Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Ge­biet. Der See­mann hat nicht die glei­che Emp­fin­dung auf der See. Die­se ist oft wild und un­ge­ber­dig, al­ler­dings; aber sie seufzt, sie stöhnt und tobt vor­her, sie be­nimmt sich also ehr­lich. Der Fluss hin­ge­gen ist stumm und hin­ter­lis­tig. Er grollt nicht, er fliesst ge­räusch­los Tag für Tag da­hin, und ge­ra­de die­se ewig gleich­mäs­si­ge Be­we­gung des da­hin­flies­sen­den Was­sers ist für mich viel er­grei­fen­der, als die turm­ho­hen Wo­gen des Ozeans.

      Schwär­mer be­haup­ten, dass sich auf dem tiefs­ten Grun­de des Mee­res un­er­mess­lich große bläu­li­che Fel­sen be­fän­den, auf de­nen die Er­trun­ke­nen mit­ten zwi­schen den großen Fi­schen durch das Ge­zwei­ge selt­sa­mer Wäl­der in kris­tal­le­ne Grot­ten ge­wälzt wür­den. Der Fluss hat nur schwar­ze Un­tie­fen, auf de­ren Grun­de man ver­fault. Aber er ist doch schön, wenn er von der auf­ge­hen­den Son­ne be­strahlt wird und lei­se mur­melnd mit sei­nen Wel­len am schilf­be­deck­ten Ufer plät­schert.

      Der Dich­ter singt vom Ozean:

       O Wo­gen, die Ihr schau­er­vol­le Din­ge wisst,

       Ob de­ren Graus so man­cher Mut­ter Trä­ne fliesst,

       Auf Eu­rem Weg von hier durchs wei­te große Meer

       Er­zählt Ihr’s Euch, und kommt Ihr abends wie­der her,

       Be­weint Ihr selbst mit tie­fem jam­mer­vol­len Ton

       Der Mut­ter Schmerz, der Ihr ent­risst den letz­ten Sohn.

      Nun gut; ich bin über­zeugt, dass die Ge­schich­ten, wel­che die schlan­ken Schilf­roh­re mit ih­ren zar­ten, lei­sen Stimm­chen er­zäh­len, oft noch viel grau­si­ger klin­gen, als die selt­sa­men Schau­er­mär­chen, die aus dem Ge­brüll der Wo­gen wi­der­hal­len.

      Aber da Sie mich ge­ra­de nach Erin­ne­run­gen fra­gen, so will ich Ih­nen ein selt­sa­mes Aben­teu­er er­zäh­len, wel­ches mir hier vor un­ge­fähr zehn Jah­ren pas­siert ist.

      Ich wohn­te da­mals, wie heu­te noch, im Hau­se der Mut­ter La­fon, und ei­ner mei­ner bes­ten Ka­me­ra­den, Lud­wig Ber­net, der jetzt auf sei­ne Käh­ne, sein Schiffs­zeug und sei­ne Frei­heit ver­zich­tet hat, um Mit­glied des Staats­ra­tes zu wer­den, hat­te sich da­mals im Dor­fe C…, zwei Mei­len wei­ter ab­wärts, nie­der­ge­las­sen. Wir as­sen je­den Tag zu­sam­men, bald bei mir, bald bei ihm.

      Ei­nes Abends, als ich ganz al­lein und ziem­lich müde zu­rück­kam und mein großes Boot, einen wah­ren Ozean von zwölf Fuss Län­ge, des­sen ich mich nachts ge­wöhn­lich be­dien­te, nur müh­sam fort­brach­te, mach­te ich einen Au­gen­blick in der Nähe der schilf­be­wach­se­nen Ecke da un­ten, un­ge­fähr hun­dert Me­ter vor der Ei­sen­bahn­brücke, Halt, um et­was Atem zu schöp­fen. Es war herr­li­ches Wet­ter, der Mond leuch­te­te mit sei­nem sanf­ten ru­hi­gen Licht, der Fluss glänz­te weit­hin und die Luft war lind und ru­hig. Die­se Ruhe steck­te mich an; ich dach­te mir, es müs­se sich an die­sem stil­len Plätz­chen herr­lich ein Pfeif­chen rau­chen las­sen. Ge­sagt, ge­tan! ich er­griff mei­nen An­ker und warf ihn aus.

      Die Ket­te spiel­te sich, da das Boot mit dem Stro­me fuhr, bis zum letz­ten Glie­de ab; dann hing ich fest. Ich mach­te es mir im Hin­ter­teil des Boo­tes auf mei­nem Schaf­fell so be­quem wie mög­lich. Man hör­te Nichts, rein gar Nichts; nur hin und wie­der glaub­te ich, ein lei­ses, fast un­hör­ba­res Plät­schern des Was­sers am Ufer zu ver­neh­men und ich sah, dass ei­ni­ge hö­her em­por­ra­gen­de Schilf­hal­me ein ei­gen­tüm­li­ches Aus­se­hen an­nah­men und sich zeit­wei­lig et­was be­weg­ten.

