Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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      Ihr Ge­hirn funk­tio­nier­te also, es über­leg­te; wenn auch, wie ich zu­ge­ben muss, nur in sehr un­kla­rer Wei­se und in sehr be­schränk­tem Mas­se. Denn ich konn­te sie nicht dazu brin­gen, die Per­so­nen eben­so wie die Stun­den zu un­ter­schei­den. Man muss­te, um eine Re­gung ih­res geis­ti­gen Be­wusst­seins zu er­zie­len, an ihre Lei­den­schaf­ten im wah­ren Sin­ne des Wor­tes ap­pel­lie­ren.

      Hier­für er­hiel­ten wir bald einen and­ren, lei­der sehr schreck­li­chen Be­weis.

      Sie war äus­ser­lich wun­der­schön ge­wor­den, in der Tat eine ty­pi­sche Er­schei­nung, eine Art be­wun­derns­wer­te aber geist­lo­se Ve­nus.

      Sie war jetzt sech­zehn Jah­re alt, und sel­ten habe ich in dem Al­ter eine ähn­li­che Fül­le der For­men, eine ähn­li­che Fein­heit und Vollen­dung der Züge ge­se­hen. Ich nann­te sie eine Ve­nus, und sie war es in der Tat: Blond, zart­ge­run­det, eben­mäs­sig, mit großen, hel­len, träu­me­ri­schen Au­gen, de­ren Bläue der Hanf­blü­te glich; der Mund ge­schwun­gen, mit vol­len run­den Lip­pen, ein lieb­li­cher, sinn­li­cher Mund, ein Mund zum Küs­sen.

      Da trat ei­nes Ta­ges ihr Va­ter bei mir ein; er mach­te ein erns­tes Ge­sicht und setz­te sich, ohne mei­nen Gruss zu er­wi­dern.

      »Ich muss et­was ganz Wich­ti­ges mit Ih­nen be­spre­chen«, sag­te er. »Wür­de es mög­lich sein … kann man … Ber­t­ha ver­hei­ra­ten?«

      Ich war starr vor Er­stau­nen und rief:

      »Ber­t­ha ver­hei­ra­ten? … aber das ist ja un­mög­lich!«

      »Ich weiß«, sag­te er … »ja … aber den­ken Sie … Dok­tor … es könn­te … viel­leicht … wir ha­ben ge­dacht … wenn sie Kin­der hät­te … das wäre für sie eine große Ge­müts­be­we­gung, ein Glück und … wer weiß, ob die Mut­ter­freu­den ih­ren Geist nicht er­we­cken wür­den? …«

      Ich war ganz ver­blüfft; das war nicht so un­rich­tig. Mög­li­cher­wei­se ver­moch­te die­se ganz neue Lage, die­ser wun­der­ba­re Mut­ter-In­stinkt, der im wil­den Tie­re eben­so wohnt wie im Her­zen der Frau, und der die Hen­ne sich dem Hun­de ent­ge­gen­stel­len lässt, um ihre Küch­lein zu ver­tei­di­gen, auch in die­sem fühl­lo­sen Men­schen­kop­fe eine be­son­de­re Er­re­gung, eine voll­stän­di­ge Um­wäl­zung her­vor­zu­brin­gen und den bis­her un­be­weg­li­chen Ge­dan­ken-Mecha­nis­mus in Gang zu set­zen.

      Mir fiel so­fort ein Bei­spiel aus mei­ner ei­ge­nen Er­fah­rung ein. Ich hat­te ei­ni­ge Jah­re vor­her eine klei­ne Jagd­hün­din ge­habt, die so un­ge­leh­rig war, dass ich nichts mit ihr an­fan­gen konn­te. Kaum hat­te sie ein­mal Jun­ge ge­wor­fen, als sie so­zu­sa­gen von heu­te auf mor­gen, wenn auch nicht ge­ra­de her­vor­ra­gend, so doch vie­len mit­tel­mäs­sig ent­wi­ckel­ten Hun­den ähn­lich wur­de.

      Kaum hat­te ich die­se Mög­lich­keit er­wo­gen, als der Wunsch, Ber­t­ha ver­hei­ra­tet zu se­hen, in mir im­mer re­ger wur­de, wenn auch, of­fen ge­stan­den, nicht so sehr aus Freund­schaft für sie und ihre ar­men El­tern, als aus wis­sen­schaft­li­chem In­ter­es­se. Wie wür­de es aus­fal­len? Das war ’mal wirk­lich ein merk­wür­di­ges Pro­blem!

      »Vi­el­leicht ha­ben Sie Recht …« ant­wor­te­te ich dem­ge­mä­ss dem Va­ter, »man könn­te den Ver­such ma­chen … Ver­su­chen Sie es … aber … aber … Sie wer­den nie­mals einen Mann fin­den, der sich dar­auf ein­lässt.«

      »Ich habe schon einen«, sag­te er halb­laut.

