Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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hielt sie es lan­ge so in ih­ren Ar­men.

      War das wirk­lich »Er«, den ihr tau­send­fach eine in­ne­re Stim­me ver­spro­chen, den ihr eine gü­ti­ge Vor­se­hung so in den Weg ge­führt hat­te? War er wirk­lich das für sie be­stimm­te We­sen, dem sie ihr gan­zes Da­sein op­fern wür­de? Wa­ren sie bei­de dazu be­stimmt, sich in in­ni­ger Zärt­lich­keit zu ver­ei­nen, für im­mer zu ver­bin­den, die »Lie­be« zu kos­ten?

      Sie emp­fand noch nicht jene stür­mi­schen Re­gun­gen der See­le, jene tie­fen Ge­füh­le, un­ter wel­chen sie sich die Lei­den­schaft vor­stell­te; es schi­en ihr aber, als be­gin­ne sie doch, ihn zu lie­ben. Denn so­bald sie an ihn dach­te, schlug ihr Herz hö­her; und sie dach­te un­auf­hör­lich an ihn. Sei­ne Ge­gen­wart ließ ihre Pul­se hef­ti­ger klop­fen, sie wur­de ab­wech­selnd bleich und rot, wenn sie sei­nem Blick be­geg­ne­te; und sie zuck­te zu­sam­men, wenn sie sei­ne Stim­me hör­te.

      In die­ser Nacht schlief sie we­nig.

      Von da an nahm das un­ru­hi­ge Lie­bes­seh­nen sie im­mer mehr ge­fan­gen. Sie er­forsch­te un­auf­hör­lich sich selbst, be­frag­te die Mar­ghe­ri­ten, die Wol­ken und warf Geld­stücke in die Luft, um aus ih­rem Fall sich die Ant­wort zu ho­len.

      »Mach’ Dich hübsch, Kind, mor­gen Vor­mit­tag«, sag­te dann ei­nes Abends der Baron zu ihr.

      »Wa­rum denn, Papa?« frag­te sie neu­gie­rig.

      »Das ist ein Ge­heim­nis«, ant­wor­te­te er.

      Und als sie am an­de­ren Mor­gen her­un­ter­kam wie eine frisch er­blüh­te Rose in ih­rer lich­ten Toi­let­te, fand sie den Tisch im Sa­lon mit Bon­bo­nie­ren be­deckt und auf dem einen Ses­sel ein mäch­ti­ges Bou­quet.

      Im Hof fuhr ein Wa­gen vor, auf dem man die In­schrift las: »Le­rat, Ku­chen­bä­cker in Fe­camp. Hoch­zeits­di­ners.« Lu­di­vi­ne, wel­che in Beglei­tung ei­nes Kü­chen­jun­gen her­bei­ge­eilt kam, hol­te aus dem In­nern des­sel­ben ver­schie­de­ne ver­deck­te Schüs­seln her­aus, die sehr gut ro­chen.

      Jetzt er­schi­en der Vi­com­te de La­ma­re. Sei­ne Bein­klei­der spann­ten sich über zier­li­chen Lackstie­fe­let­ten, wel­che die Klein­heit sei­ner Füs­se noch mehr her­vor­tre­ten lies­sen. Aus der Bru­st­öff­nung sei­nes eng­an­sch­lies­sen­den Über­rockes tra­ten die Spit­zen sei­nes Fal­ten­hem­des her­vor, wäh­rend eine ele­gan­te Hals­bin­de, drei­fach ge­schlun­gen, ihn zwang, den Kopf hö­her als ge­wöhn­lich zu tra­gen, was sei­nem ge­bräun­ten Ant­litz einen ge­wich­ti­gen Ein­druck ver­lieh. Er hat­te eine an­de­re Mie­ne wie sonst, je­nen be­son­de­ren Aus­druck, den eine ge­wähl­te Toi­let­te auch dem be­kann­tes­ten Ge­sicht gibt. Jo­han­na war er­staunt und be­trach­te­te ihn wie einen völ­lig Frem­den. Sie fand üb­ri­gens, dass er das Mus­ter­bild ei­nes Edel­man­nes, ei­nes großen Herrn, vom Schei­tel bis zur Zehe war.

      »Nun, Ge­vat­te­rin, sind Sie be­reit?« sag­te er, sich lä­chelnd ver­beu­gend.

      »Aber zu was denn?« stam­mel­te sie. »Was gibt es denn?«

      »Du wirst es gleich er­fah­ren« sag­te der Baron.

