Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.der nächsten Zeit zeigte sich die Gräfin so vergnügt, wie sie noch nie zuvor gewesen war. Sie kam noch öfter wie sonst nach Peuples, lachte unaufhörlich und küsste Johanna unter wahren Stürmen von Zärtlichkeit. Man hätte sagen können, dass eine geheimnisvolle Verzückung über sie gekommen wäre. Ihr Mann, selbst überglücklich, wandte kein Auge von ihr, und suchte mit verdoppelter Zärtlichkeit jeden Augenblick ihre Hand oder wenigstens eine Falte ihres Kleides zu erhaschen.
»Wir sind jetzt wirklich glücklich«, sagte er eines Abends zu Johanna. »Gilberte war noch nie so liebenswürdig wie jetzt. Sie kennt keinen Zorn und keine schlechte Laune mehr. Ich fühle, dass sie mich liebt. Bis dahin war ich dessen noch nicht gewiss.«
Auch Julius schien verändert, vergnügter, ohne Zeichen von Ungeduld; als wenn die Freundschaft zwischen den beiden Familien einer jeden von ihnen Frieden und Freude zurückgebracht hätte.
Der Frühling war ausserordentlich schön und warm. Von den lieblichen Morgenstunden bis zum milden lauen Abend sandte die Sonne ihre wärmenden alles belebenden Strahlen auf die Erde herab. Es war ein plötzliches und mächtiges Erwachen der ganzen Erde zu gleicher Zeit, jenes unwiderstehliche Treiben des Saftes, jener Drang zum Neuerstehen, den die Natur zuweilen in ganz besonders bevorzugten Jahren zeigt, wo man an eine Verjüngung der Welt glauben möchte.
Johanna fühlte sich durch dieses gärende Leben seltsam bewegt und verwirrt. Beim Anblick einer kleinen Blume im Grase konnte sie plötzlich zu Tränen gerührt werden, sie hatte Stunden voll seltsamer Melancholie, voll weicher Empfindungen.
Dann überfielen sie die zärtlichen Erinnerungen der ersten Zeit ihrer Liebe. Nicht als ob ihre Zuneigung zu Julius sich erneuert hätte; nein! das war aus, für immer aus! Aber der laue Frühlingswind, der linde Frühlingsduft umschmeichelten ihre Haut und drangen ihr bis zum Herzen, wo sie ein unbewusstes Erwachen, wie auf irgend einem geheimnisvollen Ruf hin, hervorzauberten.
Es machte ihr Freude, allein zu sein, sich bei der warmen Sonne an irgend ein stilles Plätzchen zurückzuziehen; diese unbestimmten, wonnigen und heiteren Empfindungen wollte sie mit Niemandem teilen.
Eines Morgens, als sie so vor sich hinträumte, beschäftigte sie plötzlich ein Bild aus vergangener Zeit, das Bild jener kleinen, sonnigen Lichtung, inmitten des dunklen Laubes in dem kleinen Holze bei Etretat. Dort hatte sie zum ersten Male empfunden, wie ihr Körper neben dem jungen Manne zitterte, den sie damals liebte. Dort hatte er zum ersten Mal, wenn auch nur stammelnd, dem Verlangen seines Herzens Ausdruck verliehen. Dort hatte sie ja plötzlich geglaubt, die köstliche Verwirklichung ihrer Hoffnungen vor sich zu sehen.
Und sie wollte dieses Gehölz wiedersehen; sie wollte dorthin eine Pilgerfahrt machen, von der sie mit abergläubischer Sentimentalität irgend eine Änderung ihres bisherigen Lebensweges erwarten zu müssen vermeinte.
Julius war seit Tagesanbruch fortgeritten; sie wusste nicht wohin. Sie ließ also den kleinen Schimmel der Martins satteln, den sie jetzt zuweilen bestieg, und ritt fort.
Es war ein Tag so ruhig, dass sich nichts, kein Grashalm, kein Blatt, zu regen schien. Alles schien für immer erstarrt, als ob der Wind erstorben wäre. Selbst die Insekten schienen verschwunden zu sein.
