Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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fühl­te? Oder lag es an ih­rem bäu­ri­schen We­sen, an ih­ren Wor­ten, ih­ren Ge­bär­den, und an ih­rem La­chen?

      Sie dach­te an ihre ei­ge­ne Mut­ter, von der sie nie zu je­mand sprach. Es war eine ver­führ­te Er­zie­he­rin aus Saint-De­nis, die in Kum­mer und Elend ge­stor­ben war, als Ma­de­lei­ne zwölf Jah­re zähl­te. Ein Un­be­kann­ter hat­te das Mäd­chen er­zie­hen las­sen, zwei­fel­los ihr Va­ter. Wer war er? Sie wuss­te es nicht ge­nau, ob­gleich sie be­stimm­te Ver­mu­tun­gen heg­te.

      Das Früh­stück nahm kein Ende. Jetzt ka­men Gäs­te, die dem al­ten Du­roy die Hand schüt­tel­ten und in stau­nen­de Aus­ru­fe aus­bra­chen, als sie den Sohn er­blick­ten; sie be­trach­te­ten die jun­ge Frau von der Sei­te, zwin­ker­ten lis­tig mit den Au­gen, wo­mit sie sa­gen woll­ten:

      »Don­ner­wet­ter! Das ist ein fri­sches Weib­chen, die Frau von Ge­or­ges Du­roy.«

      Die an­de­ren, die we­ni­ger Be­freun­de­ten, setz­ten sich an die Holz­ti­sche und rie­fen: »Ei­nen Li­ter! — Ei­nen Schop­pen! — Zwei Schnäp­se! — Ei­nen Bit­tern!« Dann be­gan­nen sie Do­mi­no zu spie­len, in­dem sie laut klap­pernd mit den schwarz­wei­ßen Kno­chen­stei­nen auf den Tisch schlu­gen.

      Mut­ter Du­roy ging im­mer­fort hin und her, be­dien­te die Kun­den, nahm das Geld von ih­nen und wisch­te mit ih­rem Jam­mer­blick, den Tisch mit dem Zip­fel ih­rer blau­en Schür­ze ab.

      Der Rauch der Ton­pfei­fen und der bil­li­gen Zi­gar­ren er­füll­te den Raum. Ma­de­lei­ne be­gann zu hus­ten und frag­te:

      »Wol­len wir nicht ge­hen? Ich kann es nicht mehr aus­hal­ten.«

      Die Mahl­zeit war noch nicht be­en­det, und der alte Du­roy war un­zu­frie­den. Da stand sie auf und setz­te sich auf einen Stuhl vor der Tür auf der Stra­ße und war­te­te, bis ihr Schwie­ger­va­ter und Gat­te ihre Schnäp­se und Kaf­fee zu Ende ge­trun­ken hat­ten.

      Ge­or­ges kam gleich zu ihr her­aus:

      »Wol­len wir et­was nach der Sei­ne hin­un­ter?« frag­te er.

      Sie nahm den Vor­schlag mit Freu­den an.

      »Ach ja, ge­hen wir.«

      Sie gin­gen den Berg hin­un­ter, mie­te­ten sich ein Boot in Crois­set und ver­brach­ten den Rest des Nach­mit­tags an den Ufern ei­ner In­sel un­ter den Wei­den. Sie wur­den schläf­rig von der mil­den Früh­lings­wär­me und, ge­wiegt von den leich­ten Wel­len des Flus­ses, schlum­mer­ten sie all­mäh­lich ein.

      Als es dun­kel wur­de, stie­gen sie wie­der hin­auf.

      Das Abendes­sen beim Schein ei­ner Ker­ze war für Ma­de­lei­ne noch pein­li­cher als das Mit­ta­ges­sen. Der Va­ter Du­roy war halb be­trun­ken und sprach nicht mehr, und die Mut­ter hat­te ih­ren mür­ri­schen Ge­sichts­aus­druck nicht ab­ge­legt.

      Das spär­li­che Licht warf auf die grau­en Mau­ern die Schat­ten der Köp­fe mit rie­si­gen Na­sen und maß­lo­sen Ge­bär­den. Von Zeit zu Zeit, so­bald je­mand sich um­dreh­te und sein Ge­sicht der gel­ben, zit­tern­den Flam­me nä­her­te und sein Pro­fil dar­bot, sah man eine Rie­sen­hand eine Ga­bel, die wie eine Heu­ga­bel aus­sah, zum Mun­de füh­ren, der dem Maul ei­nes Un­ge­heu­ers glich.

      So­bald die Mahl­zeit zu Ende war, zog Ma­de­lei­ne ih­ren Mann ins Freie hin­aus, um nicht in der düs­te­ren Stu­be blei­ben zu müs­sen, wo es nach al­tem Ta­baks­qualm und ver­schüt­te­tem Wein roch.

