Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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      Sie fand schar­fe Wen­dun­gen und gif­ti­ge Bos­hei­ten, um den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten zu tref­fen. Sie ver­quick­te, wie es nur eine Frau ver­mag, spöt­ti­sche Be­mer­kun­gen über sein Ge­sicht mit de­nen über sei­ne Po­li­tik in so ko­mi­scher und geist­rei­cher Wei­se, dass man la­chen und zu­gleich die Rich­tig­keit und Schär­fe ih­rer Beo­b­ach­tung bil­li­gen muss­te. Du Roy setz­te zu­wei­len ei­ni­ge Zei­len hin­zu, die die Trag­wei­te und Wir­kung des An­griffs ver­tief­ten und ver­schärf­ten. Er ver­stand sich vor­treff­lich auf die Kunst, ver­steck­te und zwei­deu­ti­ge Bos­hei­ten an­zu­brin­gen; er hat­te es ge­lernt, als er den Nach­rich­ten­teil re­di­gier­te; und wenn eine Tat­sa­che, die Ma­de­lei­ne für un­an­fecht­bar hielt, ihm zwei­fel­haft oder ge­fähr­lich er­schi­en, so ließ er sie nur ah­nen und brach­te es meis­ter­haft fer­tig, sie dem Le­ser im Geis­te noch schär­fer ein­zu­prä­gen, als wenn er et­was Po­si­ti­ves be­haup­tet hät­te.

      Als der Ar­ti­kel be­en­det war, las ihn Ge­or­ges laut und pa­the­tisch vor. Sie fan­den ihn bei­de aus­ge­zeich­net und lä­chel­ten sich über­rascht und ent­zückt zu, als hät­ten sie sich ein­an­der of­fen­bart. Be­wun­dernd und zärt­lich sa­hen sie sich in die Au­gen und dann um­arm­ten sie sich stür­misch, heiß und lei­den­schaft­lich. Du Roy nahm die Lam­pe:

      »Und nun ins Bett­chen«, sag­te er mit ei­nem glü­hen­den Blick.

      Sie ant­wor­te­te:

      »Ge­hen Sie vor­an, mein Ge­bie­ter, und be­leuch­ten Sie mir den Weg.«

      Er ging vor­an und sie folg­te ihm ins Schlaf­zim­mer, da­bei kit­zel­te sie ihn mit den Fin­gern zwi­schen Na­cken und Kra­gen, da­mit er ra­scher ge­hen soll­te, denn die­se Art Lieb­ko­sung konn­te er nicht ver­tra­gen.

      Der Ar­ti­kel er­schi­en mit der Un­ter­schrift »Ge­or­ges Du Roy de Can­tel« und er­reg­te großes Auf­se­hen. In der Kam­mer gab es eine stür­mi­sche Sit­zung. Va­ter Wal­ter be­glück­wünsch­te den Ver­fas­ser und über­trug ihm die po­li­ti­sche Re­dak­ti­on der Vie Françai­se. Die Lo­kal­nach­rich­ten über­nahm wie­der Bois­renard.

      Es be­gann nun­mehr in der Zei­tung ein ge­schick­ter und hef­ti­ger Feld­zug ge­gen das zu­stän­di­ge Mi­nis­te­ri­um. Die An­grif­fe wa­ren ge­wandt und schlau ge­führt und auf Tat­sa­chen auf­ge­baut, bald iro­nisch, bald ernst, bald hu­mo­ris­tisch, bald gif­tig; sie tra­fen scharf und si­cher, so­dass alle Welt er­staunt war. Die an­de­ren Blät­ter zi­tier­ten fort­wäh­rend die Vie Françai­se und druck­ten gan­ze Spal­ten ab, und die ein­fluss­rei­chen, po­li­ti­schen Macht­ha­ber er­kün­dig­ten sich, ob man die­sen un­be­kann­ten, er­bit­ter­ten Feind nicht mit Hil­fe ei­ner Prä­fek­tur zum Schwei­gen brin­gen könn­te.

      In po­li­ti­schen Krei­sen wur­de Du Roy bald eine viel­ge­nann­te Per­sön­lich­keit.

      Er spür­te sei­nen wach­sen­den. Ein­fluss an den Hän­de­drücken und der Art des Hut­ab­neh­mens. Und sei­ne Frau wie­der­um er­füll­te ihn mit Stau­nen und Be­wun­de­rung durch den Scharf­sinn ih­res Geis­tes, die Ge­schick­lich­keit ih­rer In­for­ma­tio­nen und die Zahl ih­rer Be­kannt­schaf­ten.

      Wenn er nach Hau­se kam, fand er stets in sei­nem Sa­lon ir­gend­ei­nen Se­na­tor oder Ab­ge­ord­ne­ten, einen hö­he­ren Staats­be­am­ten oder Ge­ne­ral, die mit Ma­de­lei­ne wie mit ei­ner al­ten Freun­din ernst und ver­trau­lich ver­kehr­ten. Wo hat­te sie alle die­se Leu­te ken­nen­ge­lernt? In der Ge­sell­schaft, mein­te sie. Aber wie war es ihr ge­lun­gen, ihr Ver­trau­en und ihre Freund­schaft zu ge­win­nen? Das konn­te er nicht be­grei­fen.

