Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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be­de­ckend, hät­te sie am Liebs­ten laut schrei­en mö­gen und sie zog sich ganz an das Ende des Bet­tes zu­rück.

      Ob­schon sie ihm den Rücken dreh­te, schloss er sie doch in sei­ne Arme und küss­te sie hef­tig auf den Na­cken, wo­bei er die Bän­der ih­rer Nacht­hau­be und den Spit­zen­be­satz ih­res Hem­des zu­rück­schob.

      Selbst als sie be­merk­te, wie sei­ne Hand be­gie­rig nach ih­rem Bu­sen tas­te­te, reg­te sie sich nicht, von ei­ner ent­setz­li­chen Furcht ge­lähmt. Sie at­me­te schwer un­ter die­ser un­ge­wohn­ten Berüh­rung, bei der sie am liebs­ten aus dem Zim­mer ge­flüch­tet wäre, um sich ir­gend­wo, fern von die­sem Man­ne, ein­zu­sch­lies­sen.

      Er aber wich nicht von der Stel­le. Sie fühl­te die Wär­me sei­nes Kör­pers, sie be­merk­te, wie er sei­ne Zärt­lich­kei­ten ver­dop­pel­te und schliess­lich merk­te sie, dass ihr doch nichts üb­rig blei­ben wür­de, als sich um­zu­wen­den und ihn wie­der zu küs­sen.

      Denn er be­gann be­reits un­ge­dul­dig zu wer­den und sag­te mit trau­ri­gem Tone:

      »Sie wol­len also nicht mei­ne klei­ne lie­be Frau sein?«

      »Bin ich das denn nicht schon?« mur­mel­te sie kaum hör­bar.

      »Nein, durch­aus nicht,« ant­wor­te­te er mit ei­nem An­flug von Herb­heit, »ich glau­be, Sie hal­ten mich zum Bes­ten.«

      Ganz er­grif­fen vom Ton sei­ner Stim­me wand­te sie sich plötz­lich zu ihm um und bat ihn um Ver­zei­hung.

      Er nahm sie nun vollends in sei­ne Arme und be­gann wie ein Ra­sen­der sie mit Küs­sen zu be­de­cken. Kei­ne Stel­le an ih­rem gan­zen Ge­sicht blieb von die­sen heiss­hung­ri­gen, ver­zeh­ren­den, wü­ten­den Küs­sen un­be­rührt. Sie hat­te die Hän­de zu­rück­ge­zo­gen und er­gab sich wi­der­stands­los, ohne selbst zu wis­sen, was sie tat, sei­nen stür­mi­schen Lieb­ko­sun­gen. Ein tiefer Schmerz durch­drang ih­ren Kör­per, sie be­gann zu seuf­zen und er­wi­der­te leb­haft die Küs­se, vor de­nen sie vor­hin noch so sehr zu­rück­ge­schreckt war. Jetzt war sie Ju­li­us sei­ne Frau.

      Was dann noch ge­sch­ah, ent­zog sich ih­rem Ge­dächt­nis­se, ihr Be­wusst­sein war ziem­lich ge­schwun­den; nur dun­kel er­in­ner­te sie sich noch, wie ihr Ju­li­us einen lan­gen in­ni­gen dank­ba­ren Kuss auf die Lip­pen drück­te.

      Dann sprach er mit ihr und sie muss­te ihm ant­wor­ten. Nach ei­ni­ger Zeit be­gann er sei­ne Zärt­lich­kei­ten aufs Neue; aber sie sträub­te sich voll Scham, und wäh­rend sie sei­ne Umar­mung ab­wehr­te, fühl­te sie auf sei­ner Brust die dich­ten Haa­re, die sie schon vor­hin an sei­nen Bei­nen ge­spürt hat­te. Ent­setzt dreh­te sie sich um.

      Er schi­en es schliess­lich leid zu sein, sich ver­geb­lich mit ihr zu be­mü­hen und blieb ru­hig lie­gen.

      Dann dach­te sie nach. »Das also heisst sei­ne Frau sein; das also, nur das!« und die tiefs­te Verzweif­lung er­griff ihr Herz, als sie ihre Träu­me von in­nigs­ter Zärt­lich­keit so zer­stört, ihre teu­ers­ten Er­war­tun­gen ent­täuscht, ihr Glück ver­nich­tet sah.

      Lan­ge lag sie so mit ih­rem Schmer­ze da, wäh­rend ihre Au­gen über die Sti­cke­rei­en an der Wand flo­gen, über die alte Lie­bes­ge­schich­te, mit der das gan­ze Zim­mer so­zu­sa­gen be­deckt war.

      Aber als Ju­li­us nichts mehr sprach und ganz re­gungs­los dalag, wand­te sie lang­sam ih­ren Blick zu ihm und be­merk­te, dass er schlief. Er schlief mit halb­of­fe­nem Mun­de, sein Ant­litz zeig­te einen ru­hi­gen, zu­frie­de­nen Aus­druck. Er schlief also!

