Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Aus­sich­ten ver­nich­ten könn­te, doch ihm fehl­te der Mut, frech und bru­tal zu­zu­grei­fen.

      Plötz­lich fühl­te er, wie ihr Fuß sich rühr­te. Es war eine har­te, ner­vö­se, un­ge­dul­di­ge Be­we­gung, viel­leicht eine Auf­for­de­rung. Bei die­ser fast un­merk­li­chen Be­we­gung über­lief ihn ein Schau­dern von Kopf bis zu Fuß. Mit ei­nem Ruck wand­te er sich um und warf sich über sie. Er such­te ih­ren Mund mit sei­nen Lip­pen und mit den Hän­den ihr nack­tes Fleisch.

      Sie stieß einen Schrei aus, einen leich­ten Schrei; sie woll­te sich auf­rich­ten, ihn zu­rück­sto­ßen, dann aber gab sie nach, als fehl­te ihr die Kraft, sich zu weh­ren. Aber die Drosch­ke hielt schon nach kur­z­er Zeit vor dem Hau­se, wo sie wohn­te, und Du­roy fand vor Über­ra­schung kein lei­den­schaft­li­ches Wort, um ihr sei­ne dank­ba­re Lie­be zu ge­ste­hen.

      In­des­sen er­hob sie sich nicht und rühr­te sich nicht; sie schi­en wie be­täubt von dem, was ge­sche­hen war. Da fürch­te­te er, der Kut­scher könn­te Ver­dacht schöp­fen und stieg zu­erst aus, um der jun­gen Dame die Hand zu rei­chen. Stol­pernd, und ohne ein Wort zu sa­gen, stieg sie end­lich aus der Drosch­ke. Er läu­te­te, und als die Tür auf­ging, frag­te er zit­ternd: »Wann darf ich Sie wie­der­se­hen?«

      Sie flüs­ter­te so lei­se, dass er es kaum hör­te: »Kom­men Sie mor­gen zu mir früh­stücken.« Und sie ver­schwand im Schat­ten des Haus­flurs, nach­dem sie die schwe­re, laut dröh­nen­de Tür zu­ge­wor­fen hat­te.

      Er gab dem Kut­scher fünf Fran­cs und ging dann rasch und sie­ges­ge­wiss, voll über­mü­ti­ger Freu­de, sei­nen Weg zu­rück. End­lich hat­te er eine Frau ge­fun­den, eine Frau aus der Ge­sell­schaft, aus der bes­ten Pa­ri­ser Ge­sell­schaft. Wie leicht war es ge­we­sen und wie un­ver­hofft. Er hat­te sich ein­ge­bil­det, dass, um ei­nes von die­sen er­sehn­ten Ge­schöp­fen zu ver­füh­ren und zu er­obern, end­lo­se Mühe, lan­ges War­ten und eine ge­schick­te Be­la­ge­rung durch Auf­merk­sam­kei­ten, Lie­bes­wor­te, Seuf­zer und Ge­schen­ke nö­tig sei­en. Und sie­he da, die ers­te, die ihm be­geg­ne­te, er­gab sich ihm mit ei­nem Schlag, beim ers­ten An­griff, so schnell, dass er noch ganz ver­blüfft war.

      »Sie war be­rauscht,« dach­te er, »mor­gen wird die Ton­art an­ders sein. Ich fürch­te, es gibt Trä­nen.« Die­se Aus­sicht be­un­ru­hig­te ihn, dann aber sag­te er sich: »Umso schlim­mer; jetzt habe ich sie und las­se sie nicht wie­der los.«

      Und in ei­ner wir­ren Vi­si­on, in der sich alle sei­ne Zu­kunfts­hoff­nun­gen auf Ruhm und Ehre, auf Reich­tum und Lie­be wi­der­spie­gel­ten, er­blick­te er plötz­lich, ähn­lich ei­nem Schwarm von Fi­gu­ran­tin­nen bei den Thea­te­rapo­theo­sen, eine lan­ge Rei­he ele­gan­ter, rei­cher, vor­neh­mer Frau­en, die auf den gol­de­nen Wol­ken sei­ner Träu­me eine nach der an­de­ren lä­chelnd an ihm vor­über­zo­gen.

      Und auch sein Schlaf war reich von sol­chen Träu­men.

      Am nächs­ten Tage war er et­was auf­ge­regt, als er die Trep­pe zur Woh­nung der Ma­da­me de Ma­rel­le hin­auf­stieg. Wie wür­de sie ihn emp­fan­gen? Wür­de sie über­haupt ge­stat­ten, ihn her­ein­zu­las­sen? Wo­mög­lich war sie für ihn über­haupt nicht zu Hau­se? Wenn sie schwatz­te… Nein, sie konn­te gar nichts wei­ter­er­zäh­len, ohne die gan­ze Wahr­heit durch­bli­cken zu las­sen. Er war also völ­lig Herr der Si­tua­ti­on.