      Als sie drau­ßen wa­ren, sag­te er:

      »Du lang­weilst dich schon.«

      Sie woll­te wi­der­spre­chen, aber er un­ter­brach sie:

      »Nein, ich habe es wohl be­merkt. Wenn du willst, fah­ren wir schon mor­gen wie­der ab?«

      »Ja, ich möch­te gern«, flüs­ter­te sie.

      Sie schrit­ten lang­sam vor­wärts. Es war eine mil­de Nacht und in ih­rem tie­fen, lieb­ko­sen­den Schat­ten glaub­te man al­ler­lei leich­tes Geräusch zu hö­ren, ent­we­der eine Art Knis­tern oder ein lei­ses At­men. Sie wa­ren jetzt in eine schma­le Al­lee sehr ho­her Bäu­me ge­langt, rechts und links um­ge­ben von un­durch­dring­li­chem Dickicht.

      »Wo sind wir?« frag­te sie.

      »Im Wald« ant­wor­te­te er.

      »Ist er groß?«

      »Sehr groß, ei­ner der größ­ten in Frank­reich.«

      Es roch nach Erde, nach Bäu­men und Moos. Der fri­sche und zu­gleich wel­ke Duft des dich­ten Wal­des, der von dem Saft der Knos­pen und den fau­len­den Blät­tern des Dickichts stamm­te, schi­en in die­ser Al­lee so ru­hig und un­be­weg­lich zu schwe­ben. Ma­de­lei­ne blick­te em­por und sah die Ster­ne zwi­schen den Wip­feln der Bäu­me; und ob­wohl kein lei­ses­ter Luft­zug die Baum­zwei­ge be­weg­te, fühl­te sie doch um sich das un­be­stimm­te Rau­schen des Blät­ter­mee­res. Ein selt­sa­mer Schau­er flog über ihre See­le und lief dann über ihre Haut. Eine Angst be­klemm­te ihr Herz. Wa­rum? Sie wuss­te es nicht, aber sie hat­te das Ge­fühl, als wäre sie um­ringt von Ge­fah­ren und ver­lo­ren. Sie fühl­te sich ver­las­sen, ganz al­lein auf die­ser Welt un­ter der grü­nen Wöl­bung, die oben rausch­te.

      »Ich fürch­te mich et­was«, mur­mel­te sie. »Ich möch­te zu­rück.«

      »Gut, keh­ren wir um.«

      »Und … mor­gen rei­sen wir wie­der nach Pa­ris?«

      »Ja, mor­gen.«

      »Mor­gen früh?«

      »Auch schon mor­gen früh, wenn du willst.«

      Sie kehr­ten zu­rück. Die bei­den Al­ten hat­ten sich schon zu Bett be­ge­ben. Ma­de­lei­ne schlief schlecht. Sie er­wach­te fort­wäh­rend von den un­ge­wohn­ten Geräuschen der Nacht, dem Schrei der Eule, dem Grun­zen des Schwei­nes, das in ei­nem Stall hin­ter der Wand ein­ge­sperrt war, und dem Krä­hen des Hah­nes, das schon um Mit­ter­nacht be­gann. Beim ers­ten Mor­gen­däm­mern war sie schon auf und rei­se­fer­tig.

      Als Ge­or­ges sei­nen El­tern mit­teil­te, dass er schon heu­te ab­rei­sen müss­te, wa­ren sie bei­de be­trof­fen, dann aber be­grif­fen sie, wo­her die­se Ab­sicht kam.

      Der Va­ter frag­te ein­fach:

      »Wer­den wir dich bald wie­der­se­hen?«

      »Aber na­tür­lich. Im Lau­fe des Som­mers.«

      »Na, dann umso bes­ser.«

      Die Alte brumm­te:

      »Ich wün­sche dir, dass du nicht zu be­reu­en brauchst, was du ge­tan hast.«

      Er schenk­te ih­nen zwei­hun­dert Fran­cs, um ih­ren Är­ger zu be­sänf­ti­gen, und als die Drosch­ke, die ein Dorf­jun­ge ge­holt hat­te, um zehn Uhr er­schi­en, um­arm­te das jun­ge Paar die al­ten Leu­te und fuhr da­von.

      Als sie den Berg hin­un­ter­fuh­ren, sag­te Du­roy la­chend:

      »Siehst du, ich habe dich ge­warnt. Ich hät­te dich nicht mit Herrn und Frau Du Roy de Can­tel, Va­ter und Mut­ter zu­sam­men­brin­gen müs­sen.«

      Sie be­gann auch zu la­chen und ent­geg­ne­te:

      »Ich freue mich jetzt sehr dar­über; es sind bra­ve Leu­te und ich be­gin­ne, sie gern zu


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