Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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und be­wahr­te noch stär­ker als das ers­te Mal das Ge­fühl ih­rer fort­dau­ern­den Ge­gen­wart in ei­ner Art Fie­ber­wahn sei­ner Sin­ne. Er war­te­te mit wach­sen­der Un­ge­duld auf den ver­ab­re­de­ten Tag.

      Er lieh sich zum zwei­ten Male einen Frack­an­zug, da sei­ne Mit­tel ihm noch im­mer nicht er­laub­ten, einen sol­chen zu kau­fen. Er er­schi­en als ers­ter ei­ni­ge Mi­nu­ten vor der Zeit.

      Man ließ ihn zum zwei­ten Stock­werk hin­auf­stei­gen und führ­te ihn in einen klei­nen, rot ta­pe­zier­ten Sa­lon, des­sen ein­zi­ges Fens­ter nach dem Bou­le­vard hin­aus­ging.

      Auf ei­nem vier­e­cki­gen Tisch mit blen­dend weißem Tisch­tuch wa­ren vier Ku­verts ge­deckt, und die Glä­ser, das Ta­fel­sil­ber und der Schüs­sel­wär­mer blitz­ten leb­haft im Schein von zwölf Ker­zen, die von zwei ho­hen Leuch­tern ge­tra­gen wur­den.

      Vor dem Fens­ter sah man einen sehr großen, hell­grü­nen Fleck, der von den Baum­blät­tern her­rühr­te, auf die aus den ein­zel­nen Se­parés hel­les Licht fiel.

      Du­roy setz­te sich auf ein nied­ri­ges Sofa, das eben­so rot war wie die Ta­pe­te. Die ab­ge­nutz­ten Fe­dern ga­ben stark nach, so­dass er das Ge­fühl hat­te, als stür­ze er in ein Loch hin­ein. In dem gan­zen, großen Ge­bäu­de ver­nahm er ein ver­wor­re­nes Ge­tö­se, das Geräusch der großen Re­stau­rants mit ih­rem Ge­schirr und Teller­ge­klap­per, dem Klin­gen von Sil­ber­zeug, den schnel­len Schrit­ten der Kell­ner auf den Gän­gen, de­ren Schall durch die Läu­fer ge­dämpft wird, dem Knar­ren der Tü­ren, die sich einen Au­gen­blick öff­ne­ten und den Stim­men­lärm al­ler In­sas­sen der en­gen Sa­lons her­aus­drin­gen lie­ßen.

      Nach ei­ner Wei­le kam Fo­res­tier und drück­te ihm die Hand mit ei­ner herz­li­chen Ver­trau­lich­keit, wie er sie ihm nie­mals auf der Vie Françai­se ge­zeigt hat­te.

      »Die bei­den Da­men kom­men zu­sam­men,« sag­te er, »sol­che Di­ners sind im­mer sehr nett.«

      Dann be­sah er sich den Tisch, ließ eine Gas­flam­me, die wie ein Nacht­licht brann­te, ganz aus­dre­hen, schloss einen Fens­ter­flü­gel we­gen des Luft­zu­ges, such­te sich den ge­schütz­tes­ten Platz aus und sag­te:

      »Ich muss mich sehr in acht neh­men. Seit ei­nem Mo­nat ging es mir bes­ser, aber vor ei­ni­gen Ta­gen habe ich einen Rück­fall be­kom­men. Ich muss mich am Diens­tag er­käl­tet ha­ben, als ich aus dem Thea­ter kam.«

      Die Tür ging auf und die bei­den Frau­en er­schie­nen, ge­folgt von dem Ober­kell­ner. Sie wa­ren ver­schlei­ert und ein­gehüllt, mit je­nem rei­zen­den ge­heim­nis­vol­len We­sen, wie es Frau­en an Or­ten, die nicht ganz an­ge­bracht sind, so gern an­zu­neh­men pfle­gen.

      Als Du­roy Ma­da­me Fo­res­tier be­grüß­te, mach­te sie ihm hef­ti­ge Vor­wür­fe, warum er sie nicht be­sucht hät­te. Dann sah sie ihre Freun­din lä­chelnd an und füg­te hin­zu:

      »Na­tür­lich, Sie zie­hen Ma­da­me de Ma­rel­le mir vor; für sie ha­ben Sie also Zeit üb­rig.«

      Man setz­te sich, und als der Ober­kell­ner Fo­res­tier die Wein­kar­te reich­te, rief Ma­da­me de Ma­rel­le:

      »Ge­ben Sie den Her­ren, was sie wol­len; uns brin­gen Sie Cham­pa­gner in Eis, aber sü­ßen Cham­pa­gner, bit­te, die bes­te Sor­te, die Sie ha­ben; sonst nichts!«

      Als der Mann ge­gan­gen war, er­klär­te sie mit auf­ge­reg­tem La­chen:

      »Heu­te will ich mir einen Schwips antrin­ken. Wir wol­len ein Ge­la­ge ver­an­stal­ten, ein rich­ti­ges Ge­la­ge.«

      Fo­res­tier, der an­schei­nend nicht zu­ge­hört hat­te, frag­te:

      »Wür­de es Ih­nen recht sein, wenn ich das Fens­ter schlös­se. Seit ein paar Ta­gen habe ich wie­der Schmer­zen in der Brust.«

      »Aber bit­te, selbst­ver­ständ­lich!«

      Er stand auf, mach­te auch den zwei­ten Fens­ter­flü­gel zu und setz­te sich dann be­ru­higt und ver­gnügt wie­der auf sei­nen Platz. Sei­ne Frau sag­te nichts; ihre Ge­dan­ken schie­nen ganz wo­an­ders zu sein. Ihre Au­gen wa­ren ge­senkt, ihre Bli­cke fie­len auf die Glä­ser. Sie lä­chel­te; ihr Ge­sichts­aus­druck schi­en viel zu ver­spre­chen, ohne je­mals et­was zu hal­ten.

