Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.Stellung an der Zeitung, aber ich bin überzeugt, dass er bald hochkommen wird.«
Duroy ging fröhlich, mit großen, tanzenden Schritten den Boulevard Malesherbes hinunter und murmelte zufrieden:
»Ein guter Abgang.«
Am Abend söhnte er sich mit Rahel wieder aus.
Die folgende Woche brachte ihm zwei Ereignisse: er wurde zum Leiter des Nachrichtenteils ernannt und erhielt eine Einladung von Frau Walter zum Diner. Er begriff sofort, dass ein innerer Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen bestand.
Die Vie Française war vor allen Dingen ein Börsenblatt, denn ihr Begründer war ein Finanzmann, der die Presse und sein Deputiertenmandat nur als Mittel zum Zweck betrachtete. Die Gutmütigkeit und wohlwollende Neutralität allem gegenüber war für ihn eine Waffe, und er spekulierte stets unter der lächelnden Maske des braven Mannes. Aber für alle seine Geschäfte benutzte er nur Menschen, die er vorher nach jeder Richtung hin beobachtet und erprobt hatte, und die er für schlau, geschickt und gerieben hielt. Duroy schien ihm an der Spitze des lokalen Nachrichtendienstes eine sehr brauchbare Persönlichkeit zu sein.
Bisher hatte der Redaktionssekretär Boisrenard diesen Posten verwaltet. Er war ein alter Journalist, korrekt, pünktlich und gewissenhaft wie ein Beamter. Seit dreißig Jahren war er Redaktionssekretär von elf verschiedenen Zeitungen, ohne seine Handlungs- und Anschauungsweise irgendwie zu ändern. Er wechselte die Redaktionen wie die Restaurants, und er merkte kaum, dass die Küche immer eine andere war. Politische und religiöse Anschauungen blieben ihm fremd. Er war der Zeitung, in der er gerade angestellt war, ergeben, arbeitete fleißig und wurde wegen seiner Erfahrung geschätzt. Trotzdem hielt er sehr auf seine Berufsehre, und er hätte sich nie zu etwas hergegeben, was er von seinem journalistischen Berufsstandpunkt für unehrenhaft, inkorrekt und unsauber gehalten hätte. Herr Walter achtete ihn deshalb zwar sehr hoch, aber gerade an der Spitze des lokalen Teils, der seiner Ansicht nach das Mark der Zeitung bildete, hätte er zuweilen doch gern eine andere Persönlichkeit gesehen. Denn hier wurden die Neuigkeiten lanciert, die Gerüchte in Umlauf gesetzt, durch die man auf das Publikum und auf die Kurse einwirkte. Zwischen zwei Berichten über Gesellschaftsabende muss man die wichtigen Nachrichten unauffällig einschieben und sie mehr andeuten als aussprechen. Zwischen den Zeilen muss man erraten lassen, was man eigentlich will, da muss man eine Neuigkeit so zu dementieren wissen, dass man sie erst recht glaubt, und etwas so bestätigen, dass jeder zu zweifeln beginnt. In den Lokalnachrichten muss jeder Tag für Tag wenigstens eine Zeile finden, die ihn interessiert, damit jedermann sie liest. Man muss dabei an alle und an alles denken, an alle Gesellschaftskreise und an alle Berufe, an Paris und an die Provinz, an die Armee und an die Maler, an die Geistlichkeit und an die Universität, an die Beamten und die Halbweltdamen.
Der Mann, der an der Spitze des Nachrichtenteils steht und das Heer der Reporter dirigiert, muss stets auf dem Posten sein, misstrauisch, vorausschauend, verschlagen, vorsichtig und gewandt sein, er muss den richtigen Instinkt haben, mit einer unfehlbaren Witterung begabt sein, um die falsche Nachricht auf den ersten Blick zu erkennen, um zu beurteilen, was gesagt und was verschwiegen werden muss, um sofort zu begreifen, was auf das Publikum wirken wird, und es dann so vorzubringen, dass die Wirkung vervielfältigt wird. Boisrenard besaß zwar eine lange Praxis, aber es fehlte ihm an Übersicht und Talent. Vor allen Dingen ließ er die angeborene Spitzfindigkeit vermissen, um tagaus, tagein die neuen Gedanken des Chefs zu wittern.
Duroy wusste die Sache glänzend zu meistern, er war eine hervorragende Errungenschaft der Redaktion dieses Blattes, das nach dem Ausdrucke Norbert de Varennes »auf den Strömungen des Staates und auf den Unterströmungen der Politik schwamm«.
Die geistigen Leiter und die eigentlichen Redakteure der Vie Francaise waren ein halbes Dutzend Deputierte, die an allen Spekulationen des Direktors interessiert waren. Man nannte sie in der Kammer die »Walter-Clique«, und beneidete sie, weil sie mit ihm und durch ihn offenbar viel Geld verdienten. Forestier war als politischer Redakteur nur der Strohmann dieser Geschäftsleute, der Vollstrecker der von ihnen eingeflößten Ideen. Sie soufflierten ihm seine großen Artikel, die er immer zu Hause schrieb, »um Ruhe zu haben«, wie er sagte.
Um dem Blatt jedoch einen literarischen und gesellschaftlichen, pariserischen Anstrich zu geben, hatte man ihm zwei berühmte Schriftsteller verschiedener Art und verschiedenen Charakters zur Seite gestellt: Jaques Rival, der aktuelle Plaudereien schrieb, und Norbert de Varenne, den Dichter der neuen Schule und fantasievollen Erzählungskünstler. Dann hatte man aus der großen Schar der »Journalisten für alles« um billiges Geld noch ein paar Kritiker für Kunst, Malerei, Musik und Bühne engagiert und außerdem einen Redakteur für Gerichtsverhandlungen und einen für Rennsport. Zwei Damen der Gesellschaft schickten unter dem Pseudonym »Rosa Domino« und »Samtpfötchen« ihre Berichte aus der vornehmen Welt in die Redaktion; sie behandelten Fragen der Mode und der Etikette und brachten allerlei Indiskretionen über bekannte Damen.
Und so schwamm die Vie Française »auf den Strömungen und Unterströmungen« der Politik und der Börse, gelenkt und geleitet von allen diesen verschiedenen Händen und Köpfen.
Duroy befand sich gerade auf dem Höhepunkt seiner Freude über seine Ernennung, als er eine Einladungskarte erhielt, auf der stand: »Herr und Frau Walter bitten Herrn Georges Duroy, ihnen die Ehre zu erweisen, am Donnerstag, den 20. Januar, bei ihnen zu speisen.«
Diese neue Gunst, die mit der anderen so hübsch zusammentraf, erfüllte ihn mit solcher Freude, dass er die Einladung küsste, als wäre sie ein Liebesbrief gewesen. Dann begab er sich zum Kassierer, um die wichtige Gehaltsfrage zu besprechen.
Der Nachrichtenredakteur erhielt im Allgemeinen monatlich eine bestimmte Summe, von der er seine Reporter und ihre mehr oder weniger wichtigen Nachrichten zu honorieren hatte.
Für Duroy waren zunächst zwölfhundert Francs monatlich ausgesetzt, und er nahm sich vor, davon einen guten Teil für sich zu behalten.
Auf seine dringenden Vorstellungen hatte der Kassierer ihm endlich vierhundert Francs Vorschuss gegeben. Zuerst hegte Duroy tatsächlich die Absicht, an Madame de Marelle die zweihundertundvierzig Francs, die er ihr schuldete, zurückzugeben. Er überlegte sich aber, dass ihm dann nur