Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Ein­tre­ten er­reg­te durch ihre ele­gan­te Klei­dung Auf­se­hen. Die bei­den Pär­chen hör­ten auf zu flüs­tern, die Kut­scher strit­ten sich nicht mehr und das al­lein sit­zen­de In­di­vi­du­um nahm sei­ne Pfei­fe aus dem Mun­de, spuck­te kräf­tig aus und dreh­te sich um, um sie bes­ser se­hen zu kön­nen.

      »Hier ist es rei­zend«, flüs­ter­te Ma­da­me de Ma­rel­le. »Wir sind hier gut auf­ge­ho­ben. Das nächs­te Mal zie­he ich mich wie ein Nähmäd­chen an.«

      Sie setz­te sich un­ge­niert und ohne je­den Wi­der­wil­len an den Tisch, des­sen Holz­plat­te, über die der Kell­ner nur sel­ten mal mit der Ser­vi­et­te fuhr, von Spei­se­fett und ver­schüt­te­tem Wein glänz­te. Du­roy war et­was ver­le­gen und such­te ver­geb­lich nach ei­nem Ha­ken, um sei­nen Zy­lin­der­hut auf­zu­hän­gen. Schließ­lich leg­te er ihn auf einen Stuhl.

      Sie aßen ein Ra­gout, dann Ham­mel­keu­le mit Salat.

      »So et­was habe ich zu gern«, wie­der­hol­te Clo­til­de im­mer wie­der. »Ich habe manch­mal pö­bel­haf­ten Ge­schmack. Ich amü­sie­re mich hier bes­ser als im Café Anglais.«

      Dann setz­te sie hin­zu:

      »Wenn du mir noch eine Freu­de ma­chen willst, dann füh­re mich in eine Tanz­k­nei­pe; ich ken­ne eine sehr amüsan­te hier in der Nähe. Sie heißt die ›Wei­ße Kö­ni­gin’.«

      Du­roy frag­te er­staunt:

      »Mit wem warst du denn da?«

      Er sah sie an und be­merk­te, dass sie er­rö­te­te und ver­wirrt war, als hät­te die­se plötz­li­che Fra­ge eine hei­kle Erin­ne­rung wach­ge­ru­fen. Nach ei­nem ganz kur­z­en Zö­gern, an dem kaum et­was zu mer­ken war, ant­wor­te­te sie:

      »Es war ein Freund.«

      Und nach ei­ner aber­ma­li­gen kur­z­en Pau­se füg­te sie hin­zu:

      »… der schon ge­stor­ben ist.«

      Und sie senk­te die Au­gen mit ganz na­tür­li­cher Schwer­mut.

      Zum ers­ten Male dach­te Du­roy an al­les, was er von dem Vor­le­ben die­ser Frau nicht kann­te und er be­gann zu grü­beln. Si­cher­lich hat­te sie schon Lieb­ha­ber ge­habt. Aber wel­cher Art wa­ren sie? Aus wel­chen Krei­sen? Eine un­be­stimm­te Ei­fer­sucht, eine star­ke Feind­schaft ge­gen die­se Frau er­wach­te in sei­nem Her­zen, ein Hass, ge­gen al­les, was er nicht wuss­te, ge­gen al­les, was sie in ih­rem We­sen und in ih­rem Her­zen trug, was ihm aber nicht ge­hör­te. Er sah sie an, und die Ge­heim­nis­se, die die­ser schö­ne, stum­me Frau­en­kopf ver­barg, reiz­ten ihn. Vi­el­leicht dach­te sie jetzt ge­ra­de mit Be­dau­ern an den an­de­ren oder an die an­de­ren? Wie gern hät­te er in die­se Ge­dan­ken hin­ein­ge­blickt, sie durch­wühlt, um al­les zu wis­sen und al­les zu er­fah­ren!

      Sie frag­te noch­mals:

      »Wol­len wir nach der ›Wei­ße Kö­ni­gin‹ ge­hen? Das wäre die Kro­ne die­ses Abends.«

      Er dach­te: »Ach was, was geht mich ihre Ver­gan­gen­heit an? Es ist ein­fach dumm, mich dar­über auf­zu­re­gen!«

      Er ant­wor­te­te lä­chelnd:

      »Aber ge­wiss, mein Lieb­ling.«

      Auf der Stra­ße sag­te sie ganz lei­se in je­nem ge­heim­nis­vol­len Ton, in dem man Ge­heim­nis­se zu sa­gen pflegt:

      »Bis­her wag­te ich nicht, dich dar­um zu bit­ten. Aber du ahnst nicht, wie gern ich sol­che Jung­ge­sel­len­aus­flü­ge nach sol­chen Lo­ka­len mit­ma­che, wo Da­men ei­gent­lich nicht hin­ge­hen dür­fen. Wäh­rend des Kar­ne­vals wer­de ich mich als Stu­dent ver­klei­den. Die­ses Ko­stüm steht mir fa­bel­haft.«

      Als sie das Bal­lo­kal be­tra­ten, schmieg­te sie sich er­schro­cken und doch ver­gnügt an ihn. Sie be­trach­te­te ent­zückt die Ko­kot­ten und die Zu­häl­ter, und als woll­te sie sich über eine et­wai­ge Ge­fahr be­ru­hi­gen, sah sie sich hin und wie­der nach dem erns­ten, un­be­weg­li­chen Po­li­zis­ten um und sag­te: »Der Mann sieht zu­ver­läs­sig aus.« Nach ei­ner Vier­tel­stun­de hat­te sie ge­nug und er führ­te sie nach Hau­se.

