Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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das nicht in der Tat, als wenn es ihre Hoch­zeit wäre?

      War das ner­vö­se Zu­cken ih­rer Hand, der er­reg­te Schlag ih­res Her­zens durch ihre Adern zum Her­zen ih­res Nach­barn ge­drun­gen? Ver­stand er sie, er­riet er ihre Ge­dan­ken; wur­de er wie sie von ei­nem Ge­fühl zärt­lichs­ter Lie­be be­seelt? Oder wuss­te er nur aus Er­fah­rung, dass kein weib­li­ches We­sen ihm zu wi­der­ste­hen ver­moch­te? Sie fühl­te plötz­lich, wie er ihre Hand drück­te, an­fangs ganz sanft, dann im­mer stär­ker, so­dass sie fast hät­te auf­schrei­en mö­gen. Und ohne im Min­des­ten sei­nen erns­ten Ge­sichts­aus­druck zu ver­än­dern, so­dass nie­mand es be­merk­te, sag­te er zu ihr, ja, er sag­te es ganz deut­lich:

      »Ach, Jo­han­na, wenn Sie woll­ten, könn­te das un­se­re Ver­lo­bungs­fei­er wer­den!«

      Sie neig­te ganz lang­sam das Haupt, so­dass es wie ein lei­ses »Ja« gel­ten konn­te; und in die­sem Au­gen­bli­cke fie­len ei­ni­ge Trop­fen des Weih­was­sers, wo­mit der Pries­ter sie be­spreng­te, auf ihre zu­sam­men­ge­press­ten Hän­de.

      Die Ze­re­mo­nie war be­en­digt. Die Frau­en er­ho­ben sich von den Kni­en. Der Rück­weg wur­de in Un­ord­nung an­ge­tre­ten. Der Chor­kna­be trug das sil­ber­ne Kreuz nicht mehr fei­er­lich; das­sel­be schwank­te in sei­nen Hän­den bald nach rechts und links, bald neig­te es sich vorn­über, so­dass man fürch­ten muss­te, es fie­le hin. Der Pfar­rer eil­te jetzt ohne Ge­bet hin­ter dem Kna­ben drein; die Chor­sän­ger ver­schwan­den in ei­ner Sei­ten­gas­se, um sich schnel­ler aus­zie­hen zu kön­nen, und auch die Fi­scher stürm­ten grup­pen­wei­se da­von. Sie emp­fan­den schon im Voraus et­was wie einen gu­ten Kü­chen­duft, der ih­nen von der Nase bis zum Ma­gen drang, so­dass ih­nen das Was­ser im Mun­de zu­sam­men­lief und ein leich­tes kol­lern­des Geräusch in ih­rem In­nern er­tön­te.

      In Peup­les er­war­te­te sie näm­lich ein gu­tes Früh­stück.

      Auf dem Hofe un­ter den Obst­bäu­men war eine große Ta­fel ge­deckt, an der sech­zig Per­so­nen, Fi­scher und Land­leu­te, Platz nah­men. Die Baro­nin, wel­che in der Mit­te sass, hat­te die bei­den Pfar­rer von Yport und Etou­ve­nt rechts und links ne­ben sich. Der Baron sass ihr ge­gen­über zwi­schen dem Maire und des­sen Gat­tin. Es war dies eine ma­ge­re, be­reits et­was be­jahr­te Frau von länd­li­chen Sit­ten, die nach al­len Sei­ten leb­haft grüss­te. Ihr schma­les run­ze­li­ges Ge­sicht war ganz in ih­rer großen nor­män­ni­schen Müt­ze ver­steckt; ein rich­ti­ges Hüh­ner­ge­sicht mit ei­nem wei­ßen Kamm dar­über, un­ter dem ein run­des Auge stets ver­wun­dert und neu­gie­rig in die Welt schau­te. Sie ass mit klei­nen has­ti­gen Schlu­cken, als hät­te sie mit ih­rer Nase auf dem Tel­ler ge­pickt.

      Jo­han­na schwelg­te an der Sei­te des Vi­com­te im vol­len Glücke. Sie sah und hör­te nichts; schwei­gend gab sie sich ih­ren se­li­gen Ge­dan­ken hin.

      »Wie ist doch Ihr Vor­na­me?« frag­te sie end­lich den Vi­com­te.

      »Ju­li­us«, sag­te er, »das wuss­ten Sie nicht?«

      Aber sie gab kei­ne Ant­wort. »Wie oft wer­de ich mir die­sen Na­men im Stil­len wie­der­ho­len« war das ein­zi­ge, was sie dach­te.

      Als das Mahl be­en­det war, über­liess man den Hof den Fi­schern und Land­leu­ten; die Üb­ri­gen be­ga­ben sich an die an­de­re Sei­te des Schlos­ses. Die Baro­nin schick­te sich, auf den Gat­ten ge­stützt und von den bei­den Geist­li­chen be­glei­tet, zu »ih­rer Übung« an, wäh­rend Jo­han­na und Ju­li­us zu dem Bos­quet gin­gen. Kaum hat­ten sie die ver­schlun­ge­nen Pfa­de des­sel­ben be­tre­ten, als der Vi­com­te ihre Hand er­griff und zu ihr sag­te:

      »Jo­han­na, wol­len Sie mei­ne Gat­tin wer­den?« An­fangs senk­te sie das Köpf­chen; als aber der Vi­com­te sie noch­mals frag­te: »Ant­wor­ten Sie mir, ich bit­te Sie«, da hob sie sanft die Au­gen zu ihm auf und er konn­te die Ant­wort in ih­rem Bli­cke le­sen.

