Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Na­men des Kin­des schrei­ben las­sen. Die El­tern sol­len die le­bens­läng­li­che Nutz­nies­sung ha­ben.«

      Der Pfar­rer er­hob sich und drück­te der Baro­nin die Hand:

      »Be­mü­hen Sie sich nicht, Frau Baro­nin, bit­te, be­mü­hen Sie sich nicht. Die­ser Gang war schon der Mühe wert.«

      Beim Her­aus­ge­hen be­geg­ne­te er Tan­te Li­son, die nach der Kran­ken se­hen woll­te. Sie hat­te von al­lem kei­ne Ah­nung; nie­mand sag­te ihr et­was und sie wuss­te, wie im­mer, nichts.

      *

      Ro­sa­lie hat­te das Haus ver­las­sen und Jo­han­na ging lang­sam der Zeit ent­ge­gen, wo sie Mut­ter wer­den soll­te. Sie emp­fand kei­ne wah­re Her­zens­freu­de über ih­ren Zu­stand; da­für hat­te sie zu viel Kum­mer er­lebt. Ohne Sehn­sucht war­te­te sie auf ihr Kind, weil sie im­mer noch von der Furcht vor end­lo­sem Un­glück ge­pei­nigt war.

      Der Früh­ling war lang­sam her­bei­ge­kom­men. Noch schüt­tel­ten zwar die Bäu­me ihre kah­len Äste im küh­len Win­de, aber in dem feuch­ten Gra­se am Ran­de der Grä­ben, in de­nen die herbst­li­chen Blät­ter ver­faul­ten, be­gan­nen be­reits die ers­ten Pri­meln ihre Köpf­chen her­vor­zu­stre­cken. Auf der gan­zen Ebe­ne, von den Hö­fen der Pächt­er­häu­ser, wie von den auf­ge­weich­ten Fel­dern stieg ein Hauch von Feuch­tig­keit, eine Art Gä­rungs­duft auf. Zahl­lo­se grü­ne Spit­zen tauch­ten aus dem brau­nen Bo­den her­vor und er­glänz­ten in der Son­ne.

      Eine di­cke, kräf­tig ge­bau­te Frau war an Ro­sa­li­ens Stel­le ge­tre­ten und stütz­te die Baro­nin bei ih­ren ein­sa­men Spa­zier­gän­gen in der Al­lee, wo die Spur ih­res schlep­pen­den Fus­ses stets feucht und schmut­zig er­schi­en.

      Papa führ­te Jo­han­na am Arme, die jetzt sehr stark ge­wor­den war und viel zu lei­den hat­te. Tan­te Li­son, sehr be­un­ru­higt und be­sorgt we­gen des zu­künf­ti­gen Er­eig­nis­ses, hat­te auf der an­de­ren Sei­te ihre Hand ge­fasst. Die­ses Ge­heim­nis, von dem sie selbst nie et­was er­fah­ren hat­te, ver­ur­sach­te ihr viel Kopf­zer­bre­chen.

      So gin­gen sie stun­den­lang, ohne dass je­mand ein Wort ge­spro­chen hät­te. Ju­li­us durch­streif­te in­des­sen die Ge­gend zu Pfer­de; das war der neues­te Ge­schmack, den er sich an­ge­wöhnt hat­te.

      Im Üb­ri­gen floss ihr ein­sa­mes Le­ben un­ge­stört da­hin. Der Baron, sei­ne Frau und der Vi­com­te mach­ten einen Be­such bei den Four­vil­les, die Ju­li­us schon sehr gut zu ken­nen schi­en, ohne dass man recht wuss­te wo­her. Mit den Bri­se­vil­les, die im­mer noch ver­steckt in ih­rem schlum­mern­den Schlos­se sas­sen, wur­de eben­falls ein An­stands­be­such aus­ge­tauscht.

      Ei­nes Nach­mit­tags ge­gen 4 Uhr trab­ten ein Herr und eine Dame hoch zu Ross in den Vor­hof des Schlos­ses.

      »Geh schnell her­un­ter, bit­te, schnell!« stürm­te Ju­li­us sehr er­regt in das Zim­mer sei­ner Frau. »Die Four­vil­les sind da. Sie kom­men ganz ein­fach als Nach­barn, da sie Dei­nen Zu­stand ken­nen. Sag ih­nen, ich wäre aus­ge­gan­gen, käme aber bald zu­rück. Ich will mich nur schnell um­zie­hen.«

      Jo­han­na, er­staunt über sei­ne Er­re­gung, be­gab sich nach un­ten. Eine jun­ge, hüb­sche Frau, mit ei­nem lei­den­den Zug in dem blei­chen Ge­sich­te, leb­haf­ten Au­gen, und Haa­ren von so mat­tem Blond, als hät­te sie nie­mals ein Son­nen­strahl um­schmei­chelt, stell­te ihr höf­lich ih­ren Mann vor, einen Rie­sen, eine Art Wau­wau mit großem röt­li­chen Schnurr­bart. »Wir tra­fen Herrn de La­ma­re schon öf­ters«, füg­te sie dann hin­zu, »und er­fuh­ren von ihm, wie un­wohl Sie sei­en. Aber wir woll­ten Ih­nen doch so ger­ne un­se­ren nach­bar­li­chen Be­such ma­chen, durch­aus ohne jede Förm­lich­keit. Sie se­hen ja, wir sind zu Pfer­de. Üb­ri­gens hat­te ich schon frü­her ein­mal die Ehre, den Be­such Ihres Herrn Va­ters und Ih­rer Frau Mut­ter zu emp­fan­gen.«