      Nun be­gann eine Rei­he von Aus­flü­gen in alle mög­li­chen ver­däch­ti­gen Lo­ka­le, wo sich das ein­fa­che Volk amü­siert, und Du­roy über­zeug­te sich mehr und mehr, wie be­geis­tert sei­ne Ge­lieb­te für sol­che Bum­mel­fahr­ten nach Stu­den­te­nart war.

      Das fol­gen­de Mal kam sie zu dem ge­wöhn­li­chen Stell­dich­ein in ei­nem Lei­nen­kleid mit ei­ner Hau­be auf dem Kopf, wie sie die Dienst­mäd­chen tra­gen. Trotz der ge­such­ten Sch­licht­heit ih­rer Toi­let­te hat­te sie aber ihre Rin­ge, Arm­bän­der und Bril­lan­tohr­rin­ge an­be­hal­ten. Als er sie bat, die­se ab­zu­tun, er­wi­der­te sie: »Ach was, man wird sie für Rhein­kie­sel hal­ten!« Sie fand ihre Ver­klei­dung groß­ar­tig, und ob­wohl sie sich tat­säch­lich nicht bes­ser ver­steck­te als der Strauß, der sei­nen Kopf in den Sand steckt, be­such­te sie ru­hig die Knei­pen von übels­tem Ruf,

      Sie woll­te, dass Du­roy sich auch als Ar­bei­ter an­zö­ge.

      Er ging aber dar­auf nicht ein, be­hielt sei­nen ele­gan­ten Stra­ßen­an­zug an und woll­te nicht ein­mal sei­nen Zy­lin­der ge­gen einen wei­chen Filz­hut ein­tau­schen.

      Sie hat­te sich über sei­nen Ei­gen­sinn mit der Be­grün­dung hin­weg­ge­trös­tet: »Man wird mich für ein Kam­mer­mäd­chen hal­ten, das ein Ver­hält­nis mit ei­nem jun­gen Le­be­mann hat«, und die­se Ko­mö­die fand sie herr­lich.

      Sie ka­men in die ge­wöhn­lichs­ten Knei­pen, sa­ßen in den ver­räu­cher­ten Spe­lun­ken auf wack­li­gen Stüh­len und vor schmut­zi­gen, al­ten Ti­schen. Schar­fer Ta­baks­qualm und wid­ri­ger Kü­chen­ge­ruch von ge­ba­cke­nem Fisch er­füll­te die Luft. Män­ner in Ar­bei­ter­blu­sen brüll­ten und tran­ken Schnäp­se, und der Kell­ner be­trach­te­te er­staunt das selt­sa­me Paar, dem er zwei Kir­schen­schnäp­se hin­stell­te.

      Sie zit­ter­te vor Angst und Ent­zücken, schlürf­te den ro­ten Saft mit klei­nen Schlu­cken und sah da­bei mit weit ge­öff­ne­ten, fun­keln­den Au­gen um sich. Bei je­dem Schnaps, den sie hin­un­ter­schluck­te, hat­te sie das Ge­fühl, als be­ge­he sie ein Ver­bre­chen, und je­der Trop­fen der bren­nen­den, ge­pfef­fer­ten Flüs­sig­keit, der über ihre Zun­ge rann, ge­währ­te ihr ein schar­fes und auf­re­gen­des Ver­gnü­gen, den sünd­haf­ten Ge­nuss ei­ner ver­bo­te­nen Frucht. Dann sag­te sie halb­laut: »Komm, wir wol­len ge­hen.« Und sie bra­chen auf. Mit nie­der­ge­schla­ge­nen Au­gen und zier­li­chen Schrit­ten ging sie rasch wie eine Schau­spie­le­rin mit­ten durch die Trin­ker, die mit auf­ge­stemm­ten Ar­men da­sa­ßen und ihr miss­trau­isch und un­zu­frie­den nachsa­hen. Wenn sie die Schwel­le über­schrit­ten hat­te, at­me­te sie ge­wöhn­lich tief auf, als wäre sie glück­lich ir­gend­ei­ner furcht­ba­ren Ge­fahr ent­ron­nen.

      Bis­wei­len rich­te­te sie an Du­roy zit­ternd die Fra­ge: »Was tä­test du, wenn man mich in so ei­nem Lo­kal be­läs­tig­te?«

      »Na­tür­lich wür­de ich dich be­schüt­zen!« er­wi­der­te er ener­gisch.

      Sie press­te glück­lich sei­nen Arm an sich, viel­leicht in dem un­kla­ren Wunsch, be­lei­digt und dann be­schützt zu wer­den, Män­ner sich ih­ret­we­gen schla­gen


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