      »Sie wäre ein schlau­er und tüch­ti­ger Di­plo­mat«, dach­te er.

      Oft kam sie zu spät zum Es­sen und stürz­te dann au­ßer Atem rot und er­regt ins Zim­mer, und ehe sie noch den Schlei­er ab­ge­legt hat­te, sag­te sie:

      »Heu­te habe ich was In­ter­essan­tes. Den­ke dir, der Jus­tiz­mi­nis­ter hat zwei Rich­ter er­nannt, die Mit­glie­der der ge­misch­ten Kom­mis­si­on wa­ren. Wir wer­den ihm eins ver­set­zen, an das er lan­ge den­ken wird.«

      Und der Mi­nis­ter be­kam eins ver­setzt, und am nächs­ten Tage eins und am über­nächs­ten noch eins. Der Ab­ge­ord­ne­te Lar­oche-Ma­thieu, der je­den Diens­tag in der Rue Fon­taine zu Mit­tag aß — nach­dem Graf Vau­drec am Tage vor­her den An­fang ge­macht hat­te —, schüt­tel­te kräf­tig und ener­gisch der Frau und dem Gat­ten die Hand und war au­ßer sich vor Freu­de. Er wie­der­hol­te im­mer­fort:

      »O Gott, das ist ein rich­ti­ger Feld­zug. Wenn wir jetzt kei­nen Er­folg ha­ben …«

      Er hoff­te sehr, auf die­se Wei­se das Por­te­feuil­le des Aus­wär­ti­gen zu er­gat­tern, auf das er schon lan­ge hin­ziel­te.

      Er war ei­ner von die­sen Po­li­ti­kern mit meh­re­ren Ge­sich­tern ohne Über­zeu­gung, ohne große Fä­hig­kei­ten, ohne Mut und ernst­li­che Kennt­nis­se; er war Pro­vinz­ad­vo­kat und galt in ei­ner De­par­te­ment­haupt­stadt als hüb­scher Mann; er ver­stand es, durch alle Par­tei­en sich durch­zu­schlän­geln, er war eine Art von re­pu­bli­ka­ni­scher Je­suit, ein li­be­ra­ler Pilz von höchst zwei­fel­haf­tem We­sen, wie sie zu Hun­der­ten auf dem volks­tüm­li­chen Dün­ger­hau­fen des all­ge­mei­nen Stimm­rechts ge­dei­hen. Sei­ne ma­chia­vel­lis­ti­sche Bau­ern­schlau­heit ließ ihn un­ter sei­nen Kol­le­gen, un­ter die­sen ent­gleis­ten und ge­schei­ter­ten Exis­ten­zen, aus de­nen Ab­ge­ord­ne­te ge­wählt wer­den, als stark und ge­wandt er­schei­nen. Er war ele­gant, kor­rekt, ge­müt­lich und lie­bens­wür­dig ge­nug, um Kar­rie­re zu ma­chen. In der Ge­sell­schaft hat­te er Er­folg, al­ler­dings in der ziem­lich wahl­los durch­ein­an­der ge­misch­ten und we­nig vor­neh­men Ge­sell­schaft der heu­ti­gen ho­hen Staats­be­am­ten.

      Man sag­te über­all von ihm: »Lar­oche wird ein­mal Mi­nis­ter.« Und er war ge­nau so fest wie die an­de­ren über­zeugt, dass er ein­mal Mi­nis­ter wür­de.

      Er war Haupt­ak­tio­när der Zei­tung des Va­ter Wal­ter und war fast an al­len sei­nen fi­nan­zi­el­len Un­ter­neh­mun­gen be­tei­ligt.

      Du Roy un­ter­stütz­te ihn ver­trau­ens­voll mit et­was un­kla­ren Hoff­nun­gen für die spä­te­re Zu­kunft. Üb­ri­gens setz­te er da­mit nur das Werk fort, das Fo­res­tier be­gon­nen hat­te. Die­sem hat­te Lar­oche-Ma­thieu die Ehren­le­gi­on ver­spro­chen, so­bald der Tag des Sie­ges ge­kom­men sei. Nun muss­te der Or­den auf die Brust des neu­en Gat­ten von Ma­de­lei­ne über­ge­hen. Das war al­les. Sonst hat­te sich ei­gent­lich nichts ge­än­dert. Man emp­fand es so deut­lich, dass sich nichts ge­än­dert hat­te, dass Du Roys Kol­le­gen ihn zu ne­cken be­gan­nen, was ihm auf die Dau­er läs­tig wur­de.

      Man nann­te ihn nur noch Fo­res­tier. Sooft er ins Re­dak­ti­ons­bü­ro kam, rief je­mand: »Sag’ mal, Fo­res­tier.«

      Er tat so, als ob er nicht hör­te und be­gann, die Brie­fe aus dem Schub­kas­ten her­aus­zu­su­chen. Die­sel­be Stim­me wie­der­hol­te noch lau­ter:

      »He, Fo­res­tier!«

      Und er ver­nahm ein un­ter­drück­tes Ge­läch­ter.

      Du Roy ging nach dem Büro des Di­rek­tors, und der, wel­cher ihn eben ge­ru­fen hat­te, trat ihm in den Weg und sag­te:

      »Oh,


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