Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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der Mit­te der Wand­flä­che hing ein großes Bild von Guil­le­met, eine nor­man­ni­sche Küs­te im Sturm. Dar­un­ter eine Wald­land­schaft von Har­pignies, dann eine al­ge­ri­sche Ebe­ne von Guil­lau­met mit ei­nem Ka­mel am Ho­ri­zont, ei­nem rie­si­gen, hoch­bei­ni­gen Ka­mel, das ei­nem fan­tas­ti­schen Denk­mal glich.

      Herr Wal­ter ging zur nächs­ten Wand und trug fei­er­lich wie ein Ze­re­mo­ni­en­meis­ter vor:

      »Die große Kunst.«

      Es wa­ren vier Ge­mäl­de: »Ein Be­such im Kran­ken­hau­se« von Ger­vex, »Eine Schnit­te­rin« von Bas­ti­en Le­pa­ge, »Eine Wit­we« von Bou­gue­reau und »Eine Hin­rich­tung« von Jean Paul Lau­rens. Die­ses letz­te Bild stell­te einen Pries­ter aus Ven­dée dar, der von ei­nem Trupp Sol­da­ten an der Mau­er sei­ner ei­ge­nen Kir­che durch Er­schie­ßen hin­ge­rich­tet wur­de.

      Ein Lä­cheln glitt über das erns­te Ge­sicht des Haus­herrn, als sie zur nächs­ten Wand ka­men.

      »Hier hän­gen die Hu­mo­ris­ten.«

      Man sah zu­nächst ein klei­nes Bild von Jean Béraud, das hieß: »Oben und un­ten.« Es stell­te eine hüb­sche Pa­ri­se­rin dar, wel­che die Trep­pe ei­nes Om­ni­bus­ses in vol­ler Fahrt hin­auf­stieg. Ihr Kopf be­fand sich in Höhe des Ver­decks, und die Her­ren, die oben sa­ßen, be­trach­te­ten mit zu­frie­de­ner Mie­ne das nied­li­che Ge­sicht, das zu ih­nen em­por­klet­ter­te, wäh­rend die un­ten auf der Platt­form ste­hen­den, die Bei­ne der jun­gen Frau mit ei­nem Aus­druck von Ver­druss und Be­gier­de an­schau­ten.

      Herr Wal­ter hielt die Lam­pe so hoch er konn­te und wie­der­hol­te mit zwei­deu­ti­gem Lä­cheln:

      »Wie mei­nen Sie? Ist es nicht drol­lig? Ist es nicht drol­lig?«

      Dann er­klär­te er wei­ter:

      »Das hier ist ›Die Ret­tung‹ von Lam­bert.«

      Mit­ten auf ei­nem ab­ge­deck­ten Tisch saß ein jun­ger Ka­ter und be­ob­ach­te­te ge­spannt und er­staunt eine Flie­ge, die in ein Glas Was­ser ge­ra­ten war. Eine Pfo­te schweb­te in der Luft; das Tier schi­en be­reit zu sein, mit ei­ner ra­schen Be­we­gung das un­glück­li­che In­sekt aus dem Was­ser zu ha­schen. Aber es konn­te sich nicht ent­schlie­ßen! Was wür­de es tun?

      Dann zeig­te der Haus­herr ein De­tail­le: »Der Un­ter­richt«. Das Bild stell­te einen Sol­da­ten in der Ka­ser­ne dar, der einen Pu­del im Trom­meln un­ter­rich­te­te. »Das ist so geist­reich!« sag­te er.

      Du­roy war be­geis­tert und lach­te zu­stim­mend:

      »Wie ent­zückend! Wie ent­zückend! Wie ent­zü …«

      Plötz­lich hielt er inne; er hör­te hin­ter sich die Stim­me von Ma­da­me de Ma­rel­le, die so­eben ge­kom­men war. Der Chef fuhr fort, sei­ne Ge­mäl­des­amm­lung zu be­leuch­ten und zu er­klä­ren. Er zeig­te noch ein paar Bil­der und sag­te dann:

      »Ich habe noch wel­che in den an­de­ren Räu­men, aber es sind Bil­der von Künst­lern, die noch nicht be­rühmt sind. Die­ses Zim­mer hier ist mein Kunst­sa­lon. Ich kau­fe mo­men­tan sehr vie­le Bil­der von ganz jun­gen Ma­lern. Ich hän­ge sie in mein Pri­vat­zim­mer und war­te ru­hig, bis die Schöp­fer be­rühmt wer­den.«

      Dann setz­te er ganz lei­se hin­zu:

      »Es ist au­gen­blick­lich die rich­ti­ge Zeit, um Bil­der zu kau­fen. Die Kunst geht bet­teln. Die Ma­ler ha­ben kei­nen Sou … sie müs­sen ver­kau­fen.«

      Doch Du­roy sah nichts mehr und hör­te zu, ohne ein Wort zu ver­ste­hen. Ma­da­me de Ma­rel­le war da und stand hin­ter ihm. Was soll­te er tun? Wenn er sie grüß­te, wür­de sie ihm wo­mög­lich den Rücken dre­hen oder ihm ir­gend­ei­ne Be­lei­di­gung ins Ge­sicht wer­fen. Und wenn er sich nicht nä­her­te, was wür­de man dann den­ken?