      *

      Ei­nes Mor­gens, noch ehe Jo­han­na auf­ge­stan­den war, trat der Baron in ihr Zim­mer und setz­te sich zu Füs­sen des Bet­tes.

      »Der Vi­com­te de La­ma­re hat um Dei­ne Hand bei uns an­ge­hal­ten«, sag­te er fei­er­lich.

      Sie hät­te am liebs­ten das Ge­sicht un­ter der De­cke ver­steckt.

      »Wir ha­ben un­se­re Ant­wort noch et­was ver­scho­ben.«

      Jo­han­na at­me­te kaum noch vor in­ne­rer Er­re­gung.

      »Wir woll­ten näm­lich kei­ne Ent­schei­dung ohne Dich tref­fen«, fuhr der Baron nach ei­ner kur­z­en Pau­se lä­chelnd fort. »Dei­ne Mut­ter und ich ha­ben ge­gen die­se Hei­rat nichts ein­zu­wen­den, ohne Dich in­des zwin­gen zu wol­len. Du bist viel rei­cher wie er; aber wenn es sich um das Glück des Le­bens han­delt, muss man nicht nach dem Gel­de schau­en. Er hat kei­ne El­tern mehr; wenn Du ihn hei­ra­ten soll­test, so wür­de er als Sohn in un­se­re Fa­mi­lie ein­tre­ten. Bei ei­nem an­de­ren wäre es um­ge­kehrt; da wür­dest Du, un­ser Kind, zu frem­den Leu­ten ge­hen. Der jun­ge Mann ge­fällt uns. Ich weiß nicht, ob er Dir ge­fällt …?«

      »Ach ja, Papa!« stam­mel­te sie, über und über rot.

      »Ich war mir noch nicht ganz klar dar­über« sag­te ihr Va­ter, nach­dem er ihr eine Wei­le, im­mer lä­chelnd, tief in die Au­gen ge­se­hen hat­te.

      Sie leb­te bis zum Abend in ei­nem Tau­mel, ohne zu wis­sen, was sie tat. Mecha­nisch nahm sie bald die­sen, bald je­nen Ge­gen­stand zur Hand; in all ih­ren Glie­dern fühl­te sie eine wei­che Er­schlaf­fung, ohne dass sie einen grös­se­ren Spa­zier­gang ge­macht hät­te.

      Ge­gen sechs Uhr, als sie mit der Mut­ter un­ter der großen Pla­ta­ne sass, er­schi­en der Vi­com­te.

      Jo­han­nas Herz klopf­te zum Zer­sprin­gen. Der jun­ge Mann nä­her­te sich ih­nen, ohne be­son­ders er­regt zu schei­nen. Als er vor ih­nen stand, er­griff er die Hand der Baro­nin und führ­te sie an die Lip­pen. Dann nahm er die Jo­han­nas und drück­te einen lan­gen Kuss voll Zärt­lich­keit und Dank­bar­keit dar­auf …

      Und nun be­gann die wun­der­ba­re Zeit des Braut­stan­des. Sie plau­der­ten zu­sam­men in ir­gend ei­ner Ecke des Sa­lons oder auf der Ra­sen­bank hin­ten im Bos­quet, vor sich die wei­te Hei­de.

      Zu­wei­len spa­zier­ten sie mit der Mama in »ih­rer Al­lee« und spra­chen von der Zu­kunft, wo­bei Jo­han­na nach­denk­lich den Blick auf die stau­bi­gen Fuss­s­pu­ren der Mut­ter hef­te­te.

      Nach­dem die Sa­che nun ein­mal ent­schie­den war, woll­te man auch den Aus­gang be­schleu­ni­gen. So kam man über­ein, dass in sechs Wo­chen, am 15. Au­gust, die Ver­mäh­lung statt­fin­den soll­te und gleich dar­auf das jun­ge Paar sei­ne Hoch­zeits­rei­se an­tre­ten wür­de. Jo­han­na, um ihre An­sicht ge­fragt, ent­schied sich da­für, dass man Kor­si­ka be­su­chen wol­le. Dort wür­de man un­ge­stör­ter sein, als in den viel­be­such­ten und be­leb­ten Städ­ten Ita­li­ens.

      Sie er­war­te­ten den fest­ge­setz­ten Tag ih­rer Ver­bin­dung ohne all­zu große Un­ge­duld, aber be­seelt und ge­tra­gen von ei­ner in­ni­gen Zärt­lich­keit. Sie durch­kos­te­ten alle die zahl­lo­sen klei­nen Freu­den des Braut­stan­des, die Hän­de­drücke, die lie­be­vol­len lan­gen Bli­cke, bei de­nen die See­len sich


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