vorwärts! Auf!‹ sagte ich zu mir selbst, und doch fürchtete ich, mich zu bewegen. Endlich erhob ich mich unter unzähligen Vorsichtsmassregeln, wie wenn mein Leben von dem kleinsten Geräusch abgehangen hätte, und spähte vorsichtig über Bord.
Ich war geradezu geblendet von dem wunderbaren überraschenden Anblick, der sich zum ersten Male meinen Augen bot. Es war wie ein Zauberbild aus dem Feenland, wie eine jener Erzählungen weitgereister Leute, die wir hören, ohne sie fassen zu können.
Der Nebel, der zwei Stunden zuvor auf dem Wasser gelegen hatte, hatte sich allmählich von demselben fort ans Ufer gezogen. Dort auf beiden Seiten dicht zusammengeballt, ließ er den Fluss ganz frei und bildete rechts und links eine fortlaufende, sechs bis sieben Meter hohe Hügelkette, die bei dem bleichen Mondlichte wie ein blendendes Schneegebirge aussah. Man sah nichts als den goldig glänzenden Fluss zwischen diesen beiden weißen Bergketten und darüber die volle große Scheibe des Mondes, welche den bläulichen milchfarbenen Himmel erhellte.
Alle Wassertiere waren erwacht; die Frösche quakten wie rasend, während ich von Zeit zu Zeit, bald rechts bald links, den eigentümlich kurzen, traurigen und einförmigen Ton vernahm, den die belegte Stimme der Unke von sich gibt. Seltsamerweise hatte ich keine Furcht mehr; ich glaubte mich in einer so merkwürdigen Gegend zu befinden, dass die aussergewöhnlichsten Einzelheiten mich nicht mehr in Erstaunen setzen konnten.
Wie lange das noch gedauert hat, weiß ich nicht; denn schliesslich war ich doch eingeschlafen. Als ich die Augen wieder öffnete, war der Mond untergegangen, der Himmel mit Wolken bedeckt. Das Wasser plätscherte gewaltig, es blies ein scharfer Wind und ich verspürte in der tiefen Dunkelheit eine empfindliche Kälte.
Ich trank den Rest aus der Rumflasche, dann lauschte ich auf das Säuseln des Schilfes und das gewaltige Rauschen des Wassers. Ich versuchte etwas zu sehen, aber ich konnte weder meinen Kahn, noch auch sogar meine Hände unterscheiden, die ich vor die Augen hielt.
Allmählich nahm indessen die dichte Finsternis ab. Ich glaubte plötzlich zu bemerken, dass ein Schatten nahe bei mir vorbeiglitt; und in der Tat antwortete eine menschliche Stimme auf meinen Ruf. Es war ein Fischer, der auf meine Bitte herankam und mit Staunen mein Missgeschick erfuhr. Er legte mit seinem leichten Boot an meinem Kahn an, und nun zogen wir beide mit vereinten Kräften an der Ankerkette; der Anker rührte sich nicht. Der Tag brach an, trübe, grau und regnerisch, einer jener Tage, die aussehen, als brächten sie Trauer und Unglück. Ich bemerkte ein zweites Fischerboot, das ich anrief. Der Insasse desselben stieg zu uns herüber und vereinigte seine Anstrengungen mit den unsrigen; langsam gab jetzt endlich der Anker nach. Er ging in die Höhe, aber langsam, so langsam, dass man sah, er trage ein schweres Gewicht. Endlich bemerkten wir dicht unter dem Wasserspiegel eine schwarze Masse und zogen sie mit einem Ruck in mein Boot: Es war der Leichnam einer alten Frau, an deren Halse ein großer schwerer Stein befestigt war.«
*
Gedanken des Oberst Laporte
»Meiner Treu«, sagte der Colonel Laporte, »ich bin alt, habe das Reissen, meine Beine sind steif wie zwei Türpfosten, aber wenn eine Frau, eine hübsche Frau natürlich, mir beföhle, durch ein Nadelöhr zu schlüpfen, ich würde springen, glaube ich, wie ein Clown im Cirkus. So wird es bis zu meinem Tode sein, das liegt mir ’mal im Blute. Ich bin ein alter Weiberfreund, aber noch einer aus der alten Schule. Der Anblick einer Frau, einer hübschen natürlich, geht mir bis in die Fussspitzen. Das ist ’mal so. Übrigens, meine Herren, sind wir hier in Frankreich uns alle darin etwas ähnlich. Wir sind alle Ritter; die Ritter der Liebe und des Glücks, da man den Herrgott, dessen eigentliche Leibgarde wir waren, abgesetzt hat.
Aber die Frau! ja sehen Sie, die Frau kann man uns nicht aus dem Herzen reissen. Sie wohnt darin und da bleibt sie auch. Wir lieben sie, werden sie weiter lieben und jede Dummheit für sie begehen, so lange es noch ein Frankreich auf der Karte Europas gibt. Und wenn man auch Frankreich vernichtet, so wird es doch immer noch Französinnen geben.
Wenn ich vor einer Frau, einer hübschen natürlich, stehe, dann bin ich zu allem fähig. Der Tausend auch! Wenn ich fühle, wie ihr Blick mich durchdringt, dieser Sapperments-Blick, der einem Feuer in die Adern giesst, dann kann ich mir nicht mehr helfen, dann muss ich irgendetwas tun, mich mit Jemandem schlagen, Streit anfangen, Tische und Stühle zerbrechen, kurz, ich muss zeigen, dass ich der Stärkste, Tapferste, Kühnste und Hingebendste von Allen bin.
Aber ich bin es doch nicht allein, wahrhaftig nicht, die ganze französische Armee denkt wie ich, darauf schwöre ich. Es geht uns Allen so, solange wir leben, vom jüngsten Lieutenant bis zum General, wenn es sich um eine Frau, eine hübsche natürlich,