Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.sich vergnügt die Hände reibend:
»Ich lasse mich nicht gern übers Ohr hauen.«
Sie zitterte jedes Mal, wenn sie die Rechnungen kommen sah, denn sie wusste, dass er zu jedem Posten seine Einwendungen machen würde. Sie fühlte sich durch diesen Krämergeist erniedrigt und errötete jedes Mal bis über die Ohren, wenn sie den missvergnügten Blick der Angestellten bemerkte, mit welchem dieselben aus der Hand ihres Mannes das stets sehr spärliche Trinkgeld empfingen.
Nun hatte er noch einen längeren Streit mit dem Barkenführer, der sie an Land brachte.
Der erste Baum, den sie sah, war eine Palme.
Sie stiegen in einem großen stattlichen Hotel an der Ecke eines geräumigen Platzes ab und liessen sich ein Frühstück servieren.
Als sie mit dem Nachtisch fertig waren und Johanna sich gerade erheben wollte, um ein wenig durch die Stadt zu streifen, schloss sie Julius in seine Arme und flüsterte ihr zärtlich zu:
»Wollen wir uns nicht etwas niederlegen, mein Schatz?«
»Uns niederlegen?« fragte sie überrascht. »Aber Ich bin durchaus nicht müde!«
»Aber ich möchte … Du weißt schon«, sagte er, »seit zwei Tagen! …«
»Ach, zu dieser Stunde?« stammelte sie schamrot. »Was wird man davon denken? Wie würdest Du den Mut finden, am hellen Tage ein Zimmer zu verlangen? Ach, Julius, ich bitte Dich!«
»Ich mache mir den Kuckuck daraus, was die Leute denken oder sagen werden«, unterbrach er sie. »Du wirst sehen, wie gleichgültig mir das ist.« Und er schellte.
Sie wagte nichts mehr einzuwenden und sass mit niedergeschlagenen Augen da; ihr Herz und ihr ganzes Gefühl sträubte sich gegen dieses unbezähmbare Verlangen ihres Gatten. Nur widerstrebend fügte sie sich in das Unvermeidliche, aber sie fühlte sich erniedrigt und herabgewürdigt durch ein Begehren, welches ihr tierisch und unendlich unrein vorkam.
Ihre Gefühle waren noch nicht erwacht und doch tat ihr Mann, als ob sie schon ganz sein Feuer teile.
Als der Kellner kam, verlangte Julius auf ihr Zimmer geführt zu werden. Der Mann, ein echter Corse, haarig bis an die Augen, schien anfangs nicht recht zu begreifen; er versicherte, dass das Zimmer für die Nacht bereit stehen werde.
»Nein, ich wünsche es sofort!« sagte Julius ungeduldig. »Wir sind müde von der Reise und wollen uns ausruhen!«
Ein Lächeln huschte über die bärtigen Lippen des Kellners. Johanna wäre am liebsten davongelaufen.
Als sie eine Stunde später wieder herunterkamen, wagten sie nicht, die Leute anzusehen, die an ihnen vorübergingen; sie glaubte ein Lächeln und Tuscheln hinter ihrem Rücken zu bemerken. Es war ihr unbegreiflich, wie Julius dafür kein Gefühl hatte; sie ärgerte sich, dass er nicht mehr Rücksicht und zartere Scham besass. Wie ein Schleier, wie eine Scheidewand, legte es sich zwischen ihr und ihm, als sie jetzt zum ersten Mal die Überzeugung fasste, dass zwei Personen sich niemals wirklich bis auf den Grund der Seele dringen, um dort die verborgensten Gedanken zu lesen; dass sie nebeneinander, eng an einander geschmiegt sogar, gehen können, aber niemals ganz miteinander vermengt sind und dass die Seele eines jeden doch sozusagen ihre eigenen Wege wandelt.
Drei Tage verbrachten sie in der kleinen Stadt am blauen Golfe, die hinter dem Bergvorhang von jedem kühlen Luftzug abgesperrt, vor Hitze beinahe kochte.
Dann entwarfen sie einen Reiseplan und beschlossen, um auch die schwierigsten Touren machen zu können, sich Pferde zu mieten. So nahmen sie also zwei kleine korsische Hengste mit feurigen Augen, zäh und unermüdlich, und begaben sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg. Ein Führer auf einem Maulesel, der zugleich mit Proviant beladen war, bildete ihre Begleitung; denn auf Gasthäuser durften sie in dem unwirtlichen Lande nicht rechnen.
Die Strasse führte zuerst dem Golf entlang und dann durch ein mässig tiefes Tal gegen die großen Berge zu. Zuweilen musste man halbausgetrocknete Ströme überschreiten; nur dünn rieselte unter den Kieseln ihres Bettes das Wasser dahin, und ließ ein schwaches Plätschern vernehmen.
Das unbebaute Land schien fast nackt zu sein. Die Berghänge waren mit hohen, bei der heissen Jahreszeit fast braunen Kräutern, bewachsen. Hin und wieder begegnete man einem Bergbewohner entweder zu Fuss oder zu Pferd, oder rittlings auf einem rundbauchigen Esel sitzend.
Aber alle hatten über der Schulter hängend das geladene Gewehr, alte verrostete, aber in ihren Händen sehr gefürchtete Waffen.
Der starke Geruch der duftigen Kräuter, mit denen die Insel bewachsen ist, schien die Luft zu verdicken. In langen Windungen stieg die endlose Strasse die Berge hinan.
Die Gipfel aus rötlichem oder blauen Granit verliehen der öden Umgebung den Charakter einer Zauberlandschaft; und die großen Kastanienwälder an den tiefergelegenen Hängen sahen wie grünes Gebüsch aus. So groß war die Entfernung, welche sie von den hochragenden Berggipfeln trennte.
Hin und wieder nannte der Führer, die Hand gegen die zerrissenen Gipfel ausstreckend, einen Namen. Johanna und Julius wandten den Blick dorthin, aber sie konnten anfangs nichts sehen, bis sie schliesslich einen grauen Gegenstand entdeckten, der einen vom Gipfel abgelösten Steinhaufen glich. Es war ein Dorf, ein kleiner Weiler, wie ein richtiges Vogelnest, dort in der engen Felsspalte fast unsichtbar eingezwängt.
Der lange Weg im Schritt machte Johanna ungeduldig. »Wir wollen mal vorwärts reiten« sagte sie und sprengte ihr Pferd an. Als sie ihren Mann nicht neben sich gallopieren hörte, wandte sie sich um und brach in ein tolles Gelächter aus, als sie ihn herbeikommen sah, krampfhaft am Zügel zerrend und seltsam schwankend. Seine Schönheit und seine vornehme Haltung kontrastierten eigentümlich zu seiner Ungeschicklichkeit und Furcht.
Sie setzten darauf den Weg in langsamen Trabe fort. Die Strasse führte jetzt durch zwei undurchdringliche Gebüschstreifen, welche den Hang wie ein Mantel bedeckten.
Es war dies der Maki, der undurchdringliche Maki, aus grünen Eichen, Wachholdersträuchern, Erdbeerstauden, Mastixbäumen, Kreuzdorn, Farrnkraut, Lorbeer, Thymian und allerlei Schlingpflanzen gebildet. Das alles war in einander verwachsen wie die Haare eines Menschen; es rankte, sprosste, wucherte empor und bildete so seltsame Formen, ein so unentwirrbares Dickicht, dass keines Menschen Fuss sich durch dasselbe zu winden vermocht hätte. Es war wie ein dichtes Vlies,