Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.mit furchtsamen Tone:
»Gewiss, ich werde schon warten.«
Papachen stützte die Baronin.
»Ich werde mich auch schlafen legen«, sagte er, von der Hitze des Tages selbst etwas angegriffen.
Nun erhob sich Tante Lison ihrerseits, legte die angefangene Arbeit, ihre Wolle und die große Häkelnadel auf einen Sessel und beugte sich zum Fenster in die liebliche Sommernacht hinaus.
Die beiden Verlobten gingen ohne Unterlass über den Rasen vom Bosquet zur Rampe und von der Rampe wieder zum Bosquet. Sie drückten sich die Hände ohne viel zu sprechen, gleich als ob die Seele den Körper verlassen hätte, um sich mit dem poetischen Reiz dieser klaren Sommernacht zu verschmelzen.
Plötzlich bemerkte Johanna die Gestalt des alten Fräuleins, welche sich von der Helle des Zimmers deutlich im Fensterrahmen abhob.
»Sieh nur«, sagte sie, »Tante Lison beobachtet uns!«
»Ja, Tante Lison beobachtet uns«, sagte der Vicomte nach einem flüchtigen Blicke, gedankenlos, mit gleichgültigem Tone.
Und sie setzten traumverloren ihren Spaziergang fort.
Als der Tau zu fallen begann und es merklich kühler wurde, sagte sie:
»Wir wollen doch lieber hereingehen.«
Und sie kehrten heim.
Als sie den Salon betraten, sass Tante Lison wieder bei ihrer Häkelei, den Kopf tief über ihre Arbeit gebeugt. Ihre mageren Finger zitterten leicht wie von Übermüdung.
»Es wird Zeit zum Schlafengehen, Tante«, sagte Johanna, sich ihr nähernd.
Das alte Fräulein schlug die Augen auf; sie waren wie vom Weinen gerötet. Die Verlobten hatten kein Acht darauf; vielmehr betrachtete der junge Mann mit ängstlichem Blick die feinen Schühchen seiner Braut, die ganz mit Tau bedeckt waren.
»Hast Du nicht kalt an Deinen lieben kleinen Füsschen?« fragte er zärtlich.
Die Finger der Tante wurden plötzlich von so heftigem Zittern befallen, dass ihr die Arbeit entsank; der Wollknäuel rollte weit über das Parkett. Sie barg das Gesicht in den Händen und begann plötzlich krampfhaft zu schluchzen.
Erstaunt sahen die beiden Verlobten sie an, ohne ein Wort zu sagen. Dann aber sank Johanna auf die Knie, umschlang sie mit ihren Armen und fragte tief ergriffen:
»Aber was hast Du nur, Tante Lison; was fehlt Dir doch nur?«
»Ach, als er Dich fragte«, stammelte die Ärmste mit tränenerstickter Stimme und konvulsivischem Zucken, »ob Du … an … Deinen … lieben … kleinen … Füssen … nicht kalt hättest … Mir hat man … so etwas … nie gesagt … ach nie … nie …!«
Johanna war so überrascht von diesem Gefühlsausbruch, dass sie bei dem Gedanken an einen Liebhaber, der Tante Lison Zärtlichkeiten zuflüsterte, erbarmungslos beinahe laut aufgelacht hätte. Der Vicomte wandte sich ab, um seine Heiterkeit zu verbergen.
Dann erhob sich die Tante plötzlich, ließ ihre Arbeit im Stich und suchte im Dunkeln mit tastenden Schritten die Treppe zu ihrem Zimmer.
Allein gelassen, sahen sich die beiden jungen Leute lustig und zärtlich zugleich an.
»Die arme Tante! …« murmelte Johanna.
»Sie muss heute Abend nicht ganz bei Trost sein«, meinte Julius.
Es wurde ihnen schwer sich zu trennen; sie drückten sich immer wieder die Hände, und leise, ganz leise gaben sie sich den ersten Kuss vor dem großen Sessel, den Tante Lison soeben verlassen hatte.
Am anderen Tage dachten sie schon nicht mehr an die Tränen des alten Fräuleins.
Die beiden letzten Wochen vor der Hochzeit verbrachte Johanna ziemlich still und ruhig, als wenn sie von den süssen Regungen des Brautstandes ermüdet sei.
Am Morgen des entscheidenden Tages war es ihr nicht mehr möglich, über irgendetwas klare Gedanken zu fassen. Sie fühlte etwas wie eine große Leere in ihrem ganzen Körper; es war, als ob ihr ganzes Innere, ihr Herz, ihr Hirn, ihre Gebeine selbst den Dienst versagten. Wenn sie etwas anfasste, so fühlte sie, dass sie heftig zitterte.
Erst im Chor der Kirche vor Beginn des Gottesdienstes fand sie ihre Selbstbeherrschung wieder.
Verheiratet! So war sie also verheiratet! Alles was sie seit Tagesanbruch gedacht, erlebt und empfunden hatte, erschien ihr wie ein Traum. In solchen Momenten kommt einem alles wie ausgewechselt vor; die Bewegungen und Mienen gewinnen eine andere Bedeutung, ja selbst die Stunden scheinen nicht mehr in der richtigen Reihenfolge zu sein.
Sie war verwirrt und über alles erstaunt. Am Abend vorher war noch alles beim Alten gewesen; höchstens hatte sie gefühlt, dass das, was sie erhoffte, nun ganz nahe, beinahe greifbar sei. Als junges Mädchen war sie eingeschlafen, jetzt war sie eine junge Frau.
Sie hatte also die Schranke überschritten, jenseits welcher die Zukunft mit all’ ihren Freuden, all’ ihrem erträumten Glücke lag. Vor ihr schien eine Tür offen zu stehen; sie trat durch dieselbe ein in das erwartete Paradies.
Die Feierlichkeit war zu Ende. Da niemand eingeladen war, so betraten sie fast allein die Sakristei.
Als sie beim Verlassen der Kirche unter dem Portale erschienen, stutzte die junge Frau vor einem mächtigen Krach, der die Luft erschütterte und der Baronin einen Schrei erpresste. Die Landleute hatten eine Salve abgefeuert, deren Widerhall, immer wieder durch neue Schüsse geweckt, sich bis zum Schlosse Peuples fortsetzte.
Für die Familie, die beiden Pfarrer, den Maire und einige Zeugen, die man unter den grösseren Gutsbesitzern der Umgegend ausgesucht hatte, war im Schlosse ein Frühstück angerichtet.
Nach demselben wurde vor dem Diner ein Spaziergang gemacht; der Baron, die Baronin, Tante Lison, der Maire und der Abbé Picot durchwanderten die Allee der Mama, während in der gegenüberliegenden der andere Pfarrer, mit großen Schritten auf- und abwandelnd, sein Brevier betete.
Von der anderen Seite des Schlosses vernahm man den ausgelassenen Jubel der Landleute und Fischer, die unter den Obstbäumen mit Cider regaliert wurden. Die ganze Umgegend war hier im Sonntagsstaat versammelt; die Burschen und jungen Mädchen trieben allerlei muntere Spiele.
Johanna und Julius gingen zusammen durch das Bosquet, stiegen die kleine Anhöhe hinan und betrachteten das ausgebreitete Meer. Trotz