Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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ge­macht.

      Die Da­men rit­ten vor­bei, zier­lich und schlank in ih­ren dunklen Tuch­klei­dern und hat­ten et­was Hoch­mü­ti­ges und Un­nah­ba­res im Aus­druck, wie es Rei­te­rin­nen oft ha­ben.

      Du­roy er­laub­te sich den Spaß und sag­te halb­laut die Na­men, Ti­tel und Ei­gen­schaf­ten der Lieb­ha­ber her, die sie ge­habt hat­ten oder die man ih­nen nach­sag­te, so wie man Li­ta­nei­en in ei­ner Kir­che mur­melt, bis­wei­len aber, an­statt zu sa­gen: »Baron de Tan­que­let, Prinz de la Tour En­guer­rand,« mur­mel­te er: »Ge­schmack Les­bos; Loui­se Mi­chot vom Vau­de­ville, Rose Mar­que­tin von der Opéra.«

      Die­ses Spiel mach­te ihm viel Ver­gnü­gen; es trös­te­te ihn, er­hei­ter­te ihn und reiz­te ihn auf, un­ter dem An­schein erns­ter und wür­di­ger Tu­gend die tief un­aus­rott­ba­re Ge­mein­heit der Mensch­heit zu ent­de­cken.

      Dann sag­te er ganz laut: »Heuch­ler­ban­de!« Und sei­ne Bli­cke such­ten die­je­ni­gen Rei­ter her­aus, über die die schlimms­ten Ge­schich­ten im Um­lauf wa­ren.

      Er sah vie­le, die man als Falsch­spie­ler in Ver­dacht hat­te, für die die Klubs je­den­falls eine große und ein­zi­ge Geld­quel­le, und si­cher­lich auch eine ver­däch­ti­ge Geld­quel­le wa­ren.

      An­de­re ganz be­rühm­te Per­sön­lich­kei­ten leb­ten aus­schließ­lich von dem Ver­mö­gen ih­rer Frau­en, an­de­re, wie man be­haup­te­te, von dem Gel­de ih­rer Ge­lieb­ten. Vie­le hat­ten ihre Schul­den be­zahlt (eine höchst eh­ren­haf­te Hand­lung), ohne dass man je eine Ah­nung hät­te, wo­her sie das nö­ti­ge Geld auf­ge­trie­ben hat­ten (ein recht ver­däch­ti­ges Ge­heim­nis). Er sah Finanz­män­ner, de­ren ge­wal­ti­ge Ver­mö­gen von ei­nem Dieb­stahl her­rühr­ten, Leu­te, die über­all emp­fan­gen wur­den, selbst in den vor­nehms­ten Häu­sern. Er sah Her­ren, die so ge­ach­tet wa­ren, dass die klei­nen Leu­te ehr­furchts­voll den Hut ab­zo­gen, wenn sie vor­bei ka­men, trotz­dem ihre scham­lo­sen Be­trü­ge­rei­en in öf­fent­li­chen Un­ter­neh­mun­gen für kei­nen, der hin­ter die Ku­lis­sen der großen Welt einen Ein­blick hat­te, ein Ge­heim­nis wa­ren. Hoch­mü­tig und stolz rit­ten sie da­her und blick­ten keck und un­ver­schämt in die Welt hin­ein. Du­roy lach­te im­mer noch und wie­der­hol­te: »Das ist ein rich­ti­ges Gau­ner­pack! Schwind­ler!«

      Da kam in schnel­lem Tra­be ein rei­zen­der, of­fe­ner, nied­ri­ger Wa­gen vor­bei, vor den zwei Schim­mel­po­nys mit flat­tern­dem Schweif und Mäh­ne ge­spannt wa­ren. Eine zier­li­che, jun­ge Blon­di­ne kut­schier­te; es war eine be­kann­te Kur­ti­sa­ne; hin­ter ihr sa­ßen zwei Grooms. Du­roy blieb ste­hen; er hat­te Lust, ihr einen zu­stim­men­den Lie­bes­gruß zu­zu­win­ken, ihr Bei­fall zu klat­schen, die­ser Frei­beute­rin der Lie­be, die auf die­ser Spa­zier­fahrt und zu die­ser Stun­de mit­ten un­ter all die­sen ari­sto­kra­ti­schen Heuch­lern ih­ren fre­chen Lu­xus, den sie auf ih­rem La­ger ver­dien­te, zur Schau zu stel­len wag­te. Er fühl­te wohl un­klar, dass es et­was Ge­mein­sa­mes zwi­schen ih­nen gäbe, dass ein na­tür­li­ches Band sie ver­knüp­fe, dass sie von der­sel­ben Na­tur und Den­kart wä­ren und dass sein Er­folg eben­so auf­fal­lend sich ge­stal­ten wür­de.

      Er kehr­te lang­sam zu­rück; sein Herz war von in­ner­li­cher Be­frie­di­gung er­wärmt, und er kam et­was vor der fest­ge­setz­ten Zeit an die Tür sei­ner frü­he­ren Ge­lieb­ten.

