Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Lage zu sich ge­ru­fen? Und warum ge­ra­de ihn? Lag dar­in nicht schon eine Art Wahl, eine Art Ge­ständ­nis? Vi­el­leicht so­gar Ent­schluss? Wenn sie ge­ra­de an ihn in dem Au­gen­blick dach­te, wo sie Wit­we wer­den soll­te, hat­te sie da nicht viel­leicht auch ge­dacht, dass er ihr ein neu­er Le­bens­ge­fähr­te und Bun­des­ge­nos­se sein soll­te?

      Eine un­ge­dul­di­ge Neu­gier quäl­te ihn, er woll­te sie be­fra­gen, ihre Ab­sich­ten ken­nen­ler­nen. Über­mor­gen wür­de er ab­rei­sen, denn er konn­te nicht al­lein in ei­nem Hau­se mit die­ser Frau woh­nen. Er muss­te sich be­ei­len, er muss­te noch vor sei­ner Rück­kehr nach Pa­ris ihre Ab­sich­ten ge­schickt und fein­füh­lig er­grün­den, er durf­te sie nicht zu­rück­keh­ren las­sen, da­mit sie nicht auf Drän­gen ei­nes an­de­ren nach­gä­be und sich end­gül­tig bin­de.

      Tie­fes Schwei­gen herrsch­te im Zim­mer. Man hör­te nur das me­tal­li­sche, re­gel­mä­ßi­ge Ti­cken der Uhr, die auf dem Ka­min stand.

      »Sie müss­ten wohl sehr müde sein?« mur­mel­te er.

      »Ja,« sag­te sie, »und vor al­lem tief trau­rig.«

      Der Ton ih­rer Stim­me klang so selt­sam in die­sem düs­te­ren Raum, dass sie bei­de er­staunt wa­ren. Und sie blick­ten plötz­lich das Ant­litz des To­ten an, als hät­ten sie er­war­tet, dass er sich be­weg­te, sie an­re­de­te, wie er es noch vor we­ni­gen Stun­den tat.

      Du­roy sprach wei­ter:

      »Oh! Es ist ein schwe­rer Ver­lust für Sie und eine völ­li­ge Ver­än­de­rung in Ihrem Le­ben, eine wirk­li­che Um­wäl­zung Ihres gan­zen Da­seins.«

      Sie stieß einen tie­fen Seuf­zer aus, ohne zu ant­wor­ten.

      »Es ist trau­rig für eine jun­ge Frau, so al­lein im Le­ben zu ste­hen, wie Sie jetzt«, fuhr er fort.

      Dann schwieg er wie­der. Sie sag­te nichts. Er stam­mel­te:

      »Je­den­falls wis­sen Sie, wel­ches Ab­kom­men wir ge­trof­fen ha­ben. Sie kön­nen über mich ver­fü­gen, wie Sie wol­len. Ich ge­hö­re Ih­nen.«

      Sie reich­te ihm die Hand und sah ihn mit so sanf­ten, trau­ri­gen Au­gen an, dass er bis ins In­ners­te sei­ner See­le er­grif­fen wur­de.

      »Ich dan­ke Ih­nen«, sag­te sie. »Sie sind über­aus gut. Wenn ich für Sie was tun dürf­te und könn­te, ich wür­de auch sa­gen: Ver­las­sen Sie sich auf mich.«

      Er hat­te ihre Hand er­grif­fen und be­hielt sie in der sei­nen. Er press­te sie mit dem hei­ßen Ver­lan­gen, sie zu küs­sen. End­lich ent­schloss er sich dazu, nä­her­te sie lang­sam sei­nem Mun­de und drück­te die zar­te, et­was hei­ße, par­fü­mier­te und fie­be­ri­sche Hand an sei­ne Lip­pen. Als er dann fühl­te, dass die­ser zärt­li­che Freund­schafts­kuss et­was zu lan­ge dau­er­te, ließ er die klei­ne Hand wie­der fal­len. Sie sank lang­sam zu­rück auf das Knie der jun­gen Frau, die in erns­tem Ton ver­setz­te:

      »Ja, ich wer­de mich sehr ein­sam füh­len, aber ich will ver­su­chen, tap­fer zu sein.«

      Er wuss­te nicht recht, wie er es ihr be­greif­lich ma­chen soll­te, dass er sehr glück­lich sein wür­de, wenn sie sei­ne Frau wer­den woll­te. Ge­wiss konn­te er es ihr zu die­ser Stun­de an­ge­sichts die­ses To­ten nicht sa­gen, doch er hoff­te, eine je­ner viel­sa­gen­den, dop­pel­sin­ni­gen, an­stän­di­gen Re­dens­ar­ten zu fin­den, die al­les durch­bli­cken las­sen, ohne et­was di­rekt aus­zu­spre­chen.

      Doch die Lei­che ge­nier­te ihn, die star­re, kal­te Lei­che, die vor ihm lag, und die sie zwi­schen sich fühl­ten.

