Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Читать онлайн книгу.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


Скачать книгу
ging di­rekt zu Jaques Ri­val, der noch schlief.

      Als es klin­gel­te, sprang er aus dem Bett und las schnell die No­tiz.

      »Ver­dammt,« rief er, »da müs­sen wir ran. Wen wer­den Sie als zwei­ten Se­kun­dan­ten wäh­len?«

      »Ich weiß das wirk­lich nicht!«

      »Bois­renard? — Was mei­nen Sie?«

      »Gut, Bois­renard.«

      »Sind Sie ein gu­ter Fech­ter?«

      »Gar nicht!«

      »Ver­flucht! Und wie steht es mit dem Pis­to­len­schie­ßen?«

      »Schie­ßen kann ich et­was.«

      »Gut. Sie wer­den sich üben, wäh­rend ich mich mit al­lem wei­te­ren be­fas­se. War­ten Sie eine Mi­nu­te.«

      Er ging in sein An­klei­de­zim­mer und kam bald ge­wa­schen, ra­siert und in ele­gan­ter Toi­let­te zu­rück. »Kom­men Sie mit!« sag­te er.

      Er wohn­te im Erd­ge­schoss ei­nes klei­nen Hau­ses und führ­te Du­roy in den Kel­ler hin­ab, einen rie­si­gen Kel­ler, der in einen Fecht- und Schieß­platz um­ge­wan­delt war. Sämt­li­che Öff­nun­gen nach der Stra­ße hat­te er ver­stop­fen las­sen. Er zün­de­te eine Rei­he Gas­flam­men an, die bis zum Ende des zwei­ten Kel­lers reich­ten. Im Hin­ter­grun­de stand eine ei­ser­ne, blau und rot an­ge­mal­te Fi­gu­ren­schei­be ei­nes Man­nes. Dann leg­te er zwei Pis­to­len nach dem neues­ten Hin­ter­la­der­sys­tem auf den Tisch und be­gann mit kur­z­er, schar­fer Stim­me zu kom­man­die­ren wie auf dem Kampf­platz:

      »Fer­tig?

      Feu­er — eins — zwei — drei!«

      Du­roy ge­horch­te wil­len­los; er hob den Arm, ziel­te, schoss, und da er die Pup­pe mehr­mals in den Bauch traf, denn er hat­te in sei­ner Kind­heit oft mit ei­ner al­ten Sat­tel­pis­to­le sei­nes Va­ters auf die Spat­zen im Hof ge­schos­sen, so er­klär­te Jaques Ri­val be­frie­digt:

      »Gut — sehr gut — sehr gut — es wird ge­hen. Schie­ßen Sie so bis Mit­tag. Hier lie­gen Pa­tro­nen. Ha­ben Sie kei­ne Angst, sie zu ver­brau­chen. Ich hole Sie zum Früh­stück ab und tei­le Ih­nen al­les Nä­he­re mit.«

      Und er ver­schwand.

      Du­roy blieb al­lein; er schoss noch ein paar­mal, dann setz­te er sich hin und be­gann nach­zu­den­ken. Wie tö­richt war doch die gan­ze Ge­schich­te. Was be­wies ein Duell? War ein Schuft kein Schuft mehr, wenn er sich ge­schla­gen hat­te? Was hat­te ein be­lei­dig­ter Ehren­mann da­von, sein Le­ben ge­gen einen Gau­ner aufs Spiel zu set­zen? Sei­ne Ge­dan­ken schweif­ten im Dun­keln her­um, und er dach­te dar­an, was Nor­bert de Va­ren­ne ihm von der Geis­te­s­ar­mut der Men­schen, von der Be­schränkt­heit ih­res Ge­sichts­krei­ses und von ih­rer tö­rich­ten Kin­der­mo­ral ge­sagt hat­te.

      Und er sag­te ganz laut: »Wahr­haf­tig, er hat­te recht.«

      Dann ver­spür­te er Durst; er hör­te hin­ter sich Was­ser trop­fen, er­blick­te einen Dusch­ap­pa­rat und ging hin, um aus der hoh­len Hand zu trin­ken. Dann ver­fiel er wie­der in Ge­dan­ken. Es war so trü­be hier im Kel­ler, so düs­ter und trau­rig wie in ei­nem Grab, und das fer­ne, dump­fe Rol­len der Wa­gen hör­te sich an wie das Na­hen ei­nes Stur­mes. Wie spät moch­te es sein? Die Stun­den ver­stri­chen hier un­ten, wie sie in ei­nem Ge­fäng­nis ver­strei­chen muss­ten, ohne dass ir­gend­ein an­de­res Zei­chen ih­ren Wech­sel an­kün­det, au­ßer dem Er­schei­nen des Ker­ker­meis­ters, der das Es­sen bringt. Und so war­te­te er sehr lan­ge.

