Der graue Herr. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.gibt nur eine einzige Frage, die trotz Frau Sandners Schweigen über die näheren Umstände ihrer Tat einwandfrei geklärt ist und die wir jetzt noch einmal prüfen wollen — die Frage: Was wollte Frau Sandner in dieser Winternacht in dem einsamen, unbewohnten haus?“
Er wandte sich an den Rechtsanwalt Morell:
„Das war der Grund, weswegen ich Ihre verehrte Frau Gemahlin um ihren Besuch bitten liess!“
„Ich habe sie mitgebracht! Sie ist draussen!“
„Dann sagen Sie der gnädigen Frau, ich wäre ihr dankbar, wenn sie sich jetzt hereinbemühen wollte!“
4.
Die vierte und vorläufig letzte Niederschrift des Staatsanwalts Sigrist
Wie so oft in guten Ehen, ergänzten sich auch bei Morells zwei grundverschiedene Hälften zu einem erfreulichen Ganzen. Schon äusserlich waren er und sie das gerade Gegenteil. Frau Lisbeth Morell, die leise eintrat, in respektvoller Haltung sich dem greisen Staatspräsidenten näherte, war so blassblond wie ihr Mann tief brünett, die Augen von einem unbestimmten, etwas matten Blau statt seiner schwarzen Irrlichter, schmal und schmächtig von Gestalt, in der Kopfneigung und dem schwachen Lächeln, mit dem sie uns begrüsste, von einer gewissen damenhaften Kühle, im Gegensatz zu ihm, bei dem das Barometer immer auf Sturm stand.
Sie galt für eine hübsche Frau. Sie war es auch. Gewiss. Aber in einer unauffälligen, etwas blässlichen und nüchternen Art. Sie hinterliess keinen rechten Eindruck. Man konnte sich vorstellen, dass man ihr Äusseres rasch wieder vergass, was einem bei ihm, Paul Morell, nicht leicht passieren konnte. Wahrscheinlich brauchte er bei seinem Temperament solch eine gleichmässige, fast ein wenig langweilige Frau. Eine andere hätte es mit dem aufgeregten Menschen vielleicht gar nicht ausgehalten. Die zwei aber kamen seit Jahren vortrefflich miteinander aus.
„Bitte — nehmen Sie Platz, gnädige Frau! Herrn Staatsanwalt Sigrist kennen Sie ja durch seine Gattin, Ihre Schulfreundin! Und nun erzählen Sie mir, bitte, ganz freimütig — ganz menschlich, was Ihnen von dem Zusammensein mit Margot Sandner an dem verhängnisvollen Abend in Erinnerung ist! Es ist kein Verhör! Es ist ein Gefallen, den Sie mir persönlich und nur mir erweisen, indem Sie meine Einsicht in diese dunkle Geschichte aus Ihrer eigenen Wahrnehmung heraus unterstützen!“
Ich wusste schon aus der Prozessverhandlung seinerzeit: Es war Frau Morell damals so ergangen, wie wohl fast jeder Dame der Gesellschaft, die sich plötzlich als Zeugin vor Gericht, vor den Schranken und Talaren, in dem überfüllten Saal als Mittelpunkt von Hunderten von Blicken empfindet und weiss, dass Hunderte von Ohren das mit anhören, was sie sagt. Jede Dame fühlt sich da befangen, spricht stockend und mit Pausen und Wiederholungen. Jetzt, dem Herrn Staatspräsidenten gegenüber, würde diese Hemmung durch das Ungewohnte wahrscheinlich eine ähnliche sein. Ich tat daher, was ich häufig im Gerichtssaal tat. Ich zog mein Taschenbuch hervor und stenographierte Frau Morells Bericht mit, um mir von ihm ein ganz klares Bild festzuhalten. Ich hatte meinen Entschluss nicht zu bereuen. Denn es wäre sonst nicht leicht gewesen, Frau Morells langsamer und umständlicher, etwas preziöser Art des Sprechens zu folgen. Es hatte etwas Ledernes an sich. Es passte zu ihrem ganzen Wesen. Hier ihre Bekundungen mit den Zwischenfragen des Herrn Staatspräsidenten.
5.