      Sie emp­fing ihn mit hin­ge­hal­te­nen Lip­pen, als ob es nie­mals ein Zer­würf­nis zwi­schen ih­nen ge­ge­ben habe, und sie ver­gaß so­gar auf ei­ni­ge Au­gen­bli­cke die klu­ge Vor­sicht, die sie sonst in ih­rer Woh­nung al­len sei­nen Zärt­lich­kei­ten ent­ge­gen­zu­set­zen pfleg­te. Dann sag­te sie ihm, in­dem sie die ge­dreh­ten En­den sei­nes Schnurr­barts küss­te:

      »Du weißt noch gar nicht, mein Lieb­ling, wel­chen Ver­druss ich wie­der habe. Ich freu­te mich schon auf einen wun­der­vol­len Ho­nig­mo­nat mit dir, und nun kommt plötz­lich mein Mann für sechs Wo­chen zu­rück. Er hat Ur­laub ge­nom­men. Ich kann aber nicht sechs Wo­chen le­ben, ohne dich zu se­hen, be­son­ders nach un­se­rem klei­nen Zwist, und ich habe des­halb die Din­ge so ar­ran­giert: Ich lade dich Mon­tag zum Es­sen ein. Ich habe ihm schon von dir er­zählt und wer­de dich ihm vor­stel­len.«

      Du­roy war et­was über­rascht und zau­der­te; er hat­te noch nie mit ei­nem Mann ver­kehrt, des­sen Frau sei­ne Ge­lieb­te war. Er fürch­te­te, ir­gen­det­was, eine ge­wis­se Ver­le­gen­heit, ein Blick könn­te ihn ver­ra­ten. Er stam­mel­te:

      »Nein, ich möch­te lie­ber dei­nen Mann nicht ken­nen­ler­nen.«

      Sie war sehr er­staunt und tat ihre nai­ven Au­gen weit auf, doch sie be­stand dar­auf.

      »Wa­rum denn nicht? Wie kann man bloß so ko­misch sein? Das kommt doch alle Tage vor! Ich hat­te dich wirk­lich nicht für so ein­fäl­tig ge­hal­ten.«

      Ihre Wor­te ver­letz­ten ihn.

      »Nun gut, mei­net­we­gen,« sag­te er, »ich kom­me Mon­tag zum Es­sen.«

      Sie setz­te hin­zu:

      »Da­mit es na­tür­li­cher aus­sieht, wer­de ich noch Fo­res­tier ein­la­den. Ei­gent­lich macht es mir we­nig Spaß, Gäs­te bei mir zu ha­ben.«

      Die Tage bis zum Mon­tag dach­te Du­roy nicht mehr an die be­vor­ste­hen­de Be­kannt­schaft; aber als er die Trep­pe zu Ma­da­me de Ma­rel­le hin­auf­ging, fühl­te er sich selt­sam be­un­ru­higt, nicht weil es ihm wi­der­streb­te, die Hand die­ses Man­nes zu drücken, oder sei­ne Gast­freund­schaft an­zu­neh­men, son­dern er fürch­te­te et­was, wor­über er nicht klar war.

      Er wur­de in den Sa­lon ge­führt und er muss­te, wie im­mer, war­ten. Dann öff­ne­te sich die Tür und er er­blick­te einen großen Mann mit weißem Voll­bart, ernst und sehr kor­rekt, der auf ihn zu­kam, und mit pein­li­cher Höf­lich­keit sag­te:

      »Mei­ne Frau hat öf­ters von Ih­nen ge­spro­chen, und ich bin ent­zückt, Sie ken­nen­zu­ler­nen.«

      Du­roy schritt ihm ent­ge­gen, ver­such­te sei­nem Ge­sicht einen Aus­druck von Herz­lich­keit zu ge­ben und drück­te et­was über­trie­ben ener­gisch die Hand sei­nes Gast­ge­bers. Dann setz­ten sie sich, aber er wuss­te nicht, wie er die Un­ter­hal­tung be­gin­nen soll­te.

      Herr de Ma­rel­le leg­te ein Stück Holz ins Feu­er und frag­te:

      »Sind Sie schon lan­ge im Jour­na­lis­mus tä­tig?«

      »Nein, erst ein paar Mo­na­te«, ant­wor­te­te Du­roy.

      »Dann sind Sie aber schnell vor­wärts ge­kom­men.«

      »Ja, ziem­lich schnell.« Und er sprach wei­ter, was ihm ge­ra­de durch den Kopf fuhr, mit al­len nichts­sa­gen­den Re­dens­ar­ten, die man so oft un­ter we­nig be­kann­ten Leu­ten an­wen­det. Er be­ru­hig­te sich all­mäh­lich und be­gann, die gan­ze Si­tua­ti­on sehr ko­misch zu fin­den. Er be­trach­te­te die ernst­haf­te und ehr­wür­di­ge Ge­stalt von Herrn de Ma­rel­le, und auf sei­nen Lip­pen zuck­te ein Lä­cheln, wenn er sich sag­te: »Du, ich set­ze dir Hör­ner auf, mein Al­ter, ich set­ze dir Hör­ner auf!« Ihn er­füll­te eine scha­den­fro­he, in­ne­re Ge­nug­tu­ung, die Be­frie­di­gung ei­nes er­folg­rei­chen Die­bes, auf den man kei­nen Ver­dacht hat, eine spitz­bü­bi­sche, köst­li­che Freu­de. Plötz­lich hat­te er das Ver­lan­gen, ein


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