      Plötz­lich hör­te er Stim­men und Schrit­te und Jaques Ri­val er­schi­en in Beglei­tung von Bois­renard. So­bald er Du­roy er­blick­te, rief er:

      »Al­les in Ord­nung.«

      Du­roy glaub­te zu­nächst, die An­ge­le­gen­heit sei durch einen Ent­schul­di­gungs­brief bei­ge­legt; er at­me­te er­leich­tert auf und stam­mel­te:

      »Ah … ich dan­ke Ih­nen.«

      Ri­val fuhr fort:

      »Der Lan­gre­mont scheint einen di­cken Kopf zu ha­ben, er hat alle un­se­re Be­din­gun­gen an­ge­nom­men. Fün­f­und­zwan­zig Schritt, ein­ma­li­ger Ku­gel­wech­sel mit Auf­he­ben der Pis­to­le. Man hat dann viel mehr Si­cher­heit im Arm als beim Sen­ken der Waf­fe. Ge­ben Sie acht, Bois­renard, was ich Ih­nen ge­sagt habe.«

      Er er­griff eine Pis­to­le und schoss, wäh­rend er dem an­de­ren aus­ein­an­der­setz­te, um wie viel si­che­rer man zie­len konn­te, wenn man die Pis­to­le hob. Dann sag­te er:

      »Jetzt wol­len wir früh­stücken ge­hen, es ist zwölf Uhr schon vor­über.«

      Und sie gin­gen in ein be­nach­bar­tes Re­stau­rant. Du­roy war ganz still ge­wor­den. Er zwang sich zu es­sen, da­mit es nicht aus­se­hen soll­te, als ob er Angst hät­te; dann ging er mit Bois­renard im Lau­fe des Ta­ges in die Re­dak­ti­on und tat zer­streut und me­cha­nisch sei­ne Ar­beit; alle fan­den ihn sehr mu­tig. Spät am Nach­mit­tag kam Jaques Ri­val zu ihm, und sie ver­ab­re­de­ten, dass Du­roy von sei­nen Se­kun­dan­ten am nächs­ten Mor­gen um sie­ben Uhr ab­ge­holt wer­den soll­te, um nach Bois du Vé­si­net zu fah­ren, wo das Duell statt­fin­den soll­te.

      Das war al­les so un­er­war­tet ge­kom­men, so ganz ohne sei­ne Teil­nah­me, ohne dass er ein Wort ge­spro­chen hat­te, ohne dass er sei­ne Mei­nung äu­ßer­te, ohne dass er et­was an­neh­men oder ver­wei­gern konn­te, und mit solch ei­ner Ge­schwin­dig­keit, dass er ver­le­gen und ver­wirrt blieb, ohne recht zu wis­sen, was vor­ging.

      Er speis­te mit Bois­renard und ging dann ge­gen neun Uhr abends nach Hau­se. So­bald Du­roy al­lein war, ging er ei­ni­ge Zeit mit großen, leb­haf­ten Schrit­ten in sei­nem Zim­mer auf und ab. Er war zu auf­ge­regt, um an et­was zu den­ken. Ein ein­zi­ger Ge­dan­ke füll­te ihn aus:

      — Mor­gen ein Duell — ohne dass die­se Vor­stel­lung in ihm et­was an­de­res er­weck­te, als eine ge­wis­se, star­ke Er­re­gung. Er war Sol­dat, er hat­te auf die Ara­ber ge­schos­sen, al­ler­dings ohne große per­sön­li­che Ge­fahr, so wie man auf der Jagd auf ein Wild­schwein schießt.

      Schließ­lich hat­te er ge­han­delt, wie er han­deln muss­te. Er hat­te sich so ge­zeigt, wie er soll­te. Man wür­de von. ihm spre­chen, ihn lo­ben — ihn be­glück­wün­schen. Dann sprach er laut vor sich hin, wie man in großer, see­li­scher Er­re­gung spricht:

      »Was für ein Vieh ist die­ser Mensch!«

      Er setz­te sich und be­gann nach­zu­den­ken. Er be­trach­te­te die Vi­si­ten­kar­te sei­nes Geg­ners, die ihm Ri­val ge­ge­ben hat­te, da­mit er sei­ne Adres­se be­hielt. Zum zwan­zigs­ten Mal las er: Louis Lan­gre­mont, 176, Rue Mont­mar­tre. Wei­ter nichts.

      Er be­trach­te­te die­se Buch­sta­ben, die ihm ge­heim­nis­voll vor­ka­men, die ihn be­un­ru­hig­ten. »Louis Lan­gre­mont.« Wer war die­ser Mann? Wie alt? Wel­cher Ge­stalt? Wel­ches Ge­sicht? War es nicht em­pö­rend, dass ein Frem­der, ein Un­be­kann­ter ohne je­den Grund sein Le­ben zer­stö­ren konn­te, nur durch die Lau­ne ei­ner al­ten Frau, die sich mit ih­rem Schläch­ter ge­zankt hat­te. Und er wie­der­hol­te noch­mals: »Was für ein Vieh!«

      Und mit ei­nem star­ren Blick guck­te er die Kar­te an. Ein Zorn ge­gen die­ses Stück Pa­pier er­füll­te ihn, ein Zorn, in den


Скачать книгу