Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.hinter denen ein Wagen fuhr, achtzugeben. Sie gingen vorüber. Da rief Georges Duroy lachend:
»Guten Tag, Papa Duroy!«
Sie blieben beide stehen, zuerst verblüfft, dann ganz blöde vor Überraschung. Die Alte fasste sich zuerst und stammelte, ohne sich zu rühren:
»Das bist du, unser Sohn?«
Der junge Mann antwortete:
»Aber natürlich bin ich das, Mutter Duroy.«
Und er ging auf sie zu und gab ihr auf beide Backen einen herzlichen Sohneskuss. Dann drückte er seine Schläfen gegen die des Vaters, der seine Mütze abgenommen hatte, eine seidene, sehr hohe Kappe, wie die Viehhändler in Rouen sie zu tragen pflegen.
Dann stellte Duroy vor:
»Das ist meine Frau.«
Und die beiden Bauersleute starrten Madeleine wie ein Wunder mit einer verborgenen Furcht an. Der Vater schien ziemlich befriedigt, während in den Augen der Mutter eine feindselige Eifersucht funkelte.
Der Mann war von Natur lustig und fröhlich und durch den Genuss des süßen Apfelweines und Alkohols wurde sein Frohsinn noch gesteigert. Er wurde kecker und fragte mit listigem Augenzwinkern:
»Darf ich ihr wohl auch einen Kuss geben?«
»Aber natürlich!« antwortete der Sohn; und Madeleine, der es unbehaglich wurde, reichte beide Wangen den schallenden Küssen des Bauern, der daraufhin sich seine Lippen mit der Rückseite seiner Hand abwischte. Auch die Alte küsste ihre Schwiegertochter, doch mit feindseliger Zurückhaltung. Nein! das war nicht die Schwiegertochter, von der sie träumte, die dicke, frische Pächterstochter, rot wie ein Apfel und rund wie eine Zuchtstute. Die Dame da sah nicht recht geheuer aus mit ihrem Putz und ihrem Moschusgeruch. Für die Alte gab es nur ein Parfüm, und das war Moschus.
Man ging nun weiter und folgte der Droschke, auf der das Gepäck des jungen Paares stand.
Der Alte nahm den Sohn beim Arm, zog ihn etwas zurück und fragte neugierig:
»Nun, und wie gehen die Geschäfte?«
»Gut, sehr gut!«
»Nu’, das genügt. Umso besser. Sag’ mal, und deine Frau, hat sie Geld?«
»Vierzigtausend Francs!«
Der Vater stieß vor Überraschung und Bewunderung einen leisen Pfiff aus und brachte nichts weiter hervor als: »Donnerwetter!«, so starr war er über die Summe. Dann setzte er mit ernster und ehrlicher Überzeugung hinzu:
»Wahrhaftig, es ist eine schöne Frau!«
Er fand sie nach seinem Geschmack, und seinerzeit hatte er für einen Kenner gegolten.
Madeleine und die Mutter gingen nebeneinander, ohne ein Wort zu sprechen. Die beiden Männer holten sie ein.
Das kleine Dorf, wohin sie nun gelangten, zog sich längs der Straße hin, etwa zehn Häuser auf jeder Seite, teils aus Ziegeln, teils aus Lehm gebaut, die einen mit Stroh, die anderen mit Schiefer gedeckt. Links, am Dorfeingang befand sich das Wirtshaus des alten Duroy »Zur schönen Aussicht«, eine kleine Hütte, die aus einem Erdgeschoss und einigen Bodenkammern bestand. Über der Tür war ein Kiefernzweig angebracht, er zeigte nach altem Brauch, dass durstige Leute eintreten können.
Der Tisch war in der Wirtsstube gedeckt oder vielmehr waren zwei Tische nebeneinander geschoben und mit einer Serviette bedeckt. Eine Nachbarin, die zur Aushilfe gekommen war, grüßte mit tiefer Verbeugung, als sie eine so schöne Dame eintreten sah, dann erkannte sie Georges und rief:
»Herr Jesus! Bist du es, Kleiner?«
Er antwortete fröhlich:
»Aber gewiss bin ich es, Mutter Brulin!«
Und er umarmte sie, wie er vorher seine Eltern umarmt hatte.
Dann wandte er sich zu seiner Frau:
»Komm in unser Zimmer, da kannst du deinen Hut ablegen.«
Er führte sie rechts durch eine Tür in ein kaltes, viereckiges Zimmer mit kalkgeweißten Wänden, in dem ein Bett mit baumwollenen Vorhängen stand; über einem Weihwasserbecken hing ein Kruzifix; zwei kolorierte Bilder, die Paul und Virginie unter einem blauen Palmenbaum und Napoleon I. auf einem gelben Pferd darstellten, bildeten den einzigen Schmuck dieses sauberen, öden Zimmers. Sobald sie allein waren, küsste er Madeleine:
»Guten Tag, Made; ich freue mich wirklich, die Alten wiederzusehen. In Paris denkt man nicht an sie, und wenn man wieder beisammen ist, macht das einem doch Freude.«
Aber der Vater rief, indem er mit der Faust an die Tür schlug:
»Kommt! Vorwärts! Die Suppe ist fertig!«
Sie mussten zu Tisch gehen.
Es war eine lange, schlecht zusammengestellte Bauernmahlzeit: eine Wurst nach der Hammelkeule und ein Eierkuchen nach der Wurst. Vater Duroy war durch den Apfelwein und ein paar Gläser Schnaps angeheitert, und packte seine alten Geschichten und Lieblingsscherze aus, die er für besonders festliche Gelegenheiten aufbewahrte, allerlei schlüpfrige, unsaubere Abenteuer, die angeblich seinen Freunden begegnet waren. Georges, der sie alle kannte, grinste trotzdem, denn die Luft der Heimat und die angeborene Liebe zum Lande und zu den vertrauten Winkeln seiner Kindheit, berauschten ihn ebenso wie all die Erinnerungen, die wieder in ihm lebendig wurden, all diese Kleinigkeiten, die er wieder sah: ein Messerschnitt in der Tür, ein lahmer Stuhl, der ihn an eine jugendliche Untat erinnerte, der Erdgeruch und der kräftige Harzduft, der aus dem nahen Walde kam und selbst der Geruch des Hauses, des Baches und des Düngerhaufens.
Die Mutter Duroy sprach gar nicht; sie blieb immer traurig und ernst. Hasserfüllt beobachtete sie ihre Schwiegertochter. Es war der Hass der alten Arbeiterin und Bäuerin mit verbrauchten Fingern und durch schwere Mühen entstellten Gliedern gegen die Städterin, die ihr Widerwillen einflößte, wie eine Verdammte, Verworfene, ein unreines Wesen, das nur für Sünde und Müßiggang geschaffen sei. Alle Augenblicke stand sie auf, um das Essen hereinzutragen und die Gläser zu füllen mit dem gelben herben Trank aus der Karaffe oder mit dem roten, schäumenden Apfelwein, bei dem der Pfropfen knallend aus der Flasche sprang wie bei einer moussierenden Limonade.
Madeleine aß wenig und sprach auch kaum, sie blieb traurig sitzen mit ihrem gewöhnlichen Lächeln, zu dem sie ihre Lippen zwang. Sie war enttäuscht und tief traurig. Warum? Gerade sie hatte ja kommen wollen; und sie wusste schon im Voraus ganz genau, dass es