Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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la­chend, »man hät­te viel zu tun, wenn man je­des Mäd­chen hei­ra­ten woll­te, mit dem man sich ein­ge­las­sen hat.«

      Aber mit ei­nem Griff hat­te Rose ihn an der Gur­gel ge­packt, warf ihn hin­ten­über, ehe er sich von sei­ner Be­stür­zung er­ho­len konn­te und würg­te ihn, wäh­rend sie über ihn ge­beugt ihm ins Ge­sicht schrie:

      »Ich bin schwan­ger, hörst Du? ich bin schwan­ger!«

      Er hol­te stöh­nend Atem und so blie­ben sie alle bei­de eine Zeit lang fast re­gungs­los und stumm in die­ser nächt­li­chen Stil­le, die nur durch das Schnau­ben ei­nes Pfer­des un­ter­bro­chen wur­de, wel­ches sich einen Stroh­halm auf­such­te und den­sel­ben lang­sam zer­kau­te. Da Jac­ques ein­sah, dass sie die Stär­ke­re war, so stam­mel­te er end­lich:

      »Nun gut, da es so steht, muss ich Dich hei­ra­ten.«

      Aber sie trau­te sei­nen Ver­spre­chun­gen nicht:

      »Aber so­fort!« sag­te sie; »Du wirst das Auf­ge­bot gleich ver­kün­di­gen las­sen.«

      »So­fort!« ant­wor­te­te er.

      »Schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

      Nach kur­z­em Zö­gern sag­te er:

      »Ich schwö­re es beim ewi­gen Gott!«

      Da ließ sie sei­ne Keh­le los und ging, ohne noch ein Wort zu sa­gen, hin­aus.

      Ei­ni­ge Tage ver­stri­chen, ohne dass sie ihn spre­chen konn­te und die Stall­tü­re war seit je­ner Nacht je­des Mal sorg­fäl­tig ver­schlos­sen; aus Furcht vor ei­nem Skan­dal wag­te sie kein Geräusch zu ma­chen.

      Dann sah sie ei­nes Mor­gens zur Früh­sup­pe einen an­de­ren Knecht ein­tre­ten.

      »Ist Jac­ques fort?« frag­te sie.

      »Al­ler­dings; ich bin an sei­ne Stel­le ge­kom­men.«

      Sie be­gann so hef­tig zu zit­tern, dass sie den Was­ser­kes­sel nicht los­ha­ken konn­te; dann ging sie, als al­les bei der Ar­beit war, in ihre Kam­mer hin­auf und wein­te, das Ge­sicht in ihre Kis­sen ver­gra­bend, da­mit sie nie­mand hör­te. Im Lau­fe des Ta­ges such­te sie sich zu er­kun­di­gen; aber sie hat­te so das Be­wusst­sein ih­res Un­glücks, dass sie ein ma­li­ti­öses Lä­cheln auf den Ge­sich­tern al­ler Leu­te zu se­hen glaub­te, die sie frag­te. Im Üb­ri­gen brach­te sie nur in Er­fah­rung, dass er die Ge­gend für im­mer ver­las­sen habe.

      II.

      Nun be­gann für sie ein Le­ben der fort­ge­setz­ten Qual. Sie ar­bei­te­te ma­schi­nen­mäs­sig, ohne sich et­was bei ih­rer Ar­beit zu den­ken. Die ein­zi­ge Idee, die sie be­stän­dig be­herrsch­te, war: »Wenn man es er­fah­ren wür­de.«

      Die­se fort­wäh­ren­de Be­sorg­nis mach­te sie so un­fä­hig, ru­hig nach­zu­den­ken, dass sie nicht ein­mal auf ein Mit­tel sann, um den Skan­dal zu ver­mei­den, den sie von Tag zu Tag un­wi­der­ruf­lich und si­cher, wie den Tod, her­an­kom­men sah.

      Je­den Tag, wenn die And­ren noch schlie­fen, stand sie auf und such­te mit ängst­li­cher Be­harr­lich­keit den Um­fang ih­rer Tail­le in ei­nem klei­nen Glas­scher­ben zu stu­die­ren, wel­cher ihr als Spie­gel diente; im­mer fürch­tend, dass es der heu­ti­ge Tag sei, an dem man ihre Schan­de be­mer­ken wür­de.

      Und tags­über un­ter­brach sie alle Au­gen­bli­cke ihre Ar­beit und schau­te nach un­ten, ob ihre zu­neh­men­de Stär­ke nicht schon an der Lage der Schür­ze kennt­lich wür­de.