      Üb­ri­gens glaub­te er seit ei­ni­ger Zeit zu be­mer­ken, dass die Luft des ge­schlos­se­nen Zim­mers einen ver­däch­ti­gen Ge­ruch an­nahm, der aus je­ner stil­len, zu­sam­men­ge­sun­ke­nen Brust zu kom­men schi­en, der ers­te Hauch der Ver­we­sung, den die To­ten auf die Über­le­ben­den aus­strö­men, der schreck­li­che Duft, mit dem sie dann bald den en­gen Raum ih­res Sar­ges er­fül­len.

      »Kön­nen wir nicht das Fens­ter et­was öff­nen?« frag­te Du­roy, »es scheint mir, dass die Luft schlecht ist.«

      Sie ant­wor­te­te:

      »Ge­wiss, mir ist es auch so vor­ge­kom­men;«

      Er ging zum Fens­ter und öff­ne­te es. Ein Hauch der fri­schen, duf­ti­gen Nacht weh­te her­ein und ließ die bei­den Ker­zen ne­ben dem Bett fla­ckern. Drau­ßen brei­te­te wie am Tage vor­her der Mond sein ru­hig flu­ten­des Licht auf die wei­ßen Mau­ern der Vil­len und die brei­te, leuch­ten­de Flä­che des Mee­res. Du­roy at­me­te tief; er fühl­te sich jetzt von neu­en Hoff­nun­gen er­füllt und be­lebt vom Her­an­na­hen des Glücks.

      Er dreh­te sich um:

      »Kom­men Sie doch et­was fri­sche Luft schöp­fen,« sag­te er, »es ist herr­lich drau­ßen.«

      Ru­hig kam sie an ihn her­an und lehn­te sich ne­ben ihn ans Fens­ter.

      Und mit lei­ser Stim­me flüs­ter­te er:

      »Hö­ren Sie mich an und ver­ste­hen Sie recht, was ich Ih­nen sage. Zür­nen Sie mir bit­te nicht, dass ich in die­sem Au­gen­blick von sol­chen Din­gen mit Ih­nen zu spre­chen wage, aber über­mor­gen schon muss ich Sie ver­las­sen, und wenn Sie nach Pa­ris zu­rück­kom­men, wird es viel­leicht zu spät sein. Se­hen Sie … ich bin ein ar­mer Teu­fel, ich be­sit­ze kein Ver­mö­gen, und mei­ne Stel­lung muss ich mir noch er­kämp­fen, das wis­sen Sie. Doch ich habe Wil­lens­kraft, et­was Ver­stand — so glau­be ich we­nigs­tens — und ich bin auf dem rich­ti­gen Wege. Bei ei­nem Man­ne, der sich schon durch­ge­setzt hat, weiß man, wor­an man ist, bei ei­nem An­fän­ger weiß man nicht, wie weit man kommt. Das ist viel­leicht schlim­mer, viel­leicht bes­ser. Als ich ein­mal bei Ih­nen war, sag­te ich Ih­nen, dass. es mein höchs­ter Traum wäre, ein­mal eine Frau wie Sie zu hei­ra­ten. Heu­te sage ich Ih­nen das noch ein­mal. Ant­wor­ten Sie mir noch nicht, las­sen Sie mich aus­re­den. Ich rich­te an Sie kei­ne Fra­ge, der Ort und die Zeit wür­den schlecht dazu pas­sen. Mir liegt nur dar­an, dass Sie wis­sen, wie glück­lich Sie mich mit ei­nem ein­zi­gen Wort ma­chen kön­nen, dass ich ganz nach Ihrem Be­lie­ben Ihr brü­der­li­cher Freund und auch Ihr Gat­te sein wer­de, dass ich mit Leib und See­le Ih­nen ge­hö­re. Ich will nicht, dass Sie mir jetzt schon ant­wor­ten, und noch we­ni­ger, dass die­ser Ge­gen­stand hier er­ör­tert wird. Wenn wir uns in Pa­ris wie­der­se­hen wer­den, wer­den Sie mir Ihren Ent­schluss mit­tei­len. Bis da­hin kein Wort mehr. Ein­ver­stan­den?«

      Er hat­te ge­spro­chen, ohne sie an­zu­bli­cken, als streue er sei­ne Wor­te in die Nacht hin­aus. Und sie schi­en ihn nicht ge­hört zu ha­ben, so un­be­weg­lich war sie ge­blie­ben, und sie starr­te mit ru­hi­gem Blick in die wei­te Mond­land­schaft hin­aus. So blie­ben sie lan­ge ne­ben­ein­an­der, Schul­ter an Schul­ter, schweig­sam und nach­denk­lich ste­hen.

      Schließ­lich mur­mel­te sie:

      »Es wird kühl.«

      Und sie dreh­te sich um und trat an das Bett. Er folg­te ihr.

      Wie er nä­her her­an­trat, merk­te er, dass der Kör­per Fo­res­tiers tat­säch­lich Lei­chen­ge­ruch aus­ström­te. Er rück­te sei­nen Ses­sel wei­ter ab, denn lan­ge hät­te er die­sen Ge­ruch nicht er­tra­gen kön­nen.

      »Er muss gleich mor­gen früh in den Sarg ge­legt wer­den«, sag­te er.


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