Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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…«

      Saint-Po­tin trat ge­ra­de her­ein; Du­roy eil­te ihm ent­ge­gen:

      »Ha­ben Sie den Ar­ti­kel in der Fe­der ge­le­sen?«

      »Ja­wohl, und ich kom­me eben von der Frau Au­bert. Sie exis­tiert tat­säch­lich, ist aber nie ver­haf­tet wor­den. Dies Gerücht ist gänz­lich un­be­grün­det.«

      Du­roy ging nun­mehr zum Chef, der ihn et­was kühl und miss­trau­isch emp­fing. Herr Wal­ter hör­te sich den Fall an und sag­te:

      »Ge­hen Sie selbst zu der Frau hin und de­men­tie­ren Sie es in ei­ner Wei­se, dass man nicht wie­der so et­was über Sie schreibt; ich mei­ne die Fol­gen; sie kön­nen sehr pein­lich sein für die Zei­tung, für mich und auch für Sie. Mehr noch als das Weib Cäsars muss der Jour­na­list über je­den Ver­dacht er­ha­ben sein.«

      Du­roy stieg mit Saint-Po­tin in eine Drosch­ke und rief dem Kut­scher zu:

      »18 Rue de l’E­cu­reuil am Mont­mar­tre.«

      Es war ein rie­si­ges Miets­haus, in dem sie sechs Stock­wer­ke hin­auf­klet­tern muss­ten. Eine alte Frau in ei­ner wol­le­nen Ja­cke öff­ne­te ih­nen die Tür:

      »Was wol­len Sie denn wie­der von mir?« frag­te sie, als sie Saint-Po­tin er­blick­te.

      Er er­wi­der­te:

      »Der Herr hier ist Po­li­zei­in­spek­tor und möch­te gern Nä­he­res über Ihre An­ge­le­gen­heit er­fah­ren.«

      Sie ließ sie her­ein­tre­ten und er­zähl­te:

      »Es wa­ren seit­dem noch zwei Her­ren von ei­ner Zei­tung hier, ich weiß aber nicht von wel­cher.«

      Dann wand­te sie sich zu Du­roy:

      »Also der Herr wünscht es zu wis­sen?«

      »Ist es wahr, dass Sie von ei­nem Agen­ten, der Sit­ten­po­li­zei fest­ge­nom­men wur­den?« frag­te Du­roy.

      Sie warf die Hän­de hoch:

      »Nie im Le­ben, mein lie­ber Herr, nie im Le­ben! So lag die Sa­che: Ich habe einen Schläch­ter, er ist ein ganz gu­ter Schläch­ter, aber er wiegt die Ware nicht rich­tig ab. Ich habe es meh­re­re Male be­merkt, doch nichts ge­sagt, aber neu­lich las­se ich mir zwei Pfund Ko­te­letts ge­ben, weil näm­lich mei­ne Toch­ter und Schwie­ger­sohn zum Es­sen kom­men woll­ten, und da seh ich, wie er mir eine Men­ge Kno­chen­ab­fäl­le zu­wiegt. Es wa­ren zwar Ko­te­lett­kno­chen, aber nicht von mei­nen Ko­te­let­ten. Ich hät­te ja ein Ra­gout dar­aus ma­chen kön­nen, das ist wahr. Aber wenn ich Ko­te­letts ver­lan­ge, so will ich nicht die Kno­chen­ab­fäl­le der an­de­ren ha­ben. Ich will sie also nicht neh­men, und da schimpft er auf mich: ›Al­te Rat­te‹, sagt er; und ich ant­wor­te ihm: ›Al­ter Gau­ner.‹ Kurz, ein Wort gab das an­de­re und wir ha­ben uns so be­schimpft, dass bald etwa hun­dert Per­so­nen vor dem La­den stan­den, die lach­ten und lach­ten im­mer­fort. End­lich kam ein Po­li­zei­be­am­ter und führ­te uns bei­de zum Re­vier, da­mit wir uns vor dem Kom­missar ver­ant­wor­ten soll­ten. Wir gin­gen hin und wur­den bald ent­las­sen, ohne uns je­doch mit­ein­an­der aus­zu­söh­nen. Jetzt kau­fe ich mein Fleisch wo an­ders und gehe auch nicht mal an der Tür vor­bei, da­mit es nicht wie­der Krach gibt.«

      Sie schwieg und Du­roy frag­te:

      »Ist das al­les?«

      »Das ist die gan­ze Wahr­heit, mein gu­ter Herr.«

      Die Alte bot ihm ein Glas Jo­han­nis­beer­wein an, das er je­doch dan­kend ab­lehn­te, und ver­lang­te, dass das Fal­schwie­gen des Schläch­ters in dem Be­richt er­wähnt wur­de. Sie kehr­ten auf die Re­dak­ti­on zu­rück, und Du­roy schrieb fol­gen­de Er­wi­de­rung:

      »Ein an­ony­mer Schmie­rer aus der Fe­der scheint mit mir Streit zu su­chen we­gen ei­ner al­ten Frau, die nach sei­ner Be­haup­tung von ei­nem Agen­ten der Sit­ten­po­li­zei ver­haf­tet wor­den ist. Ich be­strei­te das. Ich war per­sön­lich bei die­ser Frau Au­bert, die min­des­tens sech­zig Jah­re alt ist. Sie hat mir selbst ge­nau über ih­ren Streit mit dem Schläch­ter, der ihr die Ko­te­letts an­geb­lich falsch ge­wo­gen hät­te, er­zählt, wor­auf bei­de vor den Po­li­zei­kom­missar ge­führt wur­den.

