Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.einer wundervollen Rampe, die bis zum Wasser herunter führt. Vier Kähne liegen an deren Stufen befestigt, zwei für den Grafen und zwei für die Gräfin. Dort unten rechts, wo Du die Pappelreihe siehst, ist das Ende des Teiches. Dort liegt der Fluss, der nach Fecamp führt. Die Gegend ist von Wasservögeln belebt. Der Graf schwärmt leidenschaftlich für die Jagd. Es ist ein richtiger Herrensitz, das.«
Die Eingangstür öffnete sich und die bleiche Gräfin erschien, den Besuchern mit einem Lächeln auf den Lippen entgegenkommend. Sie trug ein Schleppkleid wie eine Schlossherrin aus alter Zeit. Die schöne Dame vom See schien wie geboren für dieses Grafenschloss.
Der achtfenstrige Salon gewährte einen prachtvollen Ausblick auf das Wasser und das dunkle Fichtenholz, welches an seinem jenseitigen Rande emporstieg.
Das dunkle Laub im Hintergrunde ließ den Teich tief, finster und traurig erscheinen; und wenn der Wind blies, so klang das Flüstern der Bäume wie seufzende Stimmen aus dem Sumpfe.
Die Gräfin nahm beide Hände Johanna’s, als hätte sie eine Jugendfreundin vor sich, bat sie Platz zu nehmen und setzte sich neben sie auf einen niedrigen Stuhl, während Julius, der seit fünf Monaten ganz wieder der vornehme Weltmann von früher geworden war, in der gewandtesten Weise unter vertraulichem stillen Lächeln die Unterhaltung führte.
Die Gräfin und er sprachen von ihren Spazierritten. Sie lachte ein wenig über seine Reitkunst und nannte ihn den »Stolper-Ritter«, während er sie lachend »Die Amazonen-Königin« taufte. Der Knall eines Gewehres unter dem Fenster entlockte Johanna einen kleinen Schrei. Es war der Graf, der eine Krickente geschossen hatte.
Seine Frau rief ihn sofort herbei. Man hörte das Geräusch von Rudern, das Anstossen eines Kahns an der Steintreppe und alsbald erschien der Graf in hohen Wasserstiefeln, gefolgt von zwei triefenden Hunden, rötlich wie ihr Herr, die sich’s auf dem Teppich an der Tür bequem machten.
Der Graf schien zu Hause besserer Laune und über den nachbarlichen Besuch sehr erfreut zu sein. Er ließ frisches Holz in den Kamin legen, bestellte Madeira und Biskuits. »Aber Sie werden mit uns essen, nicht wahr; abgemacht?« rief er plötzlich, Johanna, deren Gedanken stets bei ihrem Kinde weilten, wollte Einwendungen machen; aber er ließ sie nicht gelten. Als sie noch immer zögerte, machte Julius eine heftige Bewegung der Ungeduld. Da befürchtete sie seine schlechte Laune wieder zu erwecken und willigte ein, obschon ihr der Gedanke furchtbar war, Paul vor dem nächsten Tage nicht wiederzusehen.
Es war ein sehr vergnügter Nachmittag. Man fuhr zunächst zu den Quellen des Teiches, die am Fusse eines moosbewachsenen Felsens sich in ein klares Bassin ergossen, dessen Wasser stets wie kochend aufwirbelte. Dann bewegte sich der Kahn auf richtigen Wasserwegen, die in dem Walde von trockenem Schilf eingeschnitten waren. Der Graf, der zwischen seinen zwei Hunden sass, die witternd die Nase in die Luft streckten, führte die Ruder. Jeder seiner Ruderschläge brachte den Kahn ein gutes Stück vorwärts. Johanna steckte zuweilen die Hand in das frische Wasser und freute sich seiner eisigen Kühle, die ihr bis zum Herzen drang. Ganz im Hintergrunde sassen, in Shawles eingehüllt, die Gräfin und Julius. Sie lächelten wie zwei glückliche Menschen, die für ihr Glück aber keine Worte haben.
