Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Er­eig­nis be­fürch­te­te, so wur­de ein Wä­gel­chen be­spannt und Papa Si­mon fuhr im Ga­lopp da­von, um den Arzt zu ho­len.

      Als die­ser ge­gen Mit­ter­nacht an­kam, er­kann­te er auf den ers­ten Blick alle An­zei­chen ei­ner Früh­ge­burt.

      Die Schmer­zen hat­ten zwar im Bett et­was nach­ge­las­sen; aber eine un­nenn­ba­re Angst schnür­te Jo­han­na die Keh­le zu­sam­men, eine ent­setz­li­che Schwä­che lag ihr in al­len Glie­dern; es be­rühr­te sie et­was wie eine Vorah­nung, wie das ge­heim­nis­vol­le We­hen des To­des. In sol­chen Au­gen­bli­cken spürt man sei­nen Hauch so nahe, dass das Herz zu Eis er­star­ren möch­te.

      Alle mög­li­chen Leu­te wa­ren in dem Zim­mer. Mama ächz­te atem­los und be­küm­mert in ei­nem Ses­sel. Der Baron rann­te mit zit­tern­den Hän­den über­all her­um, brach­te al­les mög­li­che her­bei und be­riet sich, völ­lig den Kopf ver­lie­rend, mit dem Arz­te. Ju­li­us mar­schier­te im Zim­mer auf und ab. Sei­ne Mie­ne drück­te Be­sorg­nis aus, aber sein Herz war ru­hig. Die Witt­we Den­tu stand am Fus­sen­de des Bet­tes mit er­war­tungs­vol­ler Mie­ne; ihr Ge­sicht war das ei­ner er­fah­re­nen Frau, die nichts mehr in Er­stau­nen setzt. Kran­ken­wär­te­rin, Heb­am­me und Lei­chen­frau in ei­ner Per­son, war sie die­je­ni­ge, in de­ren Hän­den zu­erst das an­kom­men­de Men­schen­kind lag, die sei­nen ers­ten Schrei ver­nahm, es zu­erst ab­wusch und es in die ers­ten Win­deln leg­te. Mit der­sel­ben Ruhe hör­te sie die letz­ten Wor­te, das letz­te Rö­cheln, sah sie die letz­ten Zu­ckun­gen der Ster­ben­den. Und eben­so mach­te sie de­ren letz­te Toi­let­te, wusch den ent­seel­ten Kör­per mit Es­sig, und hüll­te ihn in das To­ten­kleid. So hat­te sie sich für alle Er­eig­nis­se von der Wie­ge bis zur Bah­re einen un­er­schüt­ter­li­chen Gleich­mut an­ge­wöhnt.

      Die Kö­chin Lu­di­vi­ne und Tan­te Li­son stan­den et­was ver­steckt an der Fl­ur­tü­re.

      Von Zeit zu Zeit stiess die Kran­ke einen lei­sen Kla­ge­laut aus.

      In den ers­ten zwei Stun­den schi­en es, als ob das Er­eig­nis lan­ge auf sich war­ten ließ. Aber, als der neue Tag an­brach, nah­men die Schmer­zen eine im­mer hef­ti­ge­re Ge­stalt an und wur­den bald ge­ra­de­zu furcht­bar.

      Wäh­rend ihr un­will­kür­lich ein­zel­ne Schreie zwi­schen den zu­sam­men­ge­press­ten Lip­pen ent­schlüpf­ten, muss­te Jo­han­na im­mer an Ro­sa­lie den­ken, die fast gar nicht ge­lit­ten, fast nicht ein­mal ge­seufzt hat­te, und de­ren Kind, der Ban­kert, ohne Mü­hen und Qua­len zur Welt ge­kom­men war.

      Unauf­hör­lich stell­te sie in ih­rem ar­men ge­quäl­ten Her­zen Ver­glei­che an. Sie ha­der­te mit Gott, an des­sen Ge­rech­tig­keit sie so fest ge­glaubt hat­te. Sie zürn­te über die ei­gen­mäch­ti­ge Be­vor­zu­gung des Schick­sals und ta­del­te im Stil­len das Wort de­rer, die Recht und Ge­rech­tig­keit pre­dig­ten.

      Zu­wei­len wur­den die An­fäl­le so hef­tig, dass sie bei­na­he die Be­sin­nung ver­lor. Sie hat­te kei­ne Kraft, kei­nen Le­bens­mut mehr; sie fühl­te nur noch ihre furcht­ba­ren Schmer­zen.

      In den Au­gen­bli­cken der Ruhe muss­te sie stets den Blick auf Ju­li­us rich­ten. Dann drang ein an­de­rer Schmerz, ein geis­ti­ger, ihr durch die See­le. Sie er­in­ner­te sich des Ta­ges, wo ihre Zofe zu Füs­sen eben die­ses Bet­tes ge­le­gen hat­te, ihr Kind im Schos­se, den Bru­der des klei­nen We­sens, das so grau­sam jetzt ihr In­ne­res zer­riss. Vor ih­ren Au­gen stan­den noch leb­haft alle Bli­cke, alle Be­we­gun­gen alle Wor­te ih­res Gat­ten beim An­blick die­ses Mäd­chens. Und jetzt las sie auf sei­nem Ge­sich­te, als wä­ren sei­ne Ge­dan­ken dar­auf aus­ge­prägt, den­sel­ben Ver­druss, die­sel­be Gleich­gül­tig­keit ge­gen sie wie ge­gen die an­de­re, die­sel­be Un­zu­frie­den­heit ei­nes Egois­ten, den der Ge­dan­ke är­gert, Va­ter zu sein.