      Aufs Neue be­trof­fen stam­mel­te ich:

      »Ei­nen ge­eig­ne­ten?… Ei­nen aus … Ihren Krei­sen?«

      »Ja«, ant­wor­te­te er, »voll­kom­men.«

      »Ach! Und … darf ich sei­nen Na­men wis­sen?«

      »Ich woll­te ihn ge­ra­de Ih­nen nen­nen und Sie um Ihre An­sicht über ihn bit­ten. Er heisst Gas­ton du Boys de Lu­cel­les!«

      »Der Elen­de!« hät­te ich bei­na­he aus­ge­ru­fen, aber ich be­zwang mich noch recht­zei­tig, und nach kur­z­em Schwei­gen sag­te ich:

      »Ja … sehr gut. Ich sehe kein Hin­der­nis.«

      Der arme Mann drück­te mir die Hand:

      »Die Hoch­zeit wird nächs­ten Mo­nat sein« sag­te er.

      *

      Gas­ton du Boys de Lu­cel­les war ein Tau­ge­nichts aus gu­ter Fa­mi­lie, der, nach­dem er sein vä­ter­li­ches Erb­teil ver­zehrt und sich eine hüb­sche An­zahl zum Teil sehr be­denk­li­cher Schul­den auf­ge­la­den hat­te, nach ir­gend ei­ner Ge­le­gen­heit such­te, um sich aufs Neue Geld zu be­schaf­fen.

      Jetzt hat­te er sie ge­fun­den.

      Er war im Üb­ri­gen ein hüb­scher an­sehn­li­cher Bursch, aber ein Wüst­ling, von je­ner Sor­te Le­be­män­ner aus der Pro­vinz, die mir so ver­hasst sind. Ich glaub­te in­des­sen, dass er ein für un­se­re Zwe­cke ganz pas­sen­der Ehe­mann sein wür­de, des­sen man sich nö­ti­gen­falls spä­ter mit Hil­fe ei­ner ent­spre­chen­den Pen­si­on wie­der ent­le­di­gen könn­te.

      Er kam jetzt täg­lich ins Haus, um sich lie­bens­wür­dig zu ma­chen und dem hüb­schen geis­tes­schwa­chen Mäd­chen, das ihm üb­ri­gens wirk­lich zu ge­fal­len schi­en, die Kour auf sei­ne Wei­se zu schnei­den. Er brach­te ihr Blu­men, küss­te ihr die Hand, setz­te sich zu ih­ren Füs­sen und sah sie mit zärt­li­chen Au­gen an; aber sie nahm von sei­nen Auf­merk­sam­kei­ten so gut wie gar kei­ne No­tiz und mach­te in kei­ner Wei­se einen Un­ter­schied zwi­schen ihm und den üb­ri­gen Per­so­nen ih­rer Um­ge­bung.

      Die Hoch­zeit fand statt.

      Sie wer­den be­grei­fen, bis zu wel­chem Gra­de mei­ne Neu­gier­de an­ge­sta­chelt war.

      Ich be­such­te Ber­t­ha am an­de­ren Mor­gen, um auf ih­rem Ge­sich­te zu le­sen, ob sie in ir­gend ei­ner Wei­se er­schüt­tert zu sein schie­ne. Aber ich fand sie ganz so wie alle Tage, le­dig­lich mit der Uhr und dem Es­sen be­schäf­tigt. Er schi­en da­ge­gen sehr ver­liebt und such­te die Hei­ter­keit und Zärt­lich­keit sei­ner Frau durch al­ler­lei Scher­ze und Tän­de­lei­en zu er­we­cken, so wie man es etwa mit klei­nen Kat­zen macht.

      Er hat­te eben nichts bes­se­res zu fin­den ge­wusst.

      Von jetzt an mach­te ich bei den jun­gen Ehe­gat­ten häu­fig mei­ne Vi­si­ten und über­zeug­te mich bald, dass die jun­ge Frau ih­ren Mann sehr gut als sol­chen er­kann­te und ihm die­sel­ben be­gehr­li­chen Bli­cke zu­warf wie vor­her den süs­sen Schüs­seln.

      Sie folg­te al­len sei­nen Be­we­gun­gen, un­ter­schied sei­nen Schritt auf der Trep­pe oder in den be­nach­bar­ten Zim­mern, klatsch­te in die Hän­de, wenn er ein­trat, und ihr gan­zes Ge­sicht über­goss ein Schim­mer von Glück und Be­gehr­lich­keit.

      Sie lieb­te ihn von gan­zem Her­zen und mit ih­rer gan­zen ar­men kind­li­chen See­le, mit die­sem ar­men Ge­mü­te, das die Er­kennt­lich­keit und An­häng­lich­keit ei­nes treu­en Tie­res emp­fand.

      Es war in der Tat ein wun­der­ba­res


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