Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.er spät aufstand, lag er noch im Bett, als ihm am nächsten Morgen um elf Uhr der Postbote das versprochene »blaue Briefchen« brachte.
Duroy öffnete es und las:
»Rendezvous noch heute um fünf Uhr in der Rue de Constantinople 127. Lass Dich in die von Frau Duroy gemietete Wohnung führen. Einen Kuss von Clo.«
Punkt fünf Uhr trat er in die Pförtnerloge eines großen Chambre-garnie-Hauses ein und fragte:
»Hat hier Madame Duroy eine Wohnung gemietet?«
»Ja, mein Herr.«
»Wollen Sie mich bitte dorthin führen?«
Der Mann war offenbar an heikle Umstände gewöhnt, wo man sich klug und vorsichtig verhalten musste. Er sah ihn prüfend an, dann suchte er in der langen Reihe von Schlüsseln und fragte:
»Sie sind doch Herr Duroy?«
»Jawohl, das bin ich.«
Und er öffnete eine kleine Zweizimmerwohnung im Erdgeschoss, gegenüber der Pförtnerloge.
Der Salon war mit hellen und ziemlich neuen Tapeten beklebt und enthielt ein Mahagonisofa, das mit grünem Plüsch, mit gelben Arabesken überzogen war. Auf dem Boden lag ein kleiner Teppich, der so dünn war, dass man das Holz darunter fühlte. Das Schlafzimmer war so winzig, dass das Bett es zu dreiviertel ausfüllte. Es war ein breites Bett, wie man es in möblierten Zimmern findet, und reichte von einer Wand bis zur anderen. Schwere blaue Vorhänge, ebenfalls aus Plüsch, hingen daran herunter. Darüber lag eine rotseidene Daunendecke mit verdächtigen Flecken.
Duroy war unruhig und unzufrieden; er dachte: »Das wird mich ein Heidengeld kosten, dieses Quartier. Ich werde wieder irgendwo pumpen müssen. Es ist zu dumm, was sie da alles angestellt hat.«
Die Tür ging auf und Clotilde stürzte eilig herein, mit offenen Armen und rauschenden Röcken. Sie war entzückt.
»Ist es nicht nett? Sage doch, ist es nicht nett? Und man braucht keine Treppen zu steigen, es liegt im Erdgeschoss, gleich an der Straße. Wir können durchs Fenster herein- und hinaussteigen, ohne dass der Pförtner was merkt. Wie werden wir uns hier lieben?«
Er umarmte sie kühl und wagte nicht die Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge schwebte. Sie legte ein dickes Paket auf das Tischchen mitten im Zimmer. Sie öffnete es und nahm daraus ein Paket Seife, eine Flasche Eau de Lubin, einen Schwamm, eine Schachtel mit Haarnadeln, einen Schuhknöpfer und eine kleine Brennschere, um die Haarlöckchen auf ihrer Stirn, die sich leicht zerzausten, wieder in Ordnung zu bringen. Sie begann sich einzurichten, für jedes suchte sie ein Plätzchen und amüsierte sich dabei köstlich. Während sie die Schubladen öffnete, erzählte sie:
»Ich muss noch etwas Wäsche mitbringen, um sie, wenn nötig, wechseln zu können. Das wird sehr bequem sein. Wenn ich unterwegs zufällig in einen Regen gerate, kann ich mich hier umziehen und trocknen. Ein jeder von uns wird seinen eigenen Schlüssel haben und ein dritter hängt noch beim Pförtner, für den Fall, dass einer von uns seinen Schlüssel vergisst. Ich habe die Wohnung auf drei Monate gemietet, natürlich auf deinen Namen, da ich ja meinen nicht nennen durfte.«
Jetzt fragte er:
»Dann sage mir bitte, wann ich die Miete bezahlen soll?«
»Aber sie ist schon bezahlt, mein Liebling«, erwiderte sie einfach.
»Dann schulde ich sie also dir?« fragte er.
»Aber nicht doch, Schatz, das geht dich doch gar nichts an. Ich will mir diesen tollen Spaß leisten.«
Er tat, als ob er böse wäre.
»Aber bitte, nein! Das erlaube ich nicht!«
Sie kam bittend zu ihm und legte ihm die Hände auf die Schultern:
»Georges, ich bitte dich darum, es macht mir so viel Freude, dass unser Nest mir, nur mir allein gehört! Das kann dich doch nicht verletzen? Warum denn? Es soll mein Geschenk für unsere Liebe sein. Sag’, dass es dir recht ist, mein kleiner Géo, sag’ ja?!«
Sie bat ihn mit ihren Augen, mit ihren Lippen, mit ihrem ganzen Wesen.
Er ließ sie bitten und weigerte sich mit entrüsteter Miene. Dann gab er nach, weil er die Sache im Grunde gerechtfertigt fand.
Als sie gegangen war, rieb er sich die Hände und murmelte, ohne im Innern seines Herzens nachzuforschen, woher ihm gerade heute dieses Urteil kam: »Sie ist doch wirklich ein liebes Geschöpf!«
Ein paar Tage später erhielt er wieder ein. blaues Briefchen folgenden Inhalts:
»Mein Mann kommt heute nach sechswöchentlicher Inspektionsreise wieder zurück. Wir haben acht Tage Pause! Welches Pech, Liebling!
Deine Clo.«
Duroy war starr. Er hatte gar nicht daran gedacht, dass sie verheiratet war. Er hätte gern mal den Mann gesehen, nur einmal, um ihn kennen zu lernen. Trotzdem wartete er geduldig auf die Abreise des Gatten. Er ging inzwischen zweimal nach den Folies Bergère und endete beide Male bei Rahel.
Dann erhielt er eines Morgens wieder ein Telegramm aus vier Worten:
»Heute fünf Uhr, Clo.«
Sie kamen alle beide vor der festgesetzten Zeit. In heißem Liebesausbruch fiel sie ihm um den Hals und küsste ihn zärtlich und leidenschaftlich aufs Gesicht. »Wenn du willst,« sagte sie, »gehen wir nachher irgendwo essen. Ich habe mich freigemacht.«
Es war gerade Anfang des Monats, und obgleich Duroy sein Gehalt lange voraus bezog und von Tag zu Tag vom Gelde lebte, das er überall zusammenborgte, so befand er sich zufällig gerade bei Kasse, und es war ihm daher ganz recht, dass er mal Gelegenheit fand, etwas für sie auszugeben.
Er antwortete: »Gewiss, Liebste, wohin du willst.«
Sie gingen also um sieben Uhr fort und lenkten ihre Schritte nach den äußeren Boulevards. Sie schmiegte sich dicht an ihn und sagte ihm ins Ohr:
»Du weißt gar nicht, wie glücklich ich bin, wenn ich so an deinem Arm gehe und deinen Körper neben mir fühle!«
Er fragte: »Willst du zu Lathuille gehen?«
»O nein,« erwiderte sie, »das ist viel zu vornehm. Ich möchte etwas Komisches, Ordinäres, ein Restaurant, in dem Kommis und Arbeiterinnen verkehren. Ich schwärme für solche Kneipen! Wenn wir nur aufs Land hinaus könnten!«
Er kannte in der ganzen Gegend kein derartiges Lokal und so irrten sie den Boulevard entlang, bis sie schließlich in eine Weinstube gingen, wo in einem besonderen Zimmer auch Essen verabreicht wurde. Sie hatte durch die Fensterscheiben