Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.mich hüten, mit ihr zu brechen.«
VIII.
Durch sein Duell war Duroy in die Reihe der Leitartikelschreiber der Vie Française aufgerückt. Doch bereitete es ihm unendliche Mühe, eigene Ideen zu finden; so wählte er sich als Spezialität, gegen den Niedergang der Sitten, gegen die Entartung des Charakters, gegen das Nachlassen des Patriotismus und die Anämie des französischen Ehrgefühls zu donnern. (Das Wort Anämie war seine eigene Erfindung, auf die er sehr stolz war.)
Und wenn Madame de Marelle mit ihrem spöttischen, skeptischen und scharfen Witz, den man Pariser Esprit nennt, sich über seine Tiraden lustig machte und sie mit einem kurzen, vernichtenden Wort abtat, so antwortete er lächelnd:
»Damit bekomme ich einen guten Ruf für spätere Zeiten.«
Er wohnte jetzt in der Rue Constantinople, wohin er seine ganze Einrichtung, die aus einem Koffer, einer Bürste, dem Rasierzeug und der Seife bestand, transportiert hatte. Zwei- oder dreimal in der Woche besuchte ihn dort die junge Frau schon früh am Morgen, bevor er aufgestanden war, zog sich in einer Minute aus und glitt in sein Bett, zitternd vor der draußen herrschenden Kälte.
Duroy dagegen aß jeden Donnerstag abend bei ihr und machte dem Mann den Hof, indem er mit ihm über Landwirtschaft sprach. Und da er selbst auch wirklich das Leben auf dem Lande liebte, so vertieften sie sich häufig so sehr in ihre Unterhaltung, dass sie gar nicht mehr auf ihre gemeinsame Frau achteten, die auf dem Sofa schlummerte.
Auch Laurine schlief ein, bald auf dem Schoß ihres Vaters, bald auf dem Schoß des Bel-Ami.
Und wenn der Journalist gegangen war, dann bemerkte Herr de Marelle mit dem doktrinären Ernst, mit dem er jede Kleinigkeit behandelte:
»Dieser junge Mann ist wirklich sehr sympathisch. Er ist sehr gebildet.«
Der Februar ging zu Ende. Auf den Straßen duftete es bereits wieder nach Veilchen, wenn man morgens an den Karren der Blumenhändlerinnen vorbeikam.
Duroy lebte wie im wolkenlosen Himmel.
Aber eines Abends, als er nach Hause kam, fand er einen Brief mit dem Poststempel »Cannes« vor. Er öffnete ihn und las:
Cannes, Villa Jolie. »Mein lieber Freund! Sie sagten mir, nicht wahr, ich könnte mich unter allen Umständen auf Sie verlassen. Nun also: Ich muss heute einen sehr harten Dienst von Ihnen erbitten: nämlich mir beizustehen und mich in den letzten Stunden vor Charles’ Tode nicht allein zu lassen. Er liegt im Sterben, obgleich er noch aufsteht, aber seine Tage sind gezählt und der Arzt hat mich darauf vorbereitet, dass er kaum diese Woche überleben wird.
Ich habe nicht mehr die Kraft und den Mut, Tag und Nacht diesen Todeskampf mit anzusehen, und ich denke mit Entsetzen an die letzten Augenblicke, die immer näher rücken. Sie sind der einzige, den ich um einen solchen Dienst bitten kann, denn mein Mann hat keine Verwandten mehr. Er war Ihr Freund, er hat Ihnen den Weg zur Zeitung geöffnet. — Kommen Sie, ich bitte Sie darum. Seien Sie überzeugt, dass ich stets Ihre dankbare Freundin bleiben werde.
Madeleine Forestier.«
Ein eigenartiges Gefühl drang wie ein Lufthauch in Georges Herz. Es war ihm, als würde er frei, als täte sich die Welt weit vor ihm auf, und er murmelte: »Gewiss, ich gehe hin. Der arme Charles! Jeder von uns kommt mal an die Reihe.«
Der Chef, dem er von dem Brief der jungen Frau Mitteilung machte, gab brummig seine Einwilligung. Er wiederholte :
»Aber bitte kommen Sie bald zurück, Sie sind hier unentbehrlich.«
Georges Duroy gab dem Ehepaar Marelle durch ein Telegramm von seiner plötzlichen Abreise Kenntnis und fuhr am nächsten Abend um sieben Uhr mit dem Schnellzug nach Cannes. Tags darauf um vier Uhr traf er dort ein.
Ein Dienstmann führte ihn zur Villa Jolie. Sie lag auf halber Höhe in den von weißen Villen belebten Fichtenwäldern, die sich von Le Cannet bis zum Golf Juan hinziehen. Das Haus war klein und niedrig, im italienischen Stil erbaut. Es lag dicht an der Straße, die im Zickzack zwischen den Bäumen hinaufführte, und bei jeder Biegung öffnete sich die wundervollste Aussicht.
Der Diener öffnete die Tür und rief:
»Oh, mein Herr, Madame wartet voller Ungeduld auf Sie.«
Duroy fragte :
»Wie geht es Herrn Forestier?«
»Oh! Nicht gut, mein Herr, er wird nicht mehr lange leben.«
Der Salon, in den der junge Mann geführt wurde, hatte einen hellrosa persischen Stoffbezug mit blauen Verzierungen. Durch das breite, hohe Fenster sah man auf die Stadt und das Meer hinaus.
Duroy murmelte: »Donnerwetter! Ein herrliches Landhaus ist das hier. Wo, zum Teufel, nehmen sie das viele Geld her?«
Er hörte das Rauschen des Kleides und drehte sich um. Frau Forestier streckte ihm beide Hände entgegen:
»Wie lieb von Ihnen, dass Sie gekommen sind, wie lieb!«
Und plötzlich umarmte sie ihn. Dann blickten sie sich an. Sie war etwas blasser und magerer geworden, aber noch immer frisch, und ihr etwas schmaleres und noch zarteres Gesicht stand ihr sehr gut. Sie sagte leise:
»Es ist entsetzlich! Er fühlt, dass er verloren ist, und nun tyrannisiert er mich furchtbar. Ich habe ihm gesagt, dass Sie kommen würden. Wo ist Ihr Gepäck?«
»Ich habe es auf der Bahn gelassen, denn ich wusste nicht, welches Hotel Sie mir raten würden, um in Ihrer Nähe zu sein.«
Sie zauderte einen Moment, dann sagte sie:
»Sie wohnen hier in der Villa, Ihr Zimmer steht übrigens für Sie bereit. Er kann jeden Augenblick sterben, und wenn die Katastrophe nachts erfolgt, wäre ich ganz allein. Ich lasse Ihr Gepäck hierher bringen.«
Er sagte mit einer Verbeugung:
»Wie Sie befehlen!«
»Nun wollen wir hinaufgehen«, sagte sie.
Er folgte ihr, sie öffnete eine Tür im ersten Stock und Duroy sah im hellen, roten Schein der untergehenden. Sonne auf einem Lehnstuhl am Fenster eine Art Leichnam sitzen, der in Tücher eingewickelt war und ihn anstarrte. Er konnte ihn nicht erkennen, er erriet nur, dass es sein Freund sein müsste.
Das Zimmer roch nach Fieber und nach Arzneimitteln, Äther und Teer, dem ganzen, undefinierbaren, dumpfen Geruch einer Stube, wo ein Lungenkranker atmet.
Forestier erhob langsam und mühselig die Hand:
»Da bist du ja,« sagte er, »du kommst, um mich