      Mo­na­te ver­gin­gen. Sie sprach fast nicht mehr, und wenn man sie nach et­was frag­te, so be­griff sie kaum, schreck­te zu­sam­men, riss die Au­gen auf und zit­ter­te an den Hän­den, so­dass ihr ei­nes Ta­ges der Herr sag­te:

      »Ar­mes Mäd­chen! Wie ein­fäl­tig bist Du doch seit ei­ni­ger Zeit!«

      In der Kir­che ver­barg sie sich hin­ter ei­nem Pfei­ler und wag­te nicht mehr zur Beich­te zu ge­hen, aus Furcht vor dem Pfar­rer, dem sie die über­mensch­li­che Gabe zu­trau­te, im Her­zen sei­ner Pfarr­kin­der le­sen zu kön­nen.

      Bei Tisch ver­ging sie fast vor Angst, wenn ihre Ge­fähr­tin­nen sie an­schau­ten, und glaub­te sich fort­wäh­rend von dem Kuh­jun­gen ent­deckt, ei­nem vor­lau­ten, lis­ti­gen Bur­schen, des­sen lau­ern­des Auge stets auf ihr ruh­te.

      Ei­nes Mor­gens brach­te ihr der Post­bo­te einen Brief. Noch nie­mals hat­te sie einen be­kom­men, und sie war so er­schro­cken, dass sie sich hin­set­zen muss­te. War er viel­leicht von ihm? Aber weil sie nicht le­sen konn­te, so hielt sie angst­voll zit­ternd das tin­ten­be­fleck­te Pa­pier in der Hand. Sie steck­te es in die Ta­sche; da sie Nie­man­dem ihr Ge­heim­nis an­zu­ver­trau­en wag­te, hielt sie öf­ters in der Ar­beit inne, um län­ge­re Zeit die­se gleich­mäs­si­gen Li­ni­en zu be­trach­ten, un­ter wel­chen sich ein amt­li­cher Stem­pel be­fand; sie hat­te eine stil­le Hoff­nung, dass es ihr plötz­lich ge­lin­gen wür­de, den Sinn zu er­ra­ten. End­lich, da sie vor Un­ru­he und Un­ge­duld bei­na­he ver­ging, such­te sie den Schul­meis­ter auf und die­ser las ihr, nach­dem er ihr einen Stuhl an­ge­bo­ten hat­te, Fol­gen­des vor:

      »Lie­be Toch­ter!

      Mit Ge­gen­wär­ti­gem woll­te ich Dir mit­tei­len, dass es mir sehr schlecht geht. Un­ser Nach­bar, Meis­ter Den­tu, hat es über­nom­men Dir zu schrei­ben, dass Du kom­men möch­test, wenn Du kannst.

      Für Dei­ne treue Mut­ter

       Cae­sar Den­tu, Ad­junkt.«

      Schwei­gend ging sie von dan­nen; aber so­bald sie al­lein war, brach sie am Ran­de des We­ges zu­sam­men, denn ihre Füs­se woll­ten sie nicht mehr tra­gen. Dort blieb sie bis zum Ein­bruch der Nacht.

      Beim Nach­hau­se­kom­men klag­te sie dem Herrn ihr Leid, und die­ser er­laub­te ihr, so lan­ge als sie woll­te zu ver­rei­sen, wenn eine Ta­ge­löh­ne­rin ihre Ar­beit ver­rich­ten wol­le; er ver­sprach ihr auch, sie bei der Rück­kehr wie­der in Dienst zu neh­men.

      Ihre Mut­ter war be­reits be­wusst­los und starb am Tage ih­rer An­kunft; am nächs­ten Tage ge­bar Rose ein Kind von sie­ben Mo­na­ten. Es war ein ab­schre­cken­des klei­nes Wurm von schau­der­haf­ter Ma­ger­keit, das fort­wäh­rend Schmer­zen zu ha­ben schi­en; so krampf­haft ball­te es sei­ne ar­men Händ­chen zu­sam­men, die fleisch­los wie Krab­ben­füs­se wa­ren.

      Es blieb in­des­sen am Le­ben.

      Sie er­zähl­te, dass sie ver­hei­ra­tet sei, dass sie sich aber jetzt mit dem klei­nen We­sen nicht be­las­ten kön­ne; und so ließ sie es bei Nach­bars­leu­ten, die es gut zu pfle­gen ver­spra­chen.

      Nach kur­z­er Zeit kehr­te sie in ih­ren Dienst zu­rück. Aber nun er­hob sich in ih­rem so lan­ge ge­quäl­ten Her­zen gleich der Mor­gen­rö­te eine bis da­hin un­ge­ahn­te Lie­be für das zar­te klei­ne We­sen, das sie da un­ten zu­rück­ge­las­sen hat­te; und die­se Lie­be war selbst wie­der eine Quel­le neu­er Lei­den für sie, denn stünd­lich, ja fast in je­der Mi­nu­te fühl­te sie den her­ben Tren­nungs­schmerz.

      Was sie be­son­ders quäl­te war ein ge­ra­de­zu wahn­sin­ni­ges Ver­lan­gen, es zu um­ar­men, es an ihre Brust zu le­gen, die Wär­me sei­nes klei­nen Kör­pers an sich selbst zu ver­spü­ren. Bei Nacht schlief


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