Stadt, Land, Klima. Gernot Wagner

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Stadt, Land, Klima - Gernot Wagner


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      Abgesehen vom Wohnort – Land beziehungsweise Stadt – sind die beiden Szenarien fast gleich: Die Durchschnittsfamilien sind gleich groß, und sie leben den Umständen entsprechend ähnlich klimafreundlich.

      Der große Unterschied ist der konkrete Schauplatz. Das erste Szenario ist dabei eine „Vision“: So zu leben, wäre mithilfe heutiger Technologien bereits möglich. Die wenigsten tun es aber. Das zweite Szenario ist eine erweiterte „Version“ des heutigen Stadtlebens.

      Es geht nun zunächst noch nicht darum, den jeweiligen CO2-Fußabdruck dieser beiden Szenarien zu hinterfragen.

      Hier geht es um die Natur – also um die Frage: Welches der beiden Szenarien ist für die Natur besser verträglich?

      Naturschutz versus Klimaschmutz

      Der sogenannte „kalifornische Traum“, dass sich jede Familie ihr eigenes Einfamilienhaus, ein oder sogar zwei Autos und auch sonst alle Ressourcen anschafft, die man mit Geld kaufen kann, ist genau das: ein Traum, aus dem es so schnell wie möglich aufzuwachen gilt.

      Denn CO2-Emissionen sind nur eine Folge einer solchen Lebensweise, denen durch konsequente Klimapolitik möglicherweise sogar Einhalt geboten werden könnte. Doch selbst dann, wenn jedes Einfamilienhaus in ganz Kalifornien – und auch anderswo auf der Welt – durch ein ideales Passivhaus ersetzt würde: Es bliebe immer noch das Grundproblem, dass diese Häuser, egal wie sie ausgestaltet sind, enorm viel Platz verbrauchen.

      Um beim Beispiel Kalifornien zu bleiben: Die 40 Millionen Menschen, die hier wohnen, sind im Durchschnitt verhältnismäßig wohlhabend und progressiv eingestellt. Sie erleben mittlerweile jährlich immer größere Waldbrände.37 Ein Grund dafür heißt: Klimaschmutz – die immer glühendere Hitze. Doch ein weiterer wichtiger Grund ist, dass viele Wohnhäuser immer weiter in bisher unberührte Natur hinein errichtet werden.

      Egal also, wie CO2-neutral das Passivhaus auch sein mag: Die Vorstellung, dass jede Familie in einem Einfamilienhaus leben könnte, ist reine Fiktion. Das gilt für Kalifornien und die schier endlosen Ansammlungen von Einfamilienhäusern. Es gilt für die Vereinigten Staaten insgesamt. Und es gilt auch für Deutschland, Österreich, die Schweiz und ein jedes andere Land.

      Die aktuellen Zahlen zeichnen ein düsteres Bild für die Natur: In Deutschland etwa wurden im Zeitraum 2015 bis 2018 bundesweit täglich 56 Hektar Fläche an Ackerböden, Wald oder Grünland in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt. Im Jahr 2000 lag diese Zahl sogar noch bei etwa 129 Hektar pro Tag. Inzwischen gibt es zwar die Zielsetzung, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 20 bis 30 Hektar pro Tag zu senken.38 Doch die Umwandlung von Natur in bebaute Flächen geht damit trotz dieser ambitionierten Ziele weiter. Die einzige „nachhaltige“ Zahl wäre eine runde Null, wenigstens bezogen auf die Nettozahl, in welche auch die Rückwandlung von bebauten Flächen in Naturflächen miteinbezogen wird.

      Die Hinweise, dass es höchst an der Zeit wäre, den Bodenverbrauch – die Umwandlung von Grün in Grau oder Braun – zu stoppen, sind überdeutlich. Der jährlich herausgegebene Living-Planet-Report des WWF etwa, der den weltweiten Status der Tierwelt beschreibt, zeigt klar, dass hier Alarmstufe Rot herrscht – ähnlich wie auch beim Klima. Der WWF-Bericht verfolgt den Status der Populationen von 4000 Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien seit 1970. Das alarmierende Ergebnis: In diesen fünfzig Jahren sind die Populationen weltweit um insgesamt mehr als zwei Drittel (!) geschrumpft.39 Ein ähnlicher Befund gilt für Schmetterlinge (minus 50 Prozent seit 1990 in Europa), Hummeln (minus 50 Prozent seit 1974 in Nordamerika) und Insekten im Allgemeinen (40 Prozent sind vom Aussterben bedroht).40

      Die Natur ist am Rückzug: Wir befinden uns am Anfang des sechsten globalen Massenaussterbens.41 Ein wichtiger Grund dafür ist der Klimawandel. Ein ebenso wichtiger ist aber auch die globale Nutzung – der globale Missbrauch – von Land.42

      Der Biologe und Autor E. O. Wilson, der vor allem für seine Studien zu Ameisen weltbekannt ist, schlägt daher vor: „Die Hälfte der Erde“ (so der Titel eines seiner Bücher) sollte so weit wie möglich von Menschenhand unberührt bleiben.43 Das wäre möglich – und muss es wohl auch. Doch es geht nur dann, wenn die überwiegende Mehrzahl der Menschheit in Städten wohnt. Nicht in Vorstädten, nicht in Vororten, nicht in vollkommen CO2-neutralen, hypermodernen Passivhäusern am Land – in Städten.

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      Teil II

      WO

       Ein Liebesbrief an die Stadt und einer an das Land, über das Wohnen im „Na ja, eigentlich“, kontraproduktive Klimapolitik und die Stadt als Idee, in der wir das wahre Klimapotenzial finden

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