Lisbeth Morells Bericht
„Ja — Herr Präsident — die Margot und ich — wir waren doch von klein auf dick befreundet — nicht? Wo wir doch schon zusammen in die Schule gegangen sind ... Ja — und nun — so als junge Frauen — da haben wir erst recht jeden Tag zusammengesteckt ... Ich kann wohl sagen: Ich war der Margot ihre einzige wirkliche Vertraute. Ich hatte vollen Einblick in ihre Ehe ...“
„Und wie war denn die Ehe?“
„Da — da kann ich nur die Hand aufs Herz legen und beteuern, Herr Präsident: Fabelhaft glücklich! Wie das unheil passierte — da war die Margot gerade ein Jahr verheiratet — nicht? Noch kein Baby in Sicht. Sie konnte alles auf ihren Mann konzentrieren. Na — und das tat sie ja wohl! Angebetet hat sie ihn. Er erschien ihr wie ein Wunder der Schöpfung. Da muss man ja nun sagen: Die Margot hatte immer eine abenteuerliche Phantasie. Bei der wurde immer alles im Handumdrehen romantisch. Nun gar ihr Mann!“
„Aber er war doch eine fesselnde Persönlichkeit?“
„Das muss ihm der Neid lassen! Sehr elegant und sehr liebenswürdig. Und das kann man ja wohl gestehen: er sah sehr gut aus. Geld spielte bei Sandner überhaupt keine Rolle. Damit hat er seine Frau überschüttet. Er gönnte ihr jeden Luxus. Überhaupt: Er war immer direkt riesig nett zu ihr!“
„... so dass es sich daraus erklärt, dass Frau Sandner einen wahren Kult mit ihm trieb?“
„Sie hatte ja auch enormes Glück — nicht? — mit der Partie! Sie war doch schon gehörig über die Mitte der Zwanzig — kein Geld — der Vater Gymnasiallehrer — das Mädel hatte doch nichts als ihr bisschen Kunstgewerblerei — na — damit lockt man doch heutzutage auch keinen Hund vom Ofen — ja — und wenn man auch Freundin ist —, aber das wusste die Margot ja schliesslich selber am besten: Sie war doch nur gerade so noch knapp hübsch — mehr nicht. Das Schönste an ihr waren die grossen dunklen Augen. Vielleicht haben die’s dem Herrn Sandner angetan? Also, jedenfalls hat er sie geheiratet. Er hätte ganz andere Partien machen können — in der Stadt — sehr reiche Partien — ich könnte Namen nennen — aber ich will diskret sein. — Da ist zum Beispiel die eine junge Witwe — die kann sich heute noch nicht trösten — die Trude Jürgens ...“
„Sie wollten ja diskret sein, gnädige Frau!“
„Ja — richtig! Also — gewundert haben wir uns schon alle, dass Sandner gerade auf Margot verfallen ist. Aber gegönnt habe ich ihr als meiner Freundin natürlich das grosse Los von Herzen!“
„Kannten Sie Sandner schon früher?“
„Nein. Er hat ja, wie ich noch ein Backfisch war, die Stadt verlassen und ist ins Ausland gegangen. In Amerika — da soll er doch tolle Reichtümer gesammelt haben — nicht? Denn von Haus aus hatte er doch wohl nichts. Sein Vater hat ja hinter dem Postschalter gesessen und Briesmarken verkauft.“
„Also von irgendeiner auch nur leisesten Trübung der Ehe war Ihnen bis zu dem fraglichen Abend nichts bekannt?“
„Von Trübung kann man da wohl nicht redden, Herr Präsident, wenn ich das untertänigst sagen darf. Nur von den regelmässigen Gewittern!“
„Gewittern?“
„Ja doch, Herr Präsident! Ich meine die Eifersuchtsszenen. Darin war die Margot gross. Sie hat ihren Mann wahnsinnig geliebt. Gerade darum war sie noch wahnsinniger eifersüchtig. Das kam von ihrer Überspanntheit. Rein verdreht war sie dann — nicht?“
„So ... so ...“
„Sie hatte dann einen reinen Todeskummer im Gesicht. Halb hat man lachen müssen und halb tat sie einem leid. Ich hab’ immer getan, was ich konnte, um die nervöse Frau zu beruhigen! Ich bin doch mehr auf das Praktische angelegt — nicht? Da wurde sie dann allmählich wieder Mensch.“
„Gab ihr Sandner denn wirklich Grund zur Eifersucht?“
„Gott — Herr Präsident: Ein bisschen leichtlebig — ja — das war er ja wohl. Das lag in seiner Art. Er hat den Frauen gefallen und war ja selber auch kein Unmensch. Er war ja auch oft auf weiten Geschäftsreisen. Aber trotzdem, Herr Präsident: Ich bin heute noch felsenfest davon überzeugt: Die Margot hat in ihrer Phantastik immer nur Gespenster gesehen!“
„Von wirklichen — hm — sagen wir Seitensprüngen Sandners ist Ihnen nichts bekannt?“
„Nicht das geringste! Die Margot darf man da nicht ernstnehmen. Die ist viel zu exaltiert. Die macht immer gleich aus einer Mücke einen Elefanten. So war es ja auch an dem Unglückstag!“
„Bitte — erzählen Sie, gnädige Frau, was sich da ereignete.“
„Also