      Sie konn­te es kaum glau­ben; sie fühl­te sich ver­letzt. Die­ser Schlaf be­frem­de­te sie noch mehr als sein Un­ge­stüm, sie fühl­te sich rück­sichts­los be­han­delt. Konn­te er denn wirk­lich in die­ser Nacht schla­fen? Für ihn hat­te also das, was zwi­schen ih­nen vor­ge­fal­len war, nichts Aus­ser­ge­wöhn­li­ches? Ach, sie hät­te sich lie­ber noch schla­gen las­sen, so fühl­te sie sich ver­letzt und ent­rüs­tet über die son­der­ba­ren Zärt­lich­kei­ten; und er schlief ganz ru­hig da­nach.

      Auf einen El­len­bo­gen ge­stützt schau­te sie un­be­weg­lich zu ihm her­über und horch­te auf die tie­fen Atem­zü­ge, wel­che über sei­ne Lip­pen ka­men und schliess­lich in ein ziem­lich lau­tes Schnar­chen über­gin­gen.

      Der Tag brach an, an­fangs un­be­stimmt däm­mernd, dann lich­ter, ro­si­ger und end­lich hell­strah­lend. Ju­li­us öff­ne­te die Au­gen, gähn­te, streck­te die Arme, sah sei­ne Frau an und frag­te lä­chelnd: »Hast Du gut ge­schla­fen, mein Herz?«

      Sie be­merk­te, dass er jetzt »Du« zu ihr sag­te und ant­wor­te­te et­was ver­wirrt: »O ja, und Sie?«

      »Ach, aus­ge­zeich­net« sag­te er. Und er wand­te sich zu ihr und küss­te sie; dann fing er ru­hig an zu plau­dern. Er setz­te ihr sei­ne Zu­kunfts­plä­ne aus­ein­an­der und sei­ne An­sich­ten über Spa­ren; letz­te­res Wort kam in sei­nen Aus­füh­run­gen öf­ters vor und mach­te Jo­han­na et­was er­staunt. Sie horch­te auf sei­ne Wor­te, ohne den Sinn rich­tig zu ver­ste­hen, sah ihn an, dach­te an tau­send ver­gan­ge­ne Din­ge, die ihm doch viel nä­her lie­gen muss­ten und ihn da­bei gar nicht zu be­rüh­ren schie­nen.

      Es schlug acht Uhr.

      »Jetzt müs­sen wir aber auf­ste­hen«, sag­te er, »man könn­te sich sonst lus­tig ma­chen, wenn wir so spät her­un­ter­kämen.«

      Er stand zu­erst auf. Als er sei­ne Toi­let­te be­en­det hat­te, half er sorg­fäl­tig sei­ner Frau bei der ih­ri­gen und dul­de­te nicht, dass Ro­sa­lie ge­ru­fen wur­de.

      Schon im Be­griff, her­aus­zu­ge­hen, blieb er noch­mals ste­hen:

      »Wenn wir al­lein sind,« sag­te er, »kön­nen wir uns schon du­zen, weißt Du; aber in Ge­gen­wart der El­tern wol­len wir lie­ber noch et­was da­mit war­ten. Es macht sich von selbst, wenn wir von der Hoch­zeits­rei­se zu­rück­keh­ren.«

      Sie zeig­te sich erst zur Stun­de des Früh­stücks.

      Der Tag ver­lief im Üb­ri­gen, als hät­te sich in­zwi­schen nichts neu­es zu­ge­tra­gen. Nur eine Per­son mehr war im Hau­se; das war al­les.

      *

      Vier Tage spä­ter fuhr die Post­kut­sche vor, in der sie die Rei­se nach Mar­seil­le an­tre­ten woll­ten.

      Nach dem Schre­cken der ers­ten Nacht hat­te Jo­han­na sich schon mehr und mehr an das Zu­sam­men­le­ben mit Ju­li­us, an sei­ne Küs­se und zärt­li­chen Lie­bes­be­zeu­gun­gen ge­wöhnt, wenn auch ihr Wi­der­stre­ben ge­gen in­ti­me­re Be­zie­hun­gen sich im­mer noch nicht ver­lo­ren hat­te.

      Sie fand ihn sehr schön und gut; sie lieb­te ihn von Her­zen. Im Gan­zen fühl­te sie sich glück­lich und zu­frie­den.

      Der Ab­schied war kurz und ver­lief ziem­lich schmerz­los. Nur die Baro­nin schi­en be­wegt. Im Au­gen­blick der Ab­fahrt drück­te sie eine große wohl­ge­füll­te Bör­se ih­rer Toch­ter in die Hän­de.

      »Für Dei­ne klei­nen Ne­ben­aus­ga­ben« sag­te sie.

      Jo­han­na steck­te die Bör­se ein und die Pfer­de zo­gen an.

      »Wie viel hat Dir Dei­ne Mut­ter in der Bör­se zu­ge­steckt?« frag­te Ju­li­us sie ge­gen Abend.


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