      Der Fluss war voll­kom­men ru­hig, aber ich fühl­te mich selt­sam von die­sem Schwei­gen be­wegt, wel­ches mich um­gab. Alle Tie­re schwie­gen; selbst die Frösche und Un­ken, die nächt­li­chen Sän­ger der Sümp­fe. Plötz­lich quak­te rechts vor mir ein Frosch; dann schwieg er wie­der und ich hör­te wei­ter Nichts mehr. Um mich zu zer­streu­en, setz­te ich mei­ne Pfei­fe aufs Neue in Brand, aber, ob­schon ich ein lei­den­schaft­li­cher Rau­cher war, so konn­te ich doch nicht auf den rich­ti­gen Ge­schmack kom­men. Nach ei­ni­gen Zü­gen krampf­te sich mein In­ne­res zu­sam­men und ich hör­te auf. Ich stimm­te ein Lied­chen an, aber der Klang mei­ner Stim­me miss­fiel mir. Dann leg­te ich mich auf den Bo­den hin und starr­te zum Him­mel hin­auf. Eine Zeit lang lag ich so ru­hig da, bis eine leich­te Be­we­gung des Kah­nes mich aufs Neue be­un­ru­hig­te. Es war mir, als be­schrie­be er große Bo­gen und sties­se wäh­rend des­sen an bei­den Ufern an; dann glaub­te ich, dass ein un­sicht­ba­res We­sen oder ir­gend eine ver­bor­ge­ne Ge­walt ihn sanft auf den Grund des Was­sers zöge und ihn gleich dar­auf em­por­schnel­le, um ihn zu­rück­fal­len zu las­sen. Ich fühl­te mich um­her­ge­schleu­dert wie bei ei­nem hef­ti­gen Stur­me; ich hör­te um mich her­um al­ler­hand son­der­ba­re Töne. Mit ei­nem Sat­ze sprang ich auf; das Was­ser glänz­te wie bis­her, und al­les war ru­hig.

      Ich fühl­te mei­ne Ner­ven et­was er­regt und be­schloss auf­zu­bre­chen. Ich zog an der An­ker­ket­te und der Kahn setz­te sich in Be­we­gung; dann fühl­te ich einen Wi­der­stand und zog stär­ker, aber der An­ker kam nicht in die Höhe. Er muss­te sich in der Tie­fe an et­was fest­ge­klam­mert ha­ben, das ich nicht em­por­he­ben konn­te; ich zog von Neu­em, aber ver­ge­bens. Dann griff ich zum Ru­der und wen­de­te den Kahn strom­auf­wärts, um die Lage des An­kers zu ver­än­dern; auch das war um­sonst, er gab nicht nach. Zor­nig riss ich mit al­ler Ge­walt an der Ket­te, es rühr­te sich nichts. Ent­mu­tigt setz­te ich mich nie­der und be­gann über mei­ne Lage nach­zu­den­ken. Ich durf­te nicht dar­an den­ken, die Ket­te zu zer­spren­gen oder sie vom Fahr­zeug los­zu­be­kom­men, denn sie war sehr dick und aus­ser­dem durch einen Holz­pflock be­fes­tigt, der stär­ker war, als mein Arm. Da aber das Wet­ter sehr schön blieb, so konn­te ich hof­fen, dass in kur­z­er Zeit schon Fi­scher vor­bei­kom­men wür­den, die ich dann um Hil­fe bit­ten woll­te. Ich be­ru­hig­te mich über mein Miss­ge­schick und zün­de­te mir eine neue Pfei­fe an. Eine Fla­sche Rum hat­te ich ge­ra­de zur Hand, und nach­dem ich ei­ni­ge Schluck aus der­sel­ben ge­tan hat­te, be­gann ich über mei­ne Lage zu la­chen. Es war so warm, dass ich zur Not ganz gut die Nacht im Frei­en zu­brin­gen konn­te.

      Plötz­lich tön­te ein klei­ner Schlag ge­gen die Boots­wand; ich er­schrak und der kal­te Schweiß brach mir aus al­len Po­ren. Die­ses Geräusch war zwei­fel­los durch ein Stück­chen Holz her­vor­ge­bracht, das die Strö­mung mit sich führ­te, aber es hat­te ge­nügt, um mei­ne Ner­ven von Neu­em auf­zu­re­gen. Ich griff wie­der zur Ket­te und riss mit ver­zweif­lungs­vol­ler Kraft dar­an; der An­ker sass fest. Er­schöpft setz­te ich mich wie­der nie­der.

      Mitt­ler­wei­le hat­te sich der Fluss all­mäh­lich mit ei­nem wei­ßen dich­ten Ne­bel be­deckt, der sehr nied­rig auf dem Was­ser lag, so­dass ich, als ich mich auf­rich­te­te, we­der den Fluss, noch mei­ne Füs­se, noch mei­nen Kahn sah; da­ge­gen be­merk­te ich wohl die Spit­zen des Schilf­roh­res, dann wei­ter­hin die blass im Mond­licht schim­mern­de Ebe­ne, mit großen schwar­zen zum Him­mel em­por­stre­ben­den Fi­gu­ren dar­auf, wel­che durch ein­zel­ne Pap­pel­grup­pen ge­bil­det wur­den. Ich war bis zum Gür­tel wie in ein Lein­wand­tuch von selt­sa­mer Wei­ße gehüllt, und un­will­kür­lich ent­stan­den in mei­nem Ge­hirn die son­der­bars­ten Fan­ta­sie­ge­bil­de. So schweb­te mir das Ge­fühl vor, ir­gen­det­was mir Frem­des wol­le mei­nen Kahn be­stei­gen und der in die­sem dich­ten Ne­bel ver­steck­te Fluss sei mit selt­sa­men


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