      »Ich will je­den­falls Zeit ge­win­nen«, dach­te er. Er war so auf­ge­regt, dass er einen Au­gen­blick dar­an dach­te, ir­gend­ei­nen Vor­wand zu fin­den, um weg­ge­hen zu kön­nen.

      Die Ge­mäl­de­be­sich­ti­gung war zu Ende. Der Chef stell­te die Lam­pe hin und be­grüß­te die Neu­an­ge­kom­me­ne, wäh­rend Du­roy sich von Neu­em in die Bil­der ver­tief­te, als kön­ne er sich vor Be­wun­de­rung von ih­nen nicht los­rei­ßen. In sei­nem Kopf herrsch­te ein voll­kom­me­nes Durchein­an­der. Was soll­te er nun tun? Er hör­te hin­ter sich spre­chen, er un­ter­schied die Stim­men und ver­nahm die Un­ter­hal­tung; plötz­lich rief Frau Fo­res­tier:

      »Sa­gen Sie, bit­te, Herr Du­roy.«

      Er eil­te zu ihr hin, und sie emp­fahl ihm eine Freun­din, die ein Fest ge­ben woll­te, und er soll­te es in der Vie Françai­se er­wäh­nen.

      »Aber selbst­ver­ständ­lich, gnä­di­ge Frau,« stot­ter­te er, »mit größ­tem Ver­gnü­gen.«

      Ma­da­me de Ma­rel­le stand jetzt ganz in sei­ner Nähe. Er wag­te nicht mehr, sich um­zu­dre­hen und wie­der fort­zu­ge­hen. Nun glaub­te er den Ver­stand zu ver­lie­ren; sie sag­te ganz laut:

      »Gu­ten Tag, Bel-Ami! Sie ken­nen mich wohl gar nicht mehr?«

      Has­tig dreh­te er sich her­um; sie stand vor ihm, lä­chelnd, mit fro­hem, lie­bes­trah­len­dem Ge­sichts­aus­druck. Sie reich­te ihm die Hand. Er nahm sie zit­ternd, wo­bei er im­mer noch an eine Hin­ter­list, an eine ver­bor­ge­ne Bos­heit glaub­te. Sie fuhr fröh­lich fort:

      »Was ist denn aus Ih­nen ge­wor­den? Was tun Sie? Wa­rum las­sen Sie sich nicht mehr se­hen?«

      Er hat­te sei­ne Fas­sung noch nicht wie­der­ge­won­nen und stam­mel­te:

      »Ach, ich habe so viel zu tun ge­habt, gnä­di­ge Frau! Herr Wal­ter hat mir einen neu­en Pos­ten an­ver­traut, der mir große Ar­beit macht.«

      Sie sah ihm ins Ge­sicht. In ih­rem Blick konn­te er nichts an­de­res ent­de­cken als Wohl­wol­len und Zu­nei­gung.

      »Ich weiß es,« er­wi­der­te sie, »das ist aber kein Grund, Ihre Freun­de zu ver­ges­sen.«

      Sie wur­den ge­trennt durch den Ein­tritt ei­ner di­cken, de­kolle­tier­ten Dame mit ro­ten Ar­men und ro­ten Wan­gen, die sehr auf­fal­lend ge­klei­det war. Sie ging lang­sam und trat so schwer auf, dass man bei je­der Be­we­gung der ge­wal­ti­gen Ober­schen­kel ihr rie­si­ges Ge­wicht zu spü­ren glaub­te.

      Da sie an­schei­nend mit größ­ter Rück­sicht und Zu­vor­kom­men­heit be­han­delt wur­de, wand­te sich Du­roy an Frau Fo­res­tier:

      »Wer ist denn die­se Dame?«

      »Die Vi­com­tes­se de Per­ce­mur, die un­ter dem Na­men ›Samt­pföt­chen‹ schreibt.«

      Er war starr und hät­te am liebs­ten laut auf­ge­lacht:

      »Samt­pföt­chen! Das sol­len Samt­pföt­chen sein! Und ich habe mir dar­un­ter eine jun­ge, schö­ne Frau wie Sie ge­dacht. Na, das ist glän­zend, aus­ge­zeich­net!«

      Ein Die­ner er­schi­en in der Tür und mel­de­te:

      »Es ist an­ge­rich­tet.«

      Das Di­ner war zwang­los und lus­tig, ei­nes je­ner Di­ners, bei de­nen man von al­lem re­det und nichts sagt.

      Du­roy saß zwi­schen der häss­li­chen Toch­ter des Haus­herrn, Fräu­lein Rose, und Ma­da­me de


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