Der graue Herr. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Der graue Herr - Rudolf Stratz


Скачать книгу
sofort zu mir!‘ Na — ich kenne doch meine Margot! Also ich telephoniere nur schleunigst meinem Mann ins Büro: ,Du — Schatz — ich muss fort! Die Margot hat wieder einmal ihren Anfall!‘ — und dann spornstreichs hin zu ihr. Natürlich — das kannt’ ich doch schon —, da liegt die Margot auf dem Sofa, blass wie eine Leiche, mit ganz starren, verzweifelten Augen und in der geballten Faust einen zerknitterten Brief! Mit denen werden wir ja seit Jahr und Tag in der Stadt behelligt. Ich weiss nicht, wozu die Polizei eigentlich da ist. Es gibt doch Schreibsachverständige. Freilich: Heutzutage tippen sie die anonymen Briefe auf der Schreibmaschine. So der auch!

      Ich hab’ nun wirklich eine strafende Miene aufgesetzt, Herr Präsident, als die gesetzte und vernünftige Freundin, und zu der Margot gesagt: ,Schäm’ dich! Auf der Stelle zerreisst du das Ding und schmeissst es in den Papierkorb. So was liest ein anständiger Mensch gar nicht erst!‘ Aber sie gibt mir den Wisch wortlos zu lesen. Ich weiss noch genau, was darin stand: ,Liebe arme gnädige Frau! Heute abend um elf Uhr sind Herr Sandner und seine Freundin Luise Heidebluth draussen in Ihrer leeren Villa. Vielleicht überzeugen Sie sich selbst! Eine, die es gut mit Ihnen meint!‘ “

      „Hm ... hm ... Ja ... Sie kennen dies Fräulein Heidebluth, gnädige Frau?“

      „Na — die kennt jeder! Ich meine: Alle Damen kennen sie. Sie hat doch den elegantesten Modesalon der Stadt. Sie räubert einen aus mit ihren Preisen. Die halbe Stadt sitzt bei ihr in der Kreide. Aber sie hat einen Schick ...“

      „Was ist das nun für eine Persönlichkeit?“

      „Na — wie eben die Inhaberinnen von solchen ganz feinen Modesalons sind. Sie ist selbst sehr elegant und weltsicher ... Sie hat eine Liebenswürdigkeit, einem die Sachen aufzuschwatzen ... Schmeicheln kann sie — na, ich danke! ... Ganz jung ist sie nicht mehr — so Anfang dreissig — auffallend hübsch und distinguiert und fabelhaft gewachsen. Eine grosse schlanke Person. Sie hat ja wohl auch als Mannequin angefangen!“

      „Die Luise Heidebluth hat bei ihrer Vernehmung angegeben, dass sie von der ganzen Sache nichts wisse und an dem fraglichen Abend ihre Wohnung überhaupt nicht verlassen habe. Diese Aussage hat sie vor Gericht beschworen. Sie scheidet also aus dem Fall aus. Aber wie ist denn sonst ihr Ruf?“

      „Ja — da kann man mich totschlagen, aber ich habe nie etwas Nachteiliges von ihr gehört. Ich habe es auch gleich der Margot gesagt: ,Nun stelle dir doch bloss die Heidebluth vor! Die ist doch viel zu gerissen! die ist doch viel zu vorsichtig für so wilde Sachen! Die wird doch nicht wegen solcher Abenteuer ihr schönes Geschäft und ihre feine Damenkundschaft aufs Spiel setzen!‘ Aber die Margot war nicht umzustimmen. Wenn sie in ihrer blinden Eifersucht einmal etwas im Kopf hatte, dann war sie unzurechnungsfähig! Nicht?

      Sie ahne das schon lange, sagte sie. Letzte Weihnachten — da habe ihr Mann ihr bei der Heidebluth einen pompösen Sealskinmantel gekauft, und die Heidebluth habe solche guten Kunden wie sie persönlich bedient — ja — und da habe sie, die Margot, wohl bemerkt, dass diese gewandte, liebenswürdige, bildhübsche Heidebluth alle Minen springen liess und dass Blicke hin und her Feuer fingen. Sie habe damals schon in einer verzweifelten Stimmung den Laden verlassen und sich erst allmählich im Lauf der Zeit beruhigt. Aber nun sei es ja sonnenklar: Damals habe es angefangen, und nun sei es glücklich so weit.“

      „Luise Heidebluth hat unter Eid erklärt, sie habe Herrn Sandner als gelegentlichen Kunden in ihrem Laden gekannt, sonst gar nicht!“

      „Ja — aber erzählen Sie doch mal das der Margot, Herr Präsident! Die war gar nicht zu beruhigen. Sie blieb dabei: Nun müsse sie Gewissheit haben! Sie werde heute nacht nach der Villa hinausfahren. Und ich, ihre beste Freundin, müsse sie begleiten!... Herr Präsident: Sehen Sie mich an! Ich bin, weiss Gott, keine abenteuerliche Natur! Mir war es direkt graulich — nicht? —, dass wir zwei jungen Frauen allein bei Nacht und Nebel in die verlassene Vorstadt hinausfahren sollten! Ich konnte der Margot dort auch wenig helfen. Denn ich kannte mich in der Villa gar nicht aus. Ich war sehr selten da draussen gewesen. Die Villa liegt ja am Ende der Welt. Viel zu weit von unserer Wohnung in der Altstadt, wo mein Mann sein Büro hat. Man braucht förmlich eine Tagereise dorthin, wenn man nicht einen eigenen Wagen hat. Und den haben wir doch nicht. Mein Mann hat doch keine Zeit, viel herumzufahren. In den Sommermonaten, wenn die Margot da draussen war, ist sie doch jeden Tag in die Stadt gekommen zu Einkäufen und zur Schneiderin und ins Kino und so, und da haben wir uns dann immer getroffen!“