Eine heisse majestätische Ruhe ging von der Sonne aus, die unempfindlich gegen alles, in Gold getaucht schien. Johanna ritt im Schritt ihres Weges, heiter, fast glücklich. Von Zeit zu Zeit hob sie den Blick, um ein kleines weißes Wölkchen zu betrachten, das nicht grösser war wie ein Watte-Flöckchen, oder wie ein leichter Dampfhauch, der vergessen, ganz allein dort oben mitten am blauen Himmelszelt haften geblieben war.
Sie ritt in das Tal hinab, welches sich durch einen der großen Felsenbogen, die man die Tore von Etretat nennt, zum Meere erstreckt. Langsam näherte sie sich dem Gehölz. Zwischen dem noch mageren Laube ergoss sich ein Strom von Licht. Sie suchte die Lichtung, ohne sie finden zu können und irrte planlos auf den schmalen Wegen herum.
Plötzlich, als sie eine lange Allee passierte, bemerkte sie zwei Reitpferde, die an einen Baum gebunden waren. Sie erkannte sie sofort, es waren Gilberte und Julius ihre. Da die Einsamkeit angefangen hatte, ihr drückend zu werden, so war sie über dies unerwartete Zusammentreffen sehr vergnügt, und setzte ihr Pferd in Trab.
Als sie bei den beiden Pferden angekommen war, die ruhig wie aus langer Gewohnheit dastanden, begann sie zu rufen. Aber sie erhielt keine Antwort.
Ein Damenhandschuh und zwei Reitpeitschen lagen in dem bunten Grase. Sie hatten also dort gesessen, und waren dann fortgegangen, ihre Pferde zurücklassend.
Sie wartete eine Viertelstunde, zwanzig Minuten, sehr erstaunt, ohne zu begreifen, was sie wohl machen könnten. Während sie abgestiegen war und nun so dastand, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, fingen zwei Finken, im Laub versteckt, ganz dicht über ihr zu schlagen an. Sie hüpften um einander, mit gespreizten zitternden Flügelchen, drehten die Köpfchen und zwitscherten. Dann paarten sie sich plötzlich.
Johanna war überrascht, als wenn sie so etwas noch nie gesehen hätte. »Ach ja«; sagte sie dann bei sich »es ist Frühling.« Hierauf kam ihr ein anderer Gedanke, ein Verdacht. Sie betrachtete von Neuem den Handschuh, die Reitpeitschen, die verlassenen Pferde. Plötzlich schwang sie sich in den Sattel, von einem heftigen Verlangen getrieben zu fliehen.
Sie galoppierte jetzt nach Peuples zurück. Ihr Gehirn arbeitete heftig, sie überlegte, reihte die Tatsachen aneinander, erwog die Umstände. Wie konnte sie erst so spät alles erraten? War sie bis dahin blind gewesen? Hatte sie Julius’ häufige Abwesenheit, seine wiederkehrende Eleganz, seine neuerwachte gute Laune nicht beachtet? Jetzt erinnerte sie sich auch Gilberte’s plötzlicher nervöser Anfälle, ihrer übertriebenen Zärtlichkeiten gegen sie, und dieser Art Seligkeit der letzten Zeit, über die der Graf so glücklich war.
Sie parierte ihr Pferd zum Schritt, denn sie fühlte das Bedürfnis, ernster nachzudenken und das schnelle Tempo verwirrte ihre Sinne.
Nachdem die erste Bewegung vorüber war, wurde ihr Herz wieder ruhiger; sie empfand weder Eifersucht noch Hass, sondern nur Verachtung. Sie dachte nicht an Julius, von dem sie nichts mehr in Erstaunen setzen konnte; aber der zweifache Verrat der Gräfin an ihr als Gattin und Freundin, das war es, was sie erregte. Die ganze Welt also war hinterlistig, falsch und lügnerisch. Tränen kamen ihr in die Augen. Man beweint zuweilen seine Illusionen mit ebenso