Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Ge­sell­schafts­räu­me la­gen im ers­ten Stock. Zu­erst kam man in ein Vor­zim­mer mit Go­bel­ins und Por­tie­ren. Zwei Die­ner sa­ßen schläf­rig auf Ses­seln. Ei­ner von ih­nen nahm Du­roy den Über­zie­her ab, der an­de­re er­griff sei­nen Spa­zier­stock, öff­ne­te eine Tür, ging dem Gas­te ein paar Schrit­te vor­aus, trat dann zur Sei­te und ließ ihn vor­bei, in­dem er sei­nen Na­men in ein lee­res Zim­mer hin­ein­rief. Der jun­ge Mann fühl­te sich zu­erst sehr un­si­cher und sah sich nach al­len Sei­ten um, bis er zu­letzt in ei­nem Spie­gel meh­re­re sit­zen­de Men­schen er­blick­te, die ziem­lich weit zu sein schie­nen. Er ging zu­erst nach der ver­kehr­ten Rich­tung, da der Spie­gel sei­ne Au­gen ge­täuscht hat­te, dann durch­schritt er zwei lee­re Sa­lons und kam in ein klei­nes Bou­doir mit blaus­ei­de­nen Ta­pe­ten, die mit gol­de­nen Knöp­fen ver­ziert wa­ren. Hier sa­ßen vier Da­men um einen run­den Tisch und plau­der­ten bei ei­ner Tas­se Tee.

      Trotz der Si­cher­heit, die Du­roy sich durch sei­nen Auf­ent­halt in Pa­ris und vor al­len Din­gen durch sei­nen Re­por­ter­be­ruf, der ihn im­mer wie­der mit her­vor­ra­gen­den Men­schen in Berüh­rung brach­te, er­wor­ben hat­te, fühl­te er sich durch die gan­ze Ins­ze­nie­rung sei­nes Empfangs und die großen lee­ren Sa­lons, die er durch­wan­dern muss­te, et­was ver­schüch­tert. Er stam­mel­te:

      »Ma­da­me, ich habe mir ge­stat­tet …«, und such­te da­bei mit den Au­gen die Frau des Hau­ses.

      Sie reich­te ihm die Hand, die er mit ei­ner Ver­beu­gung er­griff, und sag­te zu ihm:

      »Es ist sehr lie­bens­wür­dig von Ih­nen, Herr Du­roy, mich zu be­su­chen.« Und sie wies ihn auf einen Ses­sel, auf den er, statt sich hin­zu­set­zen, hin­ab­fiel, da er ihm viel hö­her zu sein schi­en, als er tat­säch­lich war.

      Die Da­men, die einen Au­gen­blick ge­schwie­gen, hat­ten ihre Un­ter­hal­tung wie­der auf­ge­nom­men. Man sprach über die plötz­lich ein­ge­tre­te­ne Käl­te, die aber noch nicht stark ge­nug war, um Schlitt­schuh lau­fen zu kön­nen, und die auch nicht im­stan­de war, die herr­schen­de Ty­phus­epi­de­mie zu ver­scheu­chen. Jede Dame äu­ßer­te ihre Mei­nung über das Auf­tre­ten des hef­ti­gen Fros­tes in Pa­ris, dann plau­der­te man dar­über, wel­che Jah­res­zeit ei­gent­lich die an­ge­nehms­te war und kram­te alle jene ba­na­len Be­grün­dun­gen aus, die in den Köp­fen sich ab­la­gern, wie Staub auf den Mö­beln.

      Die Tür ging lei­se auf und Du­roy wand­te sich um. Er er­blick­te durch zwei große Wand­schei­ben eine sehr kor­pu­len­te Dame, die nä­her­kam. Gleich­zei­tig er­hob sich im Bou­doir eine der Be­su­che­rin­nen, ver­ab­schie­de­te sich und ging hin­aus. Der jun­ge Mann folg­te ihr mit den Bli­cken durch die an­de­ren Zim­mer und sah, wie auf ih­rem schwar­zen Rücken die Jett­per­len blitz­ten.

      Als die Un­ru­he, die die­ser Per­so­nen­wech­sel her­vor­ge­ru­fen, sich ge­legt hat­te, kam man plötz­lich ohne Über­gang auf Marok­ko und den Krieg im Ori­ent zu spre­chen, eben­so auf die schwie­ri­ge Lage Eng­lands im ferns­ten Afri­ka. Die Da­men re­de­ten, als ob sie eine Ge­sell­schafts­ko­mö­die, die sie schon oft wie­der­holt hat­ten, aus­wen­dig her­sag­ten.

      Jetzt er­schi­en ein neu­er Gast. Es war eine klei­ne Blon­di­ne mit Löck­chen, die den Auf­bruch ei­ner großen, ha­ge­ren, nicht mehr ganz jun­gen Per­son ver­an­lass­te.

      Man sprach nun von den Aus­sich­ten des Herrn Li­net für sei­ne Wahl in die Aka­de­mie. Die neu er­schie­ne­ne Dame war über­zeugt, er wür­de von Herrn Ca­ba­non-Le­bas ge­schla­gen wer­den, dem Ver­fas­ser der schö­nen und form­vollen Be­ar­bei­tung des »Don Qui­chot­te« in Ver­sen für die fran­zö­si­sche Büh­ne.