Der Abend brach mit langgezogenen kühlen Schauern herein; der Nordwind strich durch das welke Schilfrohr. Die Sonne war hinter den Tannen zur Ruhe gegangen. Der rötliche Himmel, mit scharlachfarbenen und grotesken Wölkchen bedeckt, ließ einen erfrieren, wenn man ihn nur anschaute.
Man kehrte in den Salon zurück, wo ein mächtiges Kaminfeuer brannte. Schon beim Eintritt wurde man warm und heiter gestimmt. Der Graf nahm in ausgelassener Laune seine Frau wie ein Kind auf seine athletischen Arme, hob sie bis zum Munde empor und drückte ihr zwei herzhafte glückliche Küsse auf beide Wangen.
Johanna betrachtete lächelnd diesen gutmütigen Riesen, den man lediglich um seines großen Schnurrbartes willen einen Währwolf nannte. »Wie man sich doch stets über die Leute täuschen kann!« dachte sie bei sich. Als sie dann fast unwillkürlich den Blick auf Julius richtete, der furchtbar bleich, das Auge starr auf den Grafen geheftet, in der Tür stand, näherte sie sich ihm voll Besorgnis. »Bist Du krank? Was fehlt Dir nur?« fragte sie ihn leise. »Nichts«, antwortete er zornig, »lass mich zufrieden. Ich friere.«
Als man sich in den Speisesaal begab, bat der Graf um die Erlaubnis, seine Hunde mitnehmen zu dürfen. Sie kamen alsbald herbei und pflanzten sich rechts und links von seinem Stuhle auf. Jeden Augenblick gab er ihnen einen Bissen von seinem Teller und streichelte ihren langen seidenweichen Behang. Die prächtigen Tiere zeigten sich sehr empfänglich für seine Liebkosungen, sie wedelten mit dem Schweif und zitterten vor freudiger Erregung.
Johanna und Julius machten nach dem Diner Miene, fortzufahren; allein der Graf hielt sie zurück, um ihnen einen Fischfang bei Fackelschein zu zeigen.
Sie mussten sich mit der Gräfin auf der Rampe aufstellen, die zum Teiche führte, während er, von einem Diener mit brennender Fackel und Wurfnetz begleitet, in seinen Kahn stieg. Die Nacht war klar und scharf; der Himmel mit Milliarden von Sternen besäet.
Die Fackel warf seltsame lebendige Feuerstrahlen auf das Wasser; ihr Licht erzitterte im Schilfrohr und brach sich an dem Rande des dichten Tannengehölzes. Plötzlich bei einer Wendung des Kahnes hob sich ein riesiger gespenstiger Schatten, der Schatten eines Menschen, an diesem hellerleuchteten Waldrande ab. Sein Haupt ragte über die Bäume hinaus und verlor sich im Äther, während die Füsse im Wasser zu stehen schienen. Dann erhob dieses unermessliche Wesen seine Arme, als wollte es die Sterne vom Himmel holen. Sie schnellten plötzlich empor, diese Arme, und sanken ebenso schnell wieder herab. Gleichzeitig hörte man ein leichtes Geräusch, wie wenn das Wasser gepeitscht würde.
Während die Barke langsam dahinglitt, schien die wunderbare Gestalt längs dem erleuchteten Holze hinzulaufen. Dann verschwand sie in dem unsichtbaren Horizont, um plötzlich wieder aufzutauchen. Sie war weniger groß aber genauer in ihren Umrissen; ihre Bewegungen wurden immer deutlicher, als sie sich jetzt auf der Façade des Schlosses abspiegelte.
»Ich habe acht gefangen, Gilberte«, rief die gewaltige Stimme des Grafen.
Die Ruder knirschten auf dem Grunde. Der riesige Schatten stand jetzt unbeweglich an der Mauer und wurde immer kleiner und schmaler. Sein Haupt schien herabzusinken, sein Körper abzumagern; und als Herr de Fourville die Stufen der Rampe heraufschritt, stets von dem Diener mit der Fackel gefolgt, war seine Figur