      Das klei­ne Dienst­mäd­chen öff­ne­te die Tür und hat­te einen Ge­sichts­aus­druck wie im­mer. Ihr war nichts an­zu­se­hen, denn fast hat­te er er­war­tet, dass das Dienst­mäd­chen auch ein ver­stör­tes Aus­se­hen zur Schau tra­gen wür­de.

      »Geht es der gnä­di­gen Frau gut?« frag­te er.

      »Ja­wohl, mein Herr,« ant­wor­te­te sie, »wie im­mer.«

      Sie ließ ihn in den Sa­lon hin­ein. Er ging di­rekt auf den Ka­min zu, um den Zu­stand sei­ner Fri­sur und sei­nes An­zugs zu prü­fen. Er zog sich die Kra­wat­te vor dem Spie­gel zu­recht und sah in die­sem die jun­ge Frau, die an der Schwel­le ih­res Zim­mers stand und ihn an­schau­te.

      Er tat so, als be­mer­ke er sie nicht, und so be­ob­ach­te­ten sie sich erst ein­an­der prü­fend eine Zeit lang durch den Spie­gel, ehe sie sich ge­gen­über­tra­ten. Nun dreh­te er sich um. Sie rühr­te sich nicht und schi­en zu war­ten.

      Er eil­te auf sie zu und stam­mel­te:

      »Wie ich Sie lie­be! Wie ich Sie lie­be!«

      Sie öff­ne­te die Arme und sie küss­ten sich lan­ge.

      Er dach­te: »Das war leich­ter, als ich ge­glaubt hat­te, die Sa­che klappt aus­ge­zeich­net!«

      Und als ihre Lip­pen sich ge­trennt hat­ten, lä­chel­te er, ohne ein Wort zu sa­gen, und ver­such­te, in sei­ne Bli­cke den Aus­druck ei­ner un­end­li­chen Lie­be hin­ein­zu­le­gen. Sie lä­chel­te gleich­falls mit je­nem Lä­cheln, das die Frau­en ha­ben, wenn sie ihr Ver­lan­gen, ihre Zu­stim­mung, ih­ren Wil­len zur Hin­ga­be aus­drücken wol­len. Sie sag­te lei­se:

      »Wir sind al­lein. Ich habe Lau­ri­ne zu ei­ner Freun­din zum Früh­stück ge­schickt.«

      Er küss­te ihre Hand­ge­len­ke und seufz­te:

      »Dan­ke. Ich lie­be Sie über al­les!«

      Sie nahm ihn am Arm, als ob er ihr Gat­te wäre, und sie gin­gen zum Sofa, wo sie sich ne­ben­ein­an­der hin­setz­ten.

      Er ver­such­te eine leich­te und an­ge­neh­me Un­ter­hal­tung an­zu­fan­gen. Da er je­doch kei­ne Aus­drücke fand, stam­mel­te er:

      »Also … Sie sind mir nicht böse?«

      Sie leg­te ihm ihre Hand auf den Mund:

      »Sei doch still.«

      Und so sa­ßen sie schwei­gend, die Bli­cke in­ein­an­der ver­senkt, mit ver­schlun­ge­nen Hän­den, lie­be­be­dürf­tig und glü­hend vor Ver­lan­gen.

      »Wie heiß habe ich Sie be­gehrt!« sag­te er.

      »Sei doch still!« wie­der­hol­te sie.

      Man hör­te das Mäd­chen im Ess­zim­mer hin­ter der Wand mit dem Ge­schirr klap­pern.

      Er stand auf. »Ich kann nicht so dicht ne­ben Ih­nen blei­ben, sonst ver­lie­re ich den Kopf.«

      Die Tür ging auf.

      »Es ist an­ge­rich­tet, gnä­di­ge Frau!«

      Du­roy bot der jun­gen Dame mit Wür­de den Arm. Sie sa­ßen sich bei Tisch ge­gen­über; sie sa­hen sich an und lä­chel­ten ein­an­der im­mer­fort zu, ganz mit­ein­an­der be­schäf­tigt und ganz um­fan­gen von dem sü­ßen Zau­ber auf­blü­hen­der Lei­den­schaft. Sie aßen, ohne zu mer­ken, was. Er fühl­te einen Fuß, einen klei­nen Fuß, der un­ter dem Tisch sich reg­te. Er nahm ihn zwi­schen die sei­nen, hielt ihn fest und drück­te ihn, so stark er konn­te. Das Mäd­chen kam und ging, brach­te die Spei­sen und trug sie wie­der ab, ohne dass sie ir­gen­det­was zu mer­ken schi­en.

      Als die Mahl­zeit be­en­det war, kehr­ten sie in den Sa­lon zu­rück und setz­ten sich wie­der auf das Sofa, Sei­te an Sei­te. Er woll­te zärt­lich sein und sie um­ar­men; sie wies ihn sanft zu­rück.

      »Neh­men Sie sich in acht, man könn­te her­ein­kom­men.«

      Er frag­te: »Wann könn­te ich Sie ganz al­lein se­hen, um Ih­nen zu sa­gen, wie sehr ich


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