      Das ist die gan­ze Wahr­heit.

      Was die üb­ri­gen Ver­däch­ti­gun­gen des Re­dak­teurs der Fe­der an­geht, so über­ge­he ich sie mit tiefs­ter Ver­ach­tung. Man ant­wor­tet grund­sätz­lich nicht auf sol­che Din­ge, wenn sie an­onym sind.

       Ge­or­ges Du­roy.«

      Herr Wal­ter und Jaques Ri­val, die so­eben er­schie­nen, fan­den bei­de die No­tiz voll­kom­men aus­rei­chend, und es wur­de be­schlos­sen, dass sie am sel­ben Tage an den Schluss der Lo­kal­nach­rich­ten ge­setzt wür­de.

      Du­roy ging früh­zei­tig nach Hau­se, er war er­regt und un­ru­hig. Was wür­de der an­de­re ant­wor­ten? Wer konn­te es sein? Wozu die­ser scham­lo­se An­griff? Bei der rück­sichts­lo­sen Art der Jour­na­lis­ten konn­ten aus die­ser dum­men Ge­schich­te böse, sehr böse Fol­gen ent­ste­hen. Er schlief schlecht. Als er am nächs­ten Mor­gen die No­tiz in der Zei­tung las, fand er sie ge­druckt viel her­aus­for­dern­der und ag­gres­si­ver als im Ma­nu­skript. Er hät­te, so schi­en es ihm, ge­wis­se Aus­drücke mä­ßi­gen kön­nen.

      Den gan­zen Tag über war er wie im Fie­ber und schlief auch die fol­gen­de Nacht schlecht.

      Er stand beim Mor­gen­grau­en auf, um sich die Num­mer der Fe­der zu kau­fen, die die Ant­wort auf sei­ne Ent­geg­nung brin­gen soll­te.

      Es war wie­der käl­ter ge­wor­den; es fror. Das Was­ser in den Rinn­stei­nen war ge­fro­ren, es schi­en aber, als flie­ße es und bil­de­te um die Bür­ger­stei­ge Eis­bän­de.

      Die Zei­tun­gen wa­ren bei den Händ­lern noch nicht zu ha­ben, und Du­roy ent­sann sich je­nes Ta­ges, als zum ers­ten Male sei­ne »Erin­ne­run­gen ei­nes afri­ka­ni­schen Jä­gers« er­schie­nen wa­ren. Hän­de, Füße und na­ment­lich die Fin­ger­spit­zen schmerz­ten ihn vor Käl­te und er be­gann im Krei­se um den Kiosk her­um­zu­lau­fen, in dem die Ver­käu­fe­rin über ih­ren klei­nen Ofen ge­bückt saß, so­dass nichts wei­ter zu se­hen war als die Na­sen­spit­ze und ein paar rote Ba­cken un­ter ei­ner wol­le­nen Ka­pu­ze.

      End­lich schob der Zei­tungs­trä­ger den di­cken Bal­len durch die Öff­nung und Du­roy er­hielt so­fort sei­ne Fe­der.

      Mit ra­schen Bli­cken such­te er zu­nächst sei­nen Na­men, fand aber an­fangs nichts. Schon woll­te er er­leich­tert auf­at­men, da sah er eine No­tiz zwi­schen zwei fet­ten Stri­chen:

      »Herr Du­roy von der Vie Françai­se will uns be­rich­ti­gen und lügt da­bei selbst. Er gibt we­nigs­tens zu, dass eine Frau Au­bert tat­säch­lich exis­tiert und dass ein Be­am­ter sie zum Po­li­zei­re­vier ge­bracht hat. Er braucht hin­ter dem Wort ›Be­am­ter‹ noch die zwei Wor­te ›der Sit­ten­po­li­zei‹ hin­zu­zu­fü­gen und die Sa­che ist rich­tig. Aber lei­der ist es mit der Ehr­lich­keit ei­ni­ger Jour­na­lis­ten ge­ra­de so weit her wie mit ih­rem Ta­lent. Hier­mit zeich­ne ich:

       Louis Lan­gre­mont.«

      Ge­or­ges Herz klopf­te hef­tig, und er ging nach Hau­se, um sich um­zu­zie­hen, ohne recht zu ver­ste­hen, was er ei­gent­lich tat. Also, man hat­te ihn be­schimpft, und zwar der­art, dass es kein Zu­rück mehr gab.


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