      Aber ein neu­er furcht­ba­rer Krampf er­griff sie, ein Krampf so grau­sig, dass sie sich sag­te: »Ich muss ster­ben; das ist der Tod.« Dann er­füll­te ihre See­le eine wil­de Er­re­gung, ein Be­dürf­nis zu schimp­fen, ein gren­zen­lo­ser Hass ge­gen die­sen Mann, der sie ins Un­glück ge­stürzt hat­te, und auch ge­gen das Kind, das sie tö­te­te.

      Sie quäl­te sich mit furcht­ba­rer An­stren­gung die­se Bür­de los­zu­wer­den. Plötz­lich schi­en es ihr, als ob ihr gan­zes In­ne­re sich ge­walt­sam er­wei­ter­te. Dann ließ der Schmerz nach.

      Die Wär­te­rin und der Arzt hat­ten sich über sie ge­beugt, und tas­te­ten an ihr her­um. Sie nah­men ir­gen­det­was fort und das­sel­be kol­lern­de Geräusch, wel­ches sie da­mals schon ge­hört hat­te, ließ sie er­schau­dern. Dann drang ihr die­ser schmerz­li­che Schrei, die­ses schwa­che Wim­mern ei­nes neu­ge­bo­re­nen Kin­des durchs Herz, ihr gan­zer er­mat­te­ter Kör­per er­beb­te da­von. Mit ei­ner fast un­be­wuss­ten Ge­bär­de brei­te­te sie die Arme aus.

      Sie emp­fand plötz­lich eine in­ni­ge Freu­de, eine Sehn­sucht nach ei­nem neu­en Glück, das ihr ent­stan­den war. Sie fühl­te sich in ei­nem Au­gen­blick wie um­ge­wan­delt, be­ru­higt; so glück­lich, wie sie noch nie ge­we­sen war. Geist und Kör­per leb­ten wie­der auf; sie fühl­te sich Mut­ter!

      Nun woll­te sie auch gern ihr Kind se­hen. Es hat­te noch kei­ne Haa­re und kei­ne Nä­gel, da es viel zu früh ge­kom­men war. Aber als sie sah, wie die­ses Würm­chen sich be­weg­te, wie es den Mund öff­ne­te und sein Ge­wim­mer aus­stiess, als sie die­ses häss­li­che runz­li­ge ver­küm­mer­te We­sen be­rühr­te und Le­ben in ihm spür­te, da wur­de sie von ei­ner un­wi­der­steh­li­chen Freu­de er­grif­fen. Sie fühl­te sich ge­ret­tet, ge­si­chert vor je­der Verzweif­lung; denn sie hielt da et­was in ih­ren Hän­den, über des­sen Lie­be sie al­les an­de­re ver­ges­sen wür­de.

      Von da an hat­te sie nur noch einen Ge­dan­ken! Ihr Kind. Sie wur­de plötz­lich eine schwär­me­ri­sche Mut­ter; umso schwär­me­ri­scher, als sie vor­her in ih­rer Lie­be ver­letzt, in ih­ren Hoff­nun­gen ge­täuscht wor­den war. Die Wie­ge muss­te im­mer ganz nahe an ih­rem Bett ste­hen; dann, als sie auf­ste­hen durf­te, konn­te sie ta­ge­lang am Fens­ter sit­zen ne­ben sich das leich­te Bett­chen, das sie schau­kel­te.

      Sie war ei­fer­süch­tig auf die Amme und wenn das klei­ne We­sen durs­tig die Ärm­chen nach der großen blau­ge­ader­ten Brust aus­streck­te und die dunkle fal­ti­ge War­ze zwi­schen sei­ne gie­ri­gen Lip­pen nahm, schau­te sie bleich und zit­ternd, die ro­bus­te ru­hi­ge Bäue­rin an, mit ei­nem Ge­füh­le, als müs­se sie ihr das Kind ent­reis­sen und mit ih­ren Nä­geln die­se Brust zer­flei­schen, an der es so be­gie­rig sog.

      Dann be­gann sie selbst zu nä­hen, um es in fei­ne sorg­fäl­tig« aus­ge­wähl­te Kleid­chen zu ste­cken. Es be­weg­te sich in ei­nem Meer von Spit­zen und trug die kost­bars­ten Häub­chen. Sie sprach nur von die­sen Sa­chen, hielt in der Un­ter­hal­tung inne, um ein Wi­ckel­band, ein Lätz­chen oder eine zier­lich ge­stick­te Schlei­fe be­wun­dern zu las­sen. Sie hör­te nichts von al­lem, was um sie vor­ging; sie be­geis­ter­te sich über ir­gend ein Wä­sche­stück, das sie lan­ge in der er­ho­be­nen Hand hin und her­wand­te, um es bes­ser se­hen zu kön­nen. Dann frag­te sie plötz­lich: »Glaubt Ihr, dass ihm das gut ste­hen wird?«

      Der Baron und die Mama lä­chel­ten über die­se über­mäs­si­ge Zärt­lich­keit. Ju­li­us


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