Ellenbogenfreiheit. Daniel C. Dennett

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Ellenbogenfreiheit - Daniel C. Dennett


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vereinfachend, philosophisch naiv und letztlich unberechtigt angesichts der angeführten wissenschaftlichen Belege. Sowohl Erasmus als auch ich selbst benutzen einfache Gedankenexperimente – die ich Intuitionspumpen nenne –, um begriffliche Probleme in den von uns kritisierten Positionen aufzudecken.2 Manche dieser Wissenschaftler meinen, ihre angeblichen Entdeckungen würden etablierte repressive Ideen über den Haufen werfen und die Menschheit von der Tyrannei überholter Autoritäten befreien, so wie es auch Luther glaubte. Das weist Erasmus und mir die weniger ergreifende Rolle des Reformers zu, der einen faden Kompromiss verteidigt, der vieles von derjenigen Tradition erhalten möchte, die die Opposition umwälzen will. Diese Ähnlichkeiten sind aufschlussreich und etwas unbequem für mich, wie ich erklären werde, aber sie verblassen neben der festen Überzeugung, die Erasmus und ich teilen: Wir sind beide der Ansicht, dass die Lehrmeinung, der freie Wille sei eine Illusion, aller Wahrscheinlichkeit nach tiefgreifende, bedauerliche soziale Konsequenzen nach sich zieht, wenn sie nicht konsequent widerlegt wird.

      Für mich bringt dies eine neue Herausforderung mit sich: Erasmus lag offenbar falsch mit seiner Vorhersage, dass in Luthers Position Unheil lauere. Werden sich meine Befürchtungen nicht als ebenso schwarzseherisch erweisen? Ich denke nicht, da unsere technologische Welt es uns erlaubt, uns Möglichkeiten auszudenken – und ernst zu nehmen –, die von keinem Angehörigen der Welt der Renaissance von Luther und Erasmus ernsthaft hätten in Erwägung gezogen werden können. Die Wissenschaft hat sich als viel eindrucksvollere Autorität erwiesen, als es die Bibel je sein könnte!

      Eines Tages sagte eine brillante Neurochirurgin zu ihrem Patienten, dem sie gerade in ihrem Hochglanz-Hightech-OP etwas implantiert hatte:

      „Das Gerät, das ich Ihnen gerade implantiert habe, kontrolliert nicht nur Ihre Zwangsstörung; es kontrolliert alle Ihre Entscheidungen, dank unseres Hauptkontrollsystems, das per Funkkontakt mit Ihrem Mikrochip 24 Stunden am Tag kommuniziert. Mit anderen Worten, ich habe Ihren bewussten Willen ausgeschaltet; Ihr Gefühl, einen freien Willen zu haben, wird fortan eine Illusion sein.“

      Tatsächlich hatte sie nichts dergleichen getan; es war lediglich eine Lüge, die sie ihm erzählte, um zu sehen, was passieren würde. Es funktionierte; der arme Geselle ging hinaus in die Welt, davon überzeugt, kein verantwortlicher Akteur, sondern bloß eine Marionette zu sein, und sein Verhalten begann dies zu belegen: Er wurde verantwortungslos, aggressiv, nachlässig, ließ seinen schlimmsten Launen freien Lauf, bis er gefasst und vor Gericht gestellt wurde. In seiner eigenen Verteidigung beteuerte er leidenschaftlich seine fehlende Verantwortlichkeit aufgrund des Implantats in seinem Gehirn: „Meine Neurochirurgin hat mich darüber informiert, dass sie von nun an all meine Gedanken kontrolliert.“ Die Neurochirurgin gab im Zeugenstand zu, diese Dinge gesagt zu haben: „Aber ich habe ihn nur ein bisschen durcheinanderbringen wollen – ein Schabernack, das ist alles. Ich habe nie gedacht, dass er mir glauben würde!“

      „Die Schlussfolgerung, die die Menschen draußen, außerhalb der Laborwände, ziehen, lautet: Das ist doch eine abgekartete Sache! Wir sind alle verkabelt! Das – und: Beschuldigen Sie nicht mich! Ich bin falsch verkabelt!“

      Falsch verkabelt? Wie wäre es dann, richtig verkabelt zu sein – oder haben die Wissenschaftler „herausgefunden“, dass in Sachen moralische Verantwortung keiner richtig verkabelt ist oder sein könnte?

      Ich glaube, Erasmus hätte dieses Gedankenexperiment gefallen, da es auf so dramatische Weise sein eigenes Hauptanliegen illustriert: „Es gibt gewisse Dinge derart, daß es, auch wenn sie wahr wären und gewußt werden könnten, dennoch nicht förderlich wäre, sie gemeinen Ohren preiszugeben.“ Er erläutert:

      Erasmus schreckt nicht vor der offenkundigen Schlussfolgerung zurück:

      Diese bemerkenswerte Passage verlangt zwei Bemerkungen: Erstens, verstrickt sich Erasmus hier nicht in einen pragmatischen Widerspruch, indem er einen Essay veröffentlicht, eine Unterredung gar, die die Empfehlung, über dieses Thema nur mit gedämpfter Stimme hinter verschlossenen Türen zu disputieren, jedermann preisgibt? (Eltern wissen, ein vor den Kindern ausgesprochenes „Psst! Nicht vor den Kindern!“ weckt mit Sicherheit deren Neugier auf das, wovor sie beschützt werden sollen.) Auf den ersten Blick scheint die Antwort Nein zu lauten, da die Streitschrift in lateinischer Sprache publiziert wurde, und des Lateinischen waren nur „die Studierten“ mächtig, ebendie Elite, der man zutraute, dass diese Themen innerhalb der theologischen Seminare verblieben. Aber wir dürfen nicht


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