      »Wis­sen Sie, dass sein Stück im nächs­ten Win­ter im Ode­on auf­ge­führt wird?«

      »Ach wirk­lich. Ich gehe be­stimmt hin und sehe mir die­sen li­te­ra­ri­schen Ver­such an.«

      Frau Wal­ter ant­wor­te­te sehr gra­zi­ös, ver­bind­lich und mit ru­hi­ger Un­par­tei­lich­keit, sie war nie um eine Re­de­wen­dung ver­le­gen, ihre Mei­nung stand im­mer im Voraus fest.

      Doch sie merk­te, dass es dun­kel wur­de und ließ die Lam­pe her­ein­brin­gen, wäh­rend sie gleich­zei­tig auf die Un­ter­hal­tung hör­te, die un­un­ter­bro­chen wie ein Was­ser­bach plät­scher­te. Da­bei fiel ihr ein, dass sie ver­ges­sen hat­te, beim Gra­veur die Ein­la­dungs­kar­ten für das nächs­te Di­ner zu be­stel­len.

      Sie war et­was zu stark, aber noch schön, und be­fand sich in je­nem ge­fähr­li­chen Al­ter, wo der Nie­der­gang nahe ist. Sie er­hielt ihre Schön­heit durch alle mög­li­chen Be­mü­hun­gen und Maß­re­geln, durch Hy­gie­ne und kos­me­ti­sche Mit­tel. Al­les, was sie tat, war be­son­nen, über­legt und ver­nünf­tig; sie ge­hör­te zu den Frau­en, de­ren Geist ge­rad­li­nig ist wie ein fran­zö­si­scher Gar­ten. Da gibt es nir­gends Über­ra­schun­gen, aber al­les ist nied­lich und rei­zend. Sie hat­te einen fei­nen dis­kre­ten und si­che­ren Ver­stand, der ihr die Fan­ta­sie voll­kom­men er­setz­te, da­bei war sie gü­tig, ru­hig, wohl­wol­lend, weit­her­zig für je­der­mann und für al­les. Sie be­merk­te, dass Du­roy noch nichts ge­sagt hat­te, dass nie­mand mit ihm re­de­te, und dass er sich des­halb et­was un­be­hag­lich zu füh­len schi­en. Die Da­men spra­chen noch im­mer von ih­rem Lieb­lings­the­ma, der Aka­de­mie, da frag­te sie:

      »Herr Du­roy, Sie müss­ten doch über die Fra­ge bes­ser ori­en­tiert sein als je­der an­de­re. Wem wür­den Sie den Vor­zug ge­ben?«

      Er ant­wor­te­te, ohne zu zau­dern:

      »In die­ser Fra­ge, Ma­da­me, wür­de ich nie den strit­ti­gen Punkt über die li­te­ra­ri­schen Ver­diens­te des einen oder des an­de­ren Kan­di­da­ten ins Auge fas­sen, wohl aber ihr Al­ter und ih­ren Ge­sund­heits­zu­stand. Ich wür­de nicht nach ih­ren Aus­sich­ten, son­dern nach ih­ren Krank­hei­ten fra­gen. Ich wür­de mich nicht er­kun­di­gen, ob sie Lope de Vega in fran­zö­si­sche Ver­se über­tra­gen, son­dern nach dem Zu­stand ih­rer Le­bern, Her­zen, Nie­ren und Rücken­mar­ke. Für mich sind eine gute Her­zer­wei­te­rung oder eine Nie­ren­ent­zün­dung und vor al­lem ein hüb­scher An­fang ei­ner Rücken­mark­schwind­sucht hun­dert­mal mehr wert als eine vier­zig Bän­de di­cke li­te­ra­risch-wis­sen­schaft­li­che Ar­beit über den Be­griff der Va­ter­lands­lie­be in der Li­te­ra­tur der wil­den Völ­ker­schaf­ten.«

      Ein er­staun­tes Schwei­gen folg­te die­ser Er­klä­rung.

      Frau Wal­ter frag­te lä­chelnd: »Wa­rum denn ei­gent­lich?«

      Er ant­wor­te­te: »Weil ich bei al­len Din­gen nur da­nach fra­ge, wel­che Freu­de sie den Da­men ma­chen kön­nen. Nun aber in­ter­es­siert man sich in Wirk­lich­keit für die Aka­de­mie doch nur dann, wenn ein Aka­de­mi­ker stirbt. Je mehr da­von ster­ben, de­sto glück­li­cher müs­sen sie sein. Aber da­mit sie bald ster­ben, müss­te man im­mer Alte und Kran­ke er­nen­nen.«

      Da die Da­men noch et­was be­trof­fen wa­ren, fuhr er fort: »Üb­ri­gens geht es mir eben­so wie Ih­nen. Ich lese die Pa­ri­ser Nach­rich­ten über den Tod ei­nes Aka­de­mi­kers. Ich stel­le so­fort die Fra­ge: Wer wird an sei­ne Stel­le tre­ten? Und ich stel­le mei­ne Lis­te auf. Das ist ein Spiel, ein hüb­sches, klei­nes Spiel, das man in al­len Pa­ri­ser Sa­lons beim Hin­schei­den ei­nes Uns­terb­li­chen spielt: das Spiel des To­des und der vier­zig


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