Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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auf ihn von früh bis spät, die Au­gen auf die Uhr ge­hef­tet, und ohne noch ans Es­sen zu den­ken; er aber ass fast im­mer aus­wärts, in Cler­mont, in Cha­tel-Guy­on, in Ro­jat, kurz ir­gend­wo, und ver­mied es, nach Hau­se zu kom­men.

      Sie wur­de im­mer ma­ge­rer.

      Je­der an­de­re Ge­dan­ke, je­des Ver­lan­gen, jede Er­war­tung, jede auch noch so un­be­stimm­te Hoff­nung ver­schwand aus ih­rem Her­zen, und die Stun­den, in de­nen sie ihn nicht sah, wur­den für sie Stun­den des bit­ters­ten Schmer­zes. Bald fing er auch an, die Näch­te aus­wärts zu­zu­brin­gen. Er trieb sich mit Wei­bern im Ka­si­no von Royat her­um und kehr­te erst bei Ta­ges­grau­en heim.

      Sie wei­ger­te sich zu Bett zu ge­hen, ehe er wie­der­kam. Un­be­weg­lich sass sie in ih­rem Stuh­le, stets die Au­gen auf die klei­nen Zei­ger der Uhr ge­hef­tet und de­ren lang­sa­men Gang auf dem Zif­fer­blatt von Stun­de zu Stun­de ver­fol­gend.

      Wenn sie dann von Wei­tem den Schritt sei­nes Pfer­des hör­te, so sprang sie auf und wies bei sei­nem Ein­tritt mit der Mie­ne ei­ner Er­schei­nung auf den Zei­ger, als woll­te sie sa­gen: ›Sieh nur, wie spät es ist.‹ Und er fing an, einen Wi­der­wil­len ge­gen die­se lie­bes­be­dürf­ti­ge und ei­fer­süch­ti­ge Idio­tin zu emp­fin­den; er ge­riet in eine tie­ri­sche Wut, und ei­nes Nachts schlug er sie.

      Man ließ mich ho­len. Sie quäl­te sich un­ter wil­dem Heu­len in ei­ner furcht­ba­ren Kri­sis des Schmer­zes, des Zor­nes, der Lei­den­schaft und al­ler mög­li­chen Ge­füh­le. Wer konn­te wis­sen, was in die­sem ver­küm­mer­ten Ge­hirn al­les vor sich ging?

      Ich be­ru­hig­te sie mit Mor­phi­um-Pil­len und ver­bot dann ein für alle Mal ein Wie­der­se­hen mit die­sem Men­schen; denn ich sah ein, dass die Ehe ihr un­fehl­bar den Tod brin­gen müs­se.

      Dann wur­de sie ganz när­risch! Ja, mein Lie­ber, die­se Idio­tin ist när­risch ge­wor­den. Sie denkt un­aus­ge­setzt an ihn und war­tet auf ihn Tag und Nacht, schla­fend und wa­chend, heu­te wie ges­tern und mor­gen wie alle Tage. Als ich sah, dass sie im­mer mehr ab­ma­ger­te und ihr un­ru­hi­ger Blick nicht mehr vom Zif­fer­blatt der Uhr wich, ließ ich al­les fort­neh­men, was an Uhren im Hau­se hing. So raub­te ich ihr die Mög­lich­keit, die Stun­den zu zäh­len und in der dunklen Erin­ne­rung an die Zeit, wo er sonst heim­zu­keh­ren pfleg­te, sich ab­zu­grä­men. Ich hof­fe, auf die Dau­er in ihr die Erin­ne­rung zu er­tö­ten und je­nes Licht des Geis­tes wie­der aus­zu­lö­schen, das ich einst mit so vie­ler Mühe er­weckt hat­te.

      Und dann mach­te ich ei­ni­ge Zeit spä­ter einen Ver­such: Ich zeig­te ihr mei­ne Ta­schen­uhr. Sie nahm sie und sah sie lan­ge an. Dann schrie sie plötz­lich auf eine furcht­ba­re Art, als wenn der An­blick die­ses klei­nen Ge­gen­stan­des mit ei­nem Male das be­reits ein­schlum­mern­de Ge­dächt­nis wie­der auf­ge­weckt hät­te.

      Sie ist jetzt ma­ger, so ma­ger, dass man von Mit­leid be­wegt wird; ihre Au­gen sind hohl und fun­kelnd. Und sie geht ohne Un­ter­lass hin und her, wie ein wil­des Tier im Kä­fig.

      Ich habe die Fens­ter ver­git­tern, mit ho­hen La­den ver­se­hen und die Stüh­le am Bo­den be­fes­ti­gen las­sen, um zu ver­hin­dern, dass sie auf die Stras­se schaut, ob er wie­der­kom­me.

      Ach die ar­men El­tern! Was für ein Le­ben müs­sen sie füh­ren!