      „Also Sie rieten Frau Sandner ab?“

      „ ,Draussen stehst du dann glücklich vor einem verschlossenen, stockdunklen und totenstillen Haus, in dem natürlich keine Menschenseele ist‘, habe ich der Margot gepredigt, ,und wir können froh sein, wenn wir nicht noch tot daheim wieder ankommen!‘ Bei der Margot nur ein eigensinniges Kopfschütteln! Sie bleibt nun mal dabei! Eine andere als mich, ihre nächste Freundin, nahm sie auf diese Expedition nicht mit! Das wusste ich. Allein konnte ich die aufgeregte Frau doch die Fahrt ins Schwarze nicht machen lassen. Also fuhr ich am Abend in Gottes Namen mit. Wohl war mir dabei von vornherein nicht zumute! Das darf ich wohl sagen, Herr Präsident! Es war überhaupt noch ein Glück, dass ich mich ohne weiteres für die späte Nachtstunde frei machen konnte. Mein Mann war nämlich mit dem Abendzug nach Berlin gefahren, um dort am nächsten Morgen einen gerichtlichen Termin wahrzunehmen. Auf dem Kreuzplatz, ein paar Minuten von der Villa, liess die Margot ihren Wagen halten und stieg aus. Ihr Chauffeur ist solch ein neugieriger Peter. Der braucht nicht alles zu wissen. Wir mummten uns in unsere Pelze und gingen zu Fuss weiter. Es war eine kalte, taghelle Vollmondnacht. Alles um uns war ausgestorben. Im Winter wohnt kein Mensch draussen. Da kamen wir nun an Ort und Stelle.

      Ich bitte um Verzeihung! Ich rede immer so umständlich. Aber das liegt nun einmal in meiner Art. Mein Mann ist auch manchmal verzweifelt. Aber es ist doch wichtig, dass Herr Präsident die Örtlichkeit genau kennen — nicht? —, wo Sie doch nicht selber dort waren?“

      „Ja, bitte, gnädige Frau! Ich bin ganz Ohr!“

      „Nämlich — also die Villa — wie soll ich da sagen — das ist ein Eckhaus! Nach vorn, mit dem Haupteingang, geht sie auf die Gartenstrasse. Neben der Rückseite und dem grossen Park dahinter läuft die Elisenstrasse, so dass die beiden Strassen einen rechten Winkel bilden — nicht? —, in dem die Villa liegt. Ja — wir marschierten nun längs des Parkgitters die Elisenstrasse hinauf. Kein Mensch weit und breit. Nur weiter oben in der Elisenstrasse, nahe der Ecke, zu meiner grossen Beruhigung zwei Schutzleute. Die hielten da Wache. Ehe wir an die herankamen, sagte die Margot: ,Ich will allein in das Haus. Bleibe du hier in dem Mondschatten von dem dicken Baumstamm da stehen und warte, bis ich zurückkomm’!‘ — Gut! Ich machte halt, wo ich war — die Schutzleute haben mich da überhaupt nicht gesehen — und die Margot ging an ihnen vorbei und um die Ecke nach dem Vordereingang der Villa. Da schlug es drüben von der Johanniskirche gerade elf!“

      „Einen Moment, gnädige Frau! Von Ihrem Standpunkt aus konnten Sie die Rückseite der Villa und den Park deutlich überblicken?“

      „Es war fast so hell wie am Tag. Der Vollmond stand ganz mächtig am Himmel. Ich stehe und schaue nach den dunklen Fenstern der Villa und denke mir noch: ,Margot — wann wirst du endlich vernünftig werden? Und deswegen holt man sich hier eiskalte Füsse!‘ — da steht mir, ungelogen, plötzlich das Herz still! Auf der rückwärtigen Seite der Villa werden, gerade wie es elf schlägt und die Margot eben wahrscheinlich von vorn in das Haus tritt, zwei Fenster hell, und hinter den Scheiben steht ein Mann — und das ist Leopold Sandner!“

      „Sie haben ihn ganz unzweifekhaft erkannt?“

      „So wahr ich hier sitze, Herr Präsident! Ich habe es ja auch vor Gericht beschworen, dass er es war!“

      „Die beiden Schutzleute weiter oben in der Elisenstrasse konnten die Fenster nicht sehen?“

      „Nein. Die standen schon zu nahe an der Hausecke.“

      „Wie lange sahen Sie Sandner?“

      „Ach — ganz kurz! Es war, als hätte er nur schnell Licht gemacht, um die weissen Vorhänge an den beiden Fenstern herunterzulassen, wahrscheinlich weil er im Dunkeln die Schnurquasten nicht finden konnte. Gleich darauf knipste er wieder aus, und


Скачать книгу