      Sie sprach aus­ser­or­dent­lich an­ge­nehm, da­bei herz­lich und vor­nehm zu­gleich. Jo­han­na fühl­te sich so­fort aufs wärms­te zu ihr hin­ge­zo­gen. »Das wäre eine Freun­din für Dich«, dach­te sie bei sich. Der Graf Four­ville da­ge­gen war wie ein Bär, den man in einen Sa­lon ge­bracht hat. Nach­dem er sich ge­setzt hat­te, leg­te er den Hut auf den nächs­ten Stuhl, blieb einen Au­gen­blick un­schlüs­sig, was er mit sei­nen Hän­den ma­chen soll­te, stütz­te sie bald auf sei­ne Knie, bald auf die Leh­nen sei­nes Stuhls und fal­te­te sie schliess­lich auf sei­nem Schos­se wie zum Ge­bet.

      Plötz­lich trat Ju­li­us her­ein; Jo­han­na hät­te ihn fast nicht wie­der­er­kannt. Er war glatt ra­siert, gut an­ge­zo­gen und sah vor­nehm und be­zau­bernd aus wie einst­mals. Er schüt­tel­te die kräf­ti­ge Faust des Gra­fen, der bei sei­nem Ein­tritt aus sei­ner Lethar­gie er­wacht schi­en und küss­te ga­lant die Hand der Grä­fin, de­ren El­fen­bein-Wan­gen sich ein we­nig rö­te­ten, wäh­rend ihre Au­gen auf­blitz­ten.

      Ju­li­us riss die Un­ter­hal­tung an sich, plau­der­te lie­bens­wür­dig wie ehe­mals, und sei­ne großen Au­gen hat­ten wie­der den eins­ti­gen Glanz an­ge­nom­men, wenn lei­den­schaft­li­che Lie­be sich in ih­nen wi­der­spie­gel­te. Sei­ne Haa­re, sonst so rau und strup­pig, hat­ten mit Hil­fe der Bürs­te und wohl­rie­chen­den Öles ihr wei­ches glän­zen­des Ge­lock wie­der­ge­fun­den.

      Als die Four­vil­les sich ver­ab­schie­de­ten, wand­te sich die Grä­fin zu ihm:

      »Wol­len Sie Don­ners­tag einen Spa­zier­ritt mit uns ma­chen, lie­ber Vi­com­te?«

      »Mit dem gröss­ten Ver­gnü­gen, Frau Grä­fin«, sag­te er, sich ver­beu­gend, wäh­rend Jene Jo­han­nas Hand er­griff und zärt­lich lä­chelnd mit ih­rer wei­chen be­zau­bern­den Stim­me sag­te:

      »Ach, wenn Sie ge­sund sind, wer­den wir zu Drei­en durch das Feld ga­lop­pie­ren. Das wird präch­tig wer­den. Wol­len Sie?«

      Mit ei­ner an­mu­ti­gen Be­we­gung schürz­te sie ihr Reit­kleid und schwang sich mit der Leich­tig­keit ei­nes Vo­gels in den Sat­tel; ihr Ge­mahl grüss­te lin­kisch, klet­ter­te schwer­fäl­lig auf sei­nen großen nor­man­ni­schen Brau­nen und plumps­te wie ein Cen­taur in den Sat­tel.

      »Welch präch­ti­ge Leu­te!« rief Ju­li­us be­geis­tert, als sie bei der Bar­riè­re um die Ecke bo­gen. »Das ist eine sehr wert­vol­le Be­kannt­schaft für uns.«

      »Die klei­ne Grä­fin ist be­zau­bernd«, stimm­te Jo­han­na bei, die sehr zu­frie­den war, ohne recht zu wis­sen warum, »aber der Mann hat ein sehr rau­es Äus­se­re. Wo hast Du sie denn ken­nen ge­lernt?«

      »Ich traf sie zu­fäl­lig bei Bri­se­vil­les!« sag­te Ju­li­us, sich ver­gnügt die Hän­de rei­bend. »Der Mann ist frei­lich et­was un­ge­ho­belt. Er ist ein lei­den­schaft­li­cher Jä­ger; aber ein sehr vor­neh­mer Mann.«

      Das Di­ner ver­lief in sehr ver­gnüg­ter Stim­mung, als wenn ein ver­bor­ge­nes Glück im Hau­se ein­ge­zo­gen wäre.

      Bis zu den letz­ten Ta­gen des Juli er­eig­ne­te sich wei­ter nichts Be­son­de­res.

      Ei­nes Diens­tags abends, als sie un­ter der großen Pla­ta­ne um einen höl­zer­nen Tisch sas­sen, der zwei klei­ne Glä­ser und eine Brannt­wein-Kar­af­fe trug, stiess Jo­han­na plötz­lich einen lei­sen Schrei aus und press­te bei­de Hän­de ge­gen die


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