      Wir hat­ten in­zwi­schen den Hü­gel er­reicht und der Dok­tor wand­te sich mit den Wor­ten um:

      »Se­hen Sie, hier ha­ben Sie Riom vor sich.«

      Die Stadt hat­te das fins­te­re Aus­se­hen al­ler al­ten Städ­te. Nach hin­ten zu brei­te­te sich un­ab­seh­bar eine grü­ne, wal­di­ge, mit zahl­rei­chen Dör­fern und Städ­ten über­sä­e­te Ebe­ne aus; der blaue Dunst, in dem sie ge­ba­det war, bil­de­te einen wun­der­ba­ren Hin­ter­grund.

      Der Dok­tor be­gann mir die ver­schie­de­nen Orte der Rei­he nach zu nen­nen und mir die Ge­schich­te je­des ein­zel­nen zu er­zäh­len.

      Aber ich hör­te nicht recht zu; ich dach­te nur an die Wahn­sin­ni­ge, die mir im­mer vor Au­gen stand. Sie schi­en mir wie ein trau­ri­ger Geist über der gan­zen wei­ten Ge­gend zu schwe­ben.

      Und plötz­lich un­ter­brach ich den Er­zäh­ler mit der un­ver­mit­tel­ten Fra­ge:

      »Und was ist aus ihm, dem Ehe­mann, ge­wor­den?«

      »Er lebt in Royat von der Pen­si­on, die ihm aus­ge­zahlt wird. Er ist glück­lich und amü­siert sich«, ant­wor­te­te et­was über­rascht mein Freund nach ei­ni­gem Zö­gern.

      Als wir bei­de, trau­rig und schweig­sam, lang­sa­men Schrit­tes heim­kehr­ten, fuhr plötz­lich ein eng­li­sches Dog-Kart, von rück­wärts kom­mend, in sau­sen­dem Tem­po an uns vor­über.

      »Das ist er!« sag­te der Dok­tor, mei­nen Arm er­grei­fend.

      Ich sah nur einen grau­en Filz­hut, schief auf ei­nem Ohre sit­zend, über zwei brei­ten Schul­tern, in ei­ner Staub­wol­ke ver­schwin­den.

      *

Die Geschichte einer Bauernmagd

      I.

      Da das Wet­ter sehr schön war, so hat­ten die Bau­ers­leu­te schnel­ler als sonst ge­ges­sen und wa­ren aufs Feld ge­gan­gen.

      Rose, das Dienst­mäd­chen, blieb ganz al­lein in der großen Kü­che zu­rück, auf de­ren Herd noch ei­ni­ge Koh­len in der Asche un­ter dem vol­len Was­ser­kes­sel glimm­ten. Sie goss hin und wie­der et­was von die­sem Was­ser in einen Zu­ber und wusch lang­sam ihre Schüs­seln auf; wäh­rend sie zu­wei­len einen Blick auf die zwei hel­len Vier­e­cke warf, wel­che die Son­ne durch das Fens­ter auf dem läng­li­chen Ti­sche bil­de­te, und in de­nen sich deut­lich die schad­haf­ten Stel­len der Schei­ben ab­ho­ben.

      Drei ke­cke Hüh­ner such­ten un­ter den Stüh­len nach Brot­kru­men; durch die halb­of­fe­ne Tür drang die laue Luft des Stal­les und der Dunst des Hüh­ner­hofs, auf wel­chem die Häh­ne in der war­men Mit­tags­son­ne mun­ter kräh­ten.

      Als das Mäd­chen sei­ne Ar­beit be­en­det, den Tisch ab­ge­wischt, den Herd ver­sorgt und die Tel­ler auf dem ho­hen Ge­stell hin­ten ne­ben der ein­för­mig ti­cken­den höl­zer­nen Uhr ge­ord­net hat­te, seufz­te sie auf; denn sie fühl­te sich nie­der­ge­schla­gen und be­drückt, ohne recht zu wis­sen warum. Sie schau­te die ge­schwärz­ten Kalk­wän­de an, die ver­rauch­ten Bal­ken der De­cke, von wel­chen Spin­nen­net­ze, Bück­lin­ge und Zwie­bel­bün­del her­un­ter­hin­gen; dann setz­te sie sich nie­der, an­ge­wi­dert von den ver­schie­de­nen Aus­düns­tun­gen, wel­che die Ta­ges­hit­ze und das Son­nen­licht aus dem Bo­den her­vor­brach­ten, auf dem schon so Man­cher­lei seit so lan­ger Zeit ein­ge­trock­net war. Hie­rin misch­te sich noch der schar­fe Ge­ruch der Milch, die in dem küh­len Rau­me ne­ben­an zum Ge­rin­nen auf­ge­stellt war. Rose woll­te sich ei­gent­lich jetzt an eine Näh­ar­beit set­zen, aber es fehl­te ihr die rech­te Lust dazu und sie ging vor die Hau­stü­re, um et­was fri­sche Luft zu schöp­fen.

      Als sie ins Freie trat und von der Son­ne be­schie­nen wur­de, ging ihr or­dent­lich das Herz auf, und sie fühl­te im gan­zen Kör­per ein ei­gen­tüm­li­ches Be­ha­gen.

      Aus dem Dün­ger­hau­fen vor der Türe stieg fort­wäh­rend


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