      Es wur­den Os­ten­der Aus­tern ser­viert. Sie wa­ren klein und fett, sie sa­hen in ih­ren Scha­len wie Ohren aus und schmol­zen zwi­schen Zun­ge und Gau­men wie sal­zi­ge Bon­bons. Nach der Sup­pe gab es Lachs­fo­rel­le, ro­sig wie das Fleisch ei­nes jun­gen Mäd­chens, und nun be­gann die Un­ter­hal­tung in Fluss zu kom­men. Man sprach zu­erst über einen Stadt­klatsch, der da­mals über­all be­spro­chen wur­de; es war die Ge­schich­te ei­ner Dame der Ge­sell­schaft, die vom Freund ih­res Man­nes da­bei über­rascht wur­de, wie sie mit ei­nem aus­län­di­schen Fürs­ten im Se­paré sou­pier­te.

      Fo­res­tier lach­te sehr über das Aben­teu­er, die bei­den Da­men aber er­klär­ten den in­dis­kre­ten Schwät­zer für einen Lüm­mel und Feig­ling. Du­roy schloss sich ih­rer Mei­nung an und er­klär­te laut und deut­lich, in der­ar­ti­gen Fäl­len wäre für den Ehren­mann strengs­te Dis­kre­ti­on ge­bo­ten, gleich­gül­tig, ob er Be­tei­lig­ter, Ver­trau­ter oder bloß zu­fäl­li­ger Mit­wis­ser sei. Er füg­te hin­zu, wie voll von wun­der­vol­len Din­gen das Le­ben wäre, wenn wir im­mer auf eine ge­gen­sei­ti­ge, un­be­ding­te Ver­schwie­gen­heit rech­nen könn­ten. Was die Frau­en nur zu oft, ja fast im­mer zu­rück­schreckt, ist die Ent­hül­lung des Ge­heim­nis­ses. Er lä­chel­te und fuhr fort:

      »Nicht wahr? — Wie vie­le wür­den sich, dem hef­ti­gen Ver­lan­gen und der vor­über­ge­hen­den Lau­ne ge­hor­chend, zur Lie­be hin­rei­ßen las­sen, wenn sie nicht fürch­te­ten, ein. leich­tes, kur­z­es Glück mit ewi­ger Schan­de und schmerz­li­chen Trä­nen be­zah­len zu müs­sen. Er sprach mit an­ste­cken­der Über­zeu­gungs­kraft, als plä­dier­te er für sich selbst, als woll­te er sa­gen: »Bei mir hat man der­ar­ti­ge Ge­fah­ren nicht zu fürch­ten! Bit­te, pro­bie­ren Sie es nur ein­mal!«

      Die bei­den Frau­en sa­hen ihn an und ihre Bli­cke schie­nen ihm zu­zu­stim­men. Sie fan­den, er sprä­che gut und zu­tref­fend, und ver­rie­ten durch ihr wohl­wol­len­des, zu­stim­men­des Schwei­gen, dass ihre un­beug­sa­me Moral der Pa­ri­se­r­in­nen nicht lan­ge aus­hal­len wür­de, wenn ab­so­lu­te Ver­schwie­gen­heit im Voraus ga­ran­tiert wäre.

      Fo­res­tier, der fast auf dem Sofa lag, ein Bein an sich ge­zo­gen und die Ser­vi­et­te in die Wes­te ge­steckt, um den Frack nicht zu be­fle­cken, er­klär­te plötz­lich mit dem über­zeug­ten La­chen ei­nes Skep­ti­kers:

      »Weiß Gott! Das wür­den sie aus­nüt­zen. Wenn man nur der Ver­schwie­gen­heit si­cher wäre. Don­ner­wet­ter! Und die Ehe­män­ner! Die ar­men Ehe­män­ner!«

      Das Ge­spräch kam nun auf die Lie­be im All­ge­mei­nen. Du­roy hielt sie zwar nicht für ewig, aber für dau­er­haft. Sie muss­te zu ei­ner zärt­li­chen Freund­schaft und ge­gen­sei­ti­gem Ver­trau­en füh­ren. Die Ve­rei­ni­gung der Sin­ne sei nur ein Sie­gel zur Ge­mein­schaft der Her­zen. Vor pei­ni­gen­den Ei­fer­suchtss­ze­nen da­ge­gen und vor all den Qua­len, die das Ende ei­ner sol­chen Lie­be zu be­glei­ten pfle­gen, hat­te er einen hef­ti­gen Ab­scheu.

      Dann schwieg er. Ma­da­me de Ma­rel­le seufz­te:


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