      Der Wa­gen fuhr vor und Ma­da­me Ade­laï­de in großer Toi­let­te stieg die Trep­pe her­un­ter, ge­stützt von Ro­sa­lie. Letz­te­re war so über­rascht von der Ele­ganz des Vi­com­te, dass die Baro­nin ihm zu­flüs­ter­te:

      »Hö­ren Sie, Vi­com­te, ich glau­be, un­ser Kam­mer­mäd­chen ist ent­zückt von Ih­nen.«

      Er wur­de rot bis über die Ohren; aber er tat, als habe er nichts ge­hört. Er be­mäch­tig­te sich des großen Bou­quets und über­reich­te es Jo­han­na, wel­che es er­staun­ter noch als vor­her an­nahm. Alle vier be­stie­gen jetzt den Wa­gen. Die Kö­chin Lu­di­vi­ne, wel­che der Baro­nin eine Tas­se Fleisch­brü­he zur Stär­kung brach­te, konn­te sich nicht ent­hal­ten zu sa­gen:

      »Aber, gnä­di­ge Frau, das ist ja wie eine Hoch­zeit.«

      In Yport stieg man aus, und so­bald sie das Dorf be­tra­ten, tra­ten die Fi­scher in ih­ren bes­ten An­zü­gen aus den Tü­ren, grüss­ten, drück­ten dem Baron die Hand und folg­ten pro­zes­si­ons­wei­se dem Zuge, den der Vi­com­te, mit Jo­han­na am Arm, an­führ­te.

      Vor der Kir­che wur­de Halt ge­macht. Ein Chor­kna­be mit dem hoch­ge­hal­te­nen sil­ber­nen Kreuz trat her­aus, dem ein an­de­rer im ro­ten Chor­rock und weißem Ro­chet­te folg­te. Letz­te­rer trug den Weih­was­ser­kes­sel mit dem We­del dar­in.

      Dann ka­men drei alte Chor­sän­ger, von de­nen ei­ner hin­k­te, dann der Or­ga­nist, end­lich der Pfar­rer, die gold­ge­stick­te Sto­la über der Brust ge­kreuzt. Er wünsch­te lä­chelnd durch ein Nei­gen des Haup­tes »Gu­ten Mor­gen.« Dann folg­te er mit halb­ge­schlos­se­nen Au­gen, ein Ge­bet auf den Lip­pen, das Ba­rett in die Stirn ge­drückt, sei­nem Sta­be, der sich nach dem Mee­re hin be­weg­te.

      Am Stran­de um­stand eine dicht­ge­dräng­te Men­ge eine neue blu­men­ge­schmück­te Bar­ke. Ihr Mast, die Se­gel, das Tau­werk, wa­ren mit lan­gen Bän­dern ge­schmückt, die im Win­de flat­ter­ten. Am Steu­er­bord er­glänz­te in gol­di­gen Buch­sta­ben der Name »Jo­han­na.«

      Papa Las­ti­que, der Pa­tron die­ses mit dem Gel­de des Barons er­bau­ten Schif­fes trat aus der Men­ge vor. Alle Men­schen ent­blöss­ten beim An­blick des Kreu­zes mit der­sel­ben Hand­be­we­gung gleich­zei­tig ihre Häup­ter und knie­ten in ei­ner drei­fa­chen Rei­he nie­der. Es war ein selt­sa­mer An­blick: Alle die­se An­däch­ti­gen, ein­gehüllt in die gleich­ar­ti­gen, wei­ten schwar­zen Schul­ter­män­tel.

      Der Pfar­rer mit den bei­den Chor­kna­ben be­gab sich in das eine Ende des klei­nen Fahr­zeu­ges, wäh­rend an dem an­de­ren sich die drei al­ten Chor­sän­ger auf­stell­ten. Ihre wei­ßen Chor­hem­den wa­ren nicht mehr ganz sau­ber, das Kinn un­ra­siert; aber sie schau­ten mit ih­rer wich­tigs­ten Mie­ne in das Ge­sang­buch und de­to­nier­ten in Fol­ge der kla­ren Mor­gen­luft recht be­denk­lich.

      Je­des Mal, wenn sie Atem schöpf­ten, setz­te der Küs­ter al­lein sei­nen Ge­sang fort, und sei­ne klei­nen grau­en Au­gen ver­schwan­den fast hin­ter den dick auf­ge­bla­se­nen Ba­cken. Sei­ne Stirn und sein Na­cken wa­ren von der An­stren­gung so rot ge­wor­den, dass man hät­te mei­nen kön­nen, die Haut wäre ihm dort ab­ge­zo­gen.

      Das Meer selbst in sei­ner kla­ren un­be­weg­li­chen Ruhe schi­en an der Tau­fe sei­nes Fahr­zeu­ges Teil zu neh­men. Kaum eine leich­te Re­gung des Was­sers war zu be­mer­ken, lei­se nur knirsch­te der Kies des Ge­sta­des un­ter den Wel­len, die nicht ’mal eine Hand­breit hoch wa­ren. Und die großen wei­ßen Mö­ven zo­gen mit aus­ge­brei­te­ten Schwin­gen ihre Krei­se am blau­en Him­mel; bald schos­sen sie pfeil­schnell da­von, bald ka­men sie lang­sam durch die Luft ge­se­gelt auf die Men­ge der An­däch­ti­gen zu, als woll­ten sie schau­en, was es da ei­gent­lich gäbe.

      Jetzt schloss der Ge­sang mit ei­nem mi­nu­ten­lan­gen Amen und der Pries­ter sprach mit tiefer Stim­me ein la­tei­ni­sches Ge­bet, von dem man im All­ge­mei­nen nur die schär­fer be­ton­ten End­sil­ben ver­stand.

      Als­dann mach­te er einen Gang über die gan­ze Bar­ke und be­spreng­te